5.

932 40 0
                                    

5.

Inzwischen herrschte Ruhe draußen, der Regen prasselte zwar immer noch in einigen Abständen auf die Erde, doch es war schon deutlich weniger geworden. Überall war es dunkel, doch jetzt herrschte, anders als vorhin, tiefste Nacht.

Und ich? Ich lag in einem von den vielen Gästezimmern der Bennetts, in einem von vielen Gästebetten, und diese waren überhaupt nicht gemütlich. Das war ich aber gewöhnt, mein Bett Zuhause war da nicht besser.

Ich hatte Recht gehabt, das Gewitter und der Regen waren zu schlimm gewesen, keine Kutsche wäre da gefahren und keine hatte es auch getan. Nachdem Sofia sich beruhigt hatte, sich einen kleinen Kerzenleuchter besorgt und die Gräfin und den Graf zurück geholt hatte, hatten sie vereinbart, dass ich über Nacht bleiben würde. Als Graf Bennett mich mit einem unfreundlichen Unterton gefragt hatte, wo „sein werter Sohn denn bliebe", hatte ich auch ihm erklärt, dass er mich im Garten stehen gelassen hatte. Er wiederum ließ es nicht dabei, er fragte mich weiter aus. „Und bist du nicht hinterher?", hatte er gefragt, was ich nur kurz und knapp verneint hatte. Auf die Frage, warum, hatte ich nur leicht beängstigt den Kopf gesenkt, hatte aber noch sehen können, wie missbilligend er mich angesehen hatte, bevor er weg ging.

Sofia, die nur ganz still zugehört hatte, und jetzt auch weiterhin geschwiegen hatte, war zu mir getreten, hatte mir die zarte Hand gereicht und mich, bei jedem Donnerschlag zusammenzuckend, sonst aber ohne Vorkommnisse, in mein jetziges Gästezimmer geleitet.

Seitdem waren nun mehrere Stunden vergangen, ich lag inzwischen, wie gesagt, in dem ungemütlichen Bett und wälzte mich von der einen auf die andere Seite. Keine Position war gemütlich. Die Kerze, welche mir Sofia zuletzt noch hingestellt hatte, war nun auch schon seit Stunden heruntergebrannt und die einzigen Geräusche waren der leise prasselnde Regen, meine regelmäßigen Atemzüge und das undeutliche, von unten kommende Geräusch der streitenden Stimmen von Graf und Gräfin. Ich seufzte leise, wäre doch bloß doch eine Kutsche gefahren. Denn, schloss ich meine Augen, sah ich Julian, wie er sich umdrehte und wegging. Ließ ich meine Augen offen, sah ich diese völlige Dunkelheit. Keines von beidem war sehr entspannend oder beruhigend. Müde war ich sowieso nicht, ganz im Gegenteil, ich fühlte mich eher frisch und erholt, und dass, obwohl ich gestern auch nur ziemlich wenig Schlaf abbekommen hatte. Doch nach weiterer, langer Zeit spürte ich dann doch den Schlaf, schien beinahe wirklich zu spüren, wie er mich sanft an den Schultern packte, um mich in eine Traumlandschaft zu führen versuchte. Da fielen mir dann auch die Augen zu. Ein letztes Gähnen, ein letzter Gedanke an meinen schmerzenden Rücken, ein letzter Gedanke an Julian ... und ich war weg.

Was ich jetzt sah, erschrak mich sehr. Dort war auch völlige Dunkelheit, aus weiter Ferne konnte ich immer noch den Regen vernehmen, doch hier hörte ich noch etwas. Eine Stimme schrie mir zu: „Die Wahrheit, die Wahrheit!". Ich wollte am liebsten zurück brüllen: „Welche Wahrheit denn? Was meinst du?", doch ich konnte nichts schreien, geschweige denn auch nur sagen. Was war nur los mit mir, schrie ich in Gedanken, wo war ich? Das war alles so fremd, alles war eigenartig, alles wirkte so langsam, wie als wenn man alten Leuten beim Spazieren gehen zu sah. Und dann, ganz plötzlich, vernahm ich noch etwas. Es war aber kein Geräusch, sondern ein Duft, den ich kannte, aber niemanden zuordnen konnte. Dann war dort aber noch etwas anderes Erschreckendes, dort stand meine Mutter! Zumindest vermutete ich, dass es meine Mutter war, ich konnte mich nicht mehr an sie erinnern. Und doch, ich erkannte die Ähnlichkeit zu mir. Und sie rief Dinge, die ich zwar nicht verstehen konnte, dafür war sie zu weit entfernt, aber sie schien Qualen zu erleiden. „Mutter", wollte ich schreien, „Was ist mit dir?" Es kam kein Ton aus meiner Kehle. Ich spürte auch überhaupt nichts, ich sah nur diese Bilder und konnte diesen eigenartigen, doch vertrauten Duft riechen. Einmal noch versuchte ich so laut wie es ging zu schreien, da spürte ich auf einmal doch etwas: kalte, nasse Hände legten sich auf mein Gesicht. Wem sie gehörten konnte ich in dem dunklen Raum nicht sehen, ich wusste nur, dass ich gerade nur geträumt hatte, dass ich mich nicht mehr in dem unbequemen Bett, sondern auf dem kalten Holzboden daneben befand, zusammen mit der Bettdecke, die sich wild um mich gewunden hatte, und, dass mir Tränen auf den Wangen klebten. Mein Hals fühlte sich sehr rau und kratzig an und an meinem Rücken war keine Stelle, die nicht schrecklich doll schmerzte. Neue Tränen rollten aus meinen Augen, die aber sofort von den weichen, nassen Händen weggewischt wurden. „Schhh", machte da der Besitzer der Hände, „Ist ja gut." Da zuckte ich mit meinem Kopf weg und jetzt erkannte ich auch die Gestalt. Es war Julian, der da neben mir auf dem Boden kniete und dessen Hände sanft und beruhigend mein Gesicht streichelten. Doch das konnte ich nicht zulassen, er hatte mich einfach im Stich gelassen, er schuldete mir eine Erklärung. Echt Rebecca, machte da eine Stimme in meinem Kopf, war er einfach so weggegangen? „Nein!", sagte ich so laut es mit meiner Stimme gerade ging, aber es war ein bestimmtes Nein. Ich selbst wusste nicht genau, wem das Nein eigentlich gelten sollte, der Stimme in meinem Kopf, von der ich wusste, dass sie Recht hatte, Julian, mir selber? Jedenfalls zuckte Julian erschrocken zurück. Ich sah nun auch langsam seine Umrisse und das Funkeln in seinen Augen. „Was tust du hier?", fragte ich langsam mit klappernden Zähnen, denn ich fror nun überall. Julian lachte leise und antwortete dann aber klar: „Dies ist ja wohl mein Haus." Darauf wollte ich nicht weiter eingehen, stattdessen fragte ich fast schon verzweifelt, wofür ich mich direkt schämte: „Warum hast du mich alleingelassen?" Und als er, leicht erstaunt aussehend, schon zum Satz anfing, unterbrach ich ihn auch nochmal: „Du hast mir gar keine Zeit für eine Erklärung gegeben." Ich verschränkte die Arme vor der Brust, trotzig und verletzt. Ich dachte aber nur daran, ob er jetzt wohl eine Erklärung von mir verlangte, und ob ich ihm diese geben könnte. Die neuen Tränen wischte ich mir schnell weg, ich weinte doch sonst nie so viel. Irgendwas, dachte ich, schien alles komplett durcheinander zu bringen. Ich musste mir eingestehen, dass seitdem dieser ganze Stress angefangen hatte, ich mich ziemlich verändert hatte.

RebeccaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt