11.
Bald hatte mein Bruder wieder gehen müssen, und meine Tante hatte mich beim Hereinkommen sehr seltsam von der Seite angeschaut. Sie hatte noch Vorbereitungen mit mir treffen wollen, und unser Gespräch von vorhin erschien völlig vergessen.
Am Abend hatte mich Nina vollkommen ignoriert und Onkel Alexander, Elizabeth und Maria hatten sich immer wieder komische Blicke zugeworfen, während wir aßen. Ich hatte früh schlafen gehen sollen und doch hatte ich sehr, sehr lange wach gelegen. Aber in der Nacht hatte ich auch nur sehr schwer schlafen können, immer wieder war ich von verschiedensten Albträumen aufgewacht, keuchend und mit tränennassen Gesicht. Manchmal erinnerte ich mich noch an Teile der Träume aber manchmal war da einfach nichts mehr. Immer wieder wiederholten sich die Worte „Wahrheit", von einer unbekannten, krächzenden Stimmer gerufen. Es war wie in der Nacht bei den Bennetts. Meine Cousine Nina lag die ganze Nacht ruhig schlafend und nichts ahnend in ihrem Bett, direkt gegenüber von meinem.
Als dann der Morgen anbrach, fühlte ich mich einerseits erlöst von diesen ganzen Träumen, aber zum Anderen war da die Hochzeit. Heute.
Nachdem ich aufgestanden war, war mir wieder Ninas leeres Bett aufgefallen und wieder hatte ich mich verwundert gefragt, wo sie hingegangen war. Nachdem ich zu meiner Tante gegangen war, die sich in den Räumen unten befand, hatte sie mich nur breit lächelnd angesehen und gesagt, ich müsste nun mit dem Fertigmachen beginnen. Ich hatte nur brav genickt und mich selbst dazu gezwungen, nicht mehr an das zu denken, was gestern alles passiert war, und erinnerte mich daran, bloß die bevorstehende Hochzeit aus dem Kopf verbannen. Letzteres war sehr schwer, da ich ja eben für dieses Ereignisherausgeputzt und vorbereitet wurde.
Nach etlichen Stunden stand die Sonne vollständig am Himmel und ich bereit, oder innerlich eher nicht bereit, vor dem Haus. Der kleine Teil unserer Familie stand fein angezogen neben mir und meine Tante hatte ein sehr zufriedenes Grinsen auf den Lippen, welches mich auf seltsame Weise verunsicherte.
Eine Kutsche brachte uns zu der Kirche, wo alles stattfinden würde, und die ganze Fahrt über war jeder in dem engen Raum still und hing seinen eigenen Gedanken hinterher. Ich fragte mich, ob Mathilde vielleicht doch erscheinen würde. Ich wünschte, sie täte es.
Die Kutschfahrt dauerte nicht sehr lang, und bald kam das wackelnde und klappernde Gefährt zum Stehen. Unsicher und mit versuchter ausdrucksloser Miene stieg ich hinter meinem Onkel und meiner Tante aus der Kutsche, hinter mir Maria mit ihrem Ehemann und hinter den beiden stieg, die kurz vor der Fahrt ganz plötzlich wieder aufgetauchte, Nina aus. Man erwartete uns schon, die Gäste waren da und die einzigen drei Leute, die fehlten, waren der Graf, die Gräfin und Julian. Ich wusste nicht recht ob ich mich darüber freuen sollte, oder lieber nicht.
Ein ungeduldiger Priester lief die ganze Zeit umher und ich fühlte mich immer unwohler in meinem weiten, für mich viel zu eleganten Kleid. Die Gäste waren zum großen Teil adelige Bekannte der Bennetts, hier und da erkannte ich aber auch einige Nachbarn. Unsere Stadt war nicht klein und unsere Nachbarschaft groß. Trotzdem sah ich mehr fremde als bekannte Gesichter und das trug meiner wachsenden Unsicherheit nur bei.
Bald jedoch kamen sie, die Bennetts. Alle wurden aufgefordert, ihre Plätze einzunehmen und mir wurde ganz flau im Magen. Als ich Julian dann selbst sah, sehr elegant gekleidet und mit sorgfältig zurückgekämmten Haar, da musste ich wieder an den gestrigen Tag zurückdenken. Es war seine Schuld, sagte ich mir. Wäre er gestern für mich da gewesen, wäre mir so viel Leid erspart geblieben. Meine Hände fingen bei diesen Gedanken an zu zittern. Julians lachendes Gesicht machte mir klar, dass er wahrscheinlich noch nicht mal von dem wusste, was zwischen seinem guten Freund Giacomino und mir vorgefallen war. Nein! Ich wollte nicht darüber nachdenken, so traten mir nur Tränen in die Augen. Zu viele Augen waren zu dem Zeitpunkt auf mich gerichtet, verachtende und freundliche Gesichter sahen mich an. Onkel Alexander stand direkt hinter mir und er schien nichts von meinen Gedanken zu bemerken, was auch besser so war. Ich drehte mich einmal kurz zu ihm um. Er sah selber so aus, als ob ihn einige Gedanken bedrücken würden und einen sehr kurzen Augenblick lang tat mir mein Onkel leid. Auch wenn ich nicht wusste warum, und ich mir im nächsten Moment klar machte, dass ich diejenige war, die Anderen leid tun müsste. Aber ich wollte kein Mitleid, oder etwa doch?

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Rebecca
Ficción históricaRebecca Dumont ist ein junges Mädchen und lebt in einer Zeit, in der viele Dinge noch anders sind. Sie lebt bei ihrer Tante und ihrem Onkel, seit ihre Mutter sie als kleines Kind im Stich gelassen hat, und nun soll sie heiraten - dabei liebt sie den...