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Ich war aufgewacht, nachdem ich nur wirres Zeug geträumt hatte. Es war sehr, sehr ruhig im Haus gewesen und lange Zeit hatte ich einfach nur still dagelegen.

Meine Gedanken verwirrten mich selbst, ich konnte mich nicht mehr an das erinnern, an das ich zuletzt gedacht hatte, oder wie ich nun darauf gekommen war. Mich freute es aber, als ich bemerkte, dass die Kopfschmerzen nun endgültig verschwunden waren. Überhaupt fühlte ich mich sehr wohl in dem großen Bett, denn hier konnte ich meine Beine richtig ausstrecken, was ich in meinem eigenen Bett nicht mehr konnte, und alles war so wunderschön weich.

Schließlich stand ich aber doch auf. Ich klopfte und strich mein Kleid glatt, versuchte, meine Haare einigermaßen zu bändigen und hoffte, dass ich nicht zu schrecklich aussah. Schritt für Schritt setzte ich meine bloßen Füße auf den Boden und versuchte leise zu sein. Ich wusste selbst nicht ganz wieso, doch ich wollte lieber unbemerkt bleiben. Ich wunderte mich, ob Tag oder Nacht herrschte. Mein Zeitgefühl war verschwunden, zu viele Stunden hatte ich nun mit Schlaf verschwendet.

Die Zimmertür öffnete ich vorsichtig und wieder versuchte ich, so leise wie nur möglich zu sein. Die rechte Hand ließ ich noch auf der Türklinke ruhen, als ich schon in den großen Raum blicken konnte. Durch ein Fenster sah ich Sonnenlicht fallen, welches den Raum erhellte. Dieser war, bis auf die wenigen Möbel und Giacomino, leer. Der junge Mann sah mich an, sein Gesicht zu einem Lachen verzogen. Fast wäre ich wieder zurück in das Zimmer getaumelt, riss mich dann aber doch zusammen. Dieses Gefühl von Angst wollte ich ignorieren, dieser Giacomino würde mir bestimmt nichts tun. Er stand von dem grünen Sofa auf, auf welchem er bis jetzt gesessen hatte, und kam näher auf mich zu. Mit meiner zitternden, immer noch die Türklinke umklammernden Hand schloss ich die Tür hinter mir, bewegte mich sonst aber kein Stück. Er kam jetzt immer näher und näher, fing an zu sprechen: „Na, kleine Rebecca, hast du schön geträumt?" Wenn ich ehrlich war, nein, doch ich reagierte nicht, schaute ihn nur stumm an und hörte zu. „Ich sollte dir eigentlich eine Nachricht überbringen, eine mündlich weitergegebene, doch leider habe ich vergessen, was es war." Ich wollten meinen Ohren nicht trauen, was für eine Nachricht? Zu der Angst kam eine Ungewissheit hinzu. Wo war Julian, oder die Frau, Julietta? Giacomino stand genau vor mir, ich hielt den Atem an und versuchte ihm nicht in die Augen zu sehen. „Sehr gesprächig bist du nicht.", stellte er fest. „Oder", er hob die Augenbrauen, sein sonderbares Lächeln wurde breiter, „Hast du etwa Angst? Vor mir brauchst du doch keine Angst zu haben." Er hob langsam seinen linken Arm, ich sah es genau. Meinen Rücken presste ich gegen das Holz der Tür, meine Finger krallte ich fest ineinander. Ich hob meinen Blick und fragte so klar wie ich konnte: „Wo ist Julian?" Giacomino schien meine Frage sehr lustig zu finde denn er fing an, laut loszulachen. Ich war verunsichert. „Vermisst du ihn etwa?", fragte er, immer noch lachend. Ich zog meine Augenbrauen ungewollt zusammen und schüttelte den Kopf. „Ich möchte es einfach nur wissen!", antwortete ich. Blitzschnell strich ich mir mit der einen Hand die Haare hinters Ohr, ließ ihn aber nicht aus den Augen. Ich blinzelte schnell hintereinander und wartete auf die Antwort, die noch nicht gekommen war. Giacomino war so viel größer, und bestimmt auch stärker als ich. Beim näheren betrachten erkannte ich, dass seine Augen von einem ziemlich dunklen Braun waren, genau wie seine Haare. Vorhin dachte ich zuerst, sie seien schwarz. Seine Haut hatte einen dunklen, fremdländischen Ton und an seinem Kinn war der Ansatz eines Bartes zu erkennen. Am liebsten wäre ich noch weiter zurückgewichen und ich wünschte mir, ich hätte die Tür nicht zugemacht.

„Julian musste gehen, zusammen mit Julietta.", holte mich Giacomino wieder zurück, „Die beiden mussten noch irgendwas erledigen." Als ich das hörte, hatte ich plötzlich wieder das Gefühl, nicht mehr Schlucken zu können. „Warum?", flüsterte ich leise vor mich hin, ich hatte nicht gewollt, dass Giacomino es hörte. „Warum?", wiederholte er mich, „Weil manche Leute auch was zu tun haben. Anders als du. Du scheinst ja alle Zeit der Welt zu haben." „Wieso?", fragte ich wütend und ballte unwillkürlich meine Hände zu Fäusten. „Ich meine ja nur, du hast die letzten Tage fast ausschließlich schlafend verbracht. Da kommt es mir natürlich in den Sinn, dass du vielleicht besonders viel Zeit hättest." Er hob die Augenbrauen an. „Dabei hörte ich, du hättest demnächst deine Hochzeit.", sagte er lächelnd. Es war kein echtes Lächeln. Obwohl ich mich gerade noch so frisch und voller Kräfte gefühlt hatte, schienen mich meine Kräfte nun wieder zu verlassen. Der wütende Gesichtsausdruck verschwand aus meinem Gesicht, ich ließ meine Hände locker. Die Hochzeit. Ich hatte nicht mehr daran gedacht. Wann war sie, morgen? Plötzlich kam mir ein Gedanke: Müsste ich nicht schnell zurück zu meiner Tante? Sollte ich ihr nicht helfen? Ich riss erschrocken meine Augen auf und rief: „Ich muss unbedingt nach Hause!" Ich wollte mich an Giacomino vorbei drängen aber er hielt mich an den Schultern fest. „Was hast du nun vor, Kleine?", fragte er, sein Griff war kräftig und ich wollte schreien vor Schmerz. „Lass mich los.", jammerte ich, „Bitte!" Ich kniff meine Augen zusammen. Warum tat er das nur? Ich biss die Zähne so fest ich konnte aufeinander. Ich war erleichtert als er mich nun langsam wieder losließ. Tränen standen mir in den Augen. „Komisch", sagte er jetzt, „Gerade in diesem Moment fiel mir wieder ein, was ich dir sagen sollte." „Und was ist es?", erwiderte ich mit zitternder Stimme. Giacomino schien mich mit seinen Augen zu durchlöchern, sein Blick wanderte über mein ganzes Gesicht. Wieder lag ein Grinsen auf seinen Lippen, als er sagte: „Julian ließ ausrichten: Ich soll dich zu deinem Haus begleiten und auf dich aufpassen. Zusätzlich muss ich darauf achten, dass du mir nicht entwischst und du sollst deiner Mutter oder Tante, oder was auch immer, nicht erzählen, wo du warst." Wieder ballte ich meine rechte Hand zu einer Faust. Wie konnte mich Julian nur mit diesem Mann allein lassen? Und, traute er mir nicht einmal zu, alleine nach Hause zu gehen? Ich zwang mir trotzdem ein kleines Lächeln auf die Lippen und verkündete: „Schön, dann bring mich sofort nach Hause!" Sein Gesichtsausdruck veränderte sich bei meinen Worten, es sah so aus als ob er schmollte. Er fragte: „Findest du es hier denn nicht schön genug? Willst du nicht noch ein bisschen bleiben und mir Gesellschaft leisten?" Ich schüttelte schnell meinen Kopf. Jetzt sah er wütend aus. Er griff schlagartig nach meinem linken Arm und zog mich von der Tür weg. Ich stieß einen kleinen, hohen Schrei aus. Giacomino zog mich immer weiter, durch weitere Türen und in neue Zimmer, bis wir vor einer großen Haustür standen, die er mit seiner linken Hand öffnete. Seine Rechte hielt immer noch eisern meinen Arm umklammert. Gerade wollte er mich über die Türschwelle nach draußen ziehen, da schrie ich: „Warte!" Er verdrehte seine Augen, doch ich schaute schnell auf meine nackten Füße. „Ich brauche noch meine Schuhe.", erklärte ich. „Was?", fragte Giacomino verwundert, er lockerte kurz seinen Griff. Wieder betrachtete ich meine bloßen Zehen und und fragte: „Wo sind meine Stiefel?" „Was weiß ich? Ich habe keine Ahnung!", antworte er. Ich wollte aber meine Stiefel haben. Sonst hatte ich nur noch alte Schuhe die mir vielleicht noch gerade so passen würden. Außerdem wollten ich nicht den ganzen Weg barfuß laufen. Giacomino schaute runter auf meine Füße und ich riss schnell und ohne nachzudenken meinen Arm frei. Ich verschränkte meine beiden Arme vor der der Brust und sagte: „Ohne meine Stiefel, oder irgendwelche anderen Schuhe, gehe ich keinen Schritt weiter." Wütend sah ich ihm in die ärgerlich zusammengekniffenen Augen. „Na gut, dann komm mit." Er zog mich wieder weiter in das Haus hinein und ich befürchtete, er würde meine Worte so ernst nehmen, dass ich hier nicht mehr raus kommen würde. Wieder wurde ich durch mehrere, unterschiedlichste Räume gezerrt, bis wir in ein kleines Ankleidezimmer kamen. An einer Wand stand ein riesengroßer Schrank, den Giacomino öffnete. Es befanden sich nicht nur Kleider sondern auch Schuhe darin. Ich staunte, so viele Kleider hatte ich noch nie auf einmal gesehen. So viele unterschiedliche Farbtöne! Bestimmt war alles nur aus feinstem Stoff und auf jeden Fall sehr, sehr teuer.

RebeccaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt