Während des Englisch-Unterrichts denke ich darüber nach, warum Alya mit mir reden wollte. In der Schule zeige ich mich ja nicht gerade von meiner sympathischsten Seite. Wer weiß. Vielleicht hat Jay sie gelangweilt, glaube ich aber nicht. Er kann reden was das Zeug hält! Ist ja auch egal. Darüber nachzudenken ist verschwendete Zeit und dennoch schleicht sich diese Frage immer wieder in meinen Kopf und lenkt mich ab. Was solls, man kann nicht immer super konzentriert sein.
Dennoch bin ich sehr froh, als die Schule zuende ist und ich nach Hause gehen kann. Alya winkt mir zum Abschied zu, warum auch immer. Ich winke jedenfalls noch zurück. Dann gehe ich zur Straßenbahnhaltestelle. Elly hatte eine Stunde eher Schulschluss, also muss ich heute nicht auf sie warten. Die 9. Klasse hat oft früher Schluss als wir. Hätte ich auch gerne wieder.
Zu Hause ist es ruhig. Ben scheint noch nicht von der Arbeit zurückgekommen zu sein. Elly sitzt bestimmt in ihrem Zimmer und zockt irgendwas mit ihren Freunden. Oder sie schreibt irgendeine Geschichte.
Ich schnappe mir aus der Küche einen Keks und gehe hoch in mein Zimmer. Die dunklen blauen Wände heißen mich immer wieder willkommen. Es ist mein Zimmer, mein zu Hause, mein Reich.
Es ist einsam hier und diese Einsamkeit macht mich traurig. Wieder öffne ich das Fenster und setze mich auf den Fenstersims. Das mache ich immer, wenn ich reden will.
Vielleicht hat die Sonne ja gerade Bock zu reden. Zwar geht sie mir mit ihrer leicht eingebildeten Art auf die Nerven, aber was soll man machen? Die Sterne sind meine Freunde und es ist noch nicht Nacht. Also ist die Sonne momentan der einzige Stern, mit dem ich reden kann.
„Hallo," sage ich und beiße in meinen Keks. Mal sehen, ob die Sonne antwortet.
Zu meiner großen Überraschung antwortet sie direkt: „Schon da?"
„So wie jeden Dienstag. Da bin ich immer 16 Uhr zu Hause," erkläre ich. „Du müsstest eigentlich inzwischen wissen, an welchem Tag ich um welche Uhrzeit zu Hause bin."
„Denkst du, ich merke mir das?" fragt sie mit einem leicht empörten Unterton.
„Natürlich, was dachtest du denn?" frage ich zurück. Eigentlich hätte ich es mir denken können. Immerhin ist es die Sonne. Von ihr kann man nicht sonderlich viel erwarten, was das angeht.
„Es ist dein Stundenplan, den muss ich mir nicht merken," stellt Sonne klar.
„Lass uns nicht wie Kindergartenkinder streiten. Immerhin bist du ein paar Millionen Jahre älter als ich. Sag mir lieber, wie dein Tag so war," schlage ich vor und stopfe mir den Rest vom Keks in den Mund.
„Eigentlich so wie jeder andere. Ich schaue mir die Erde an und rege mich über die Dummheit der Menschen auf. Und natürlich frage ich mich auch, ob ich einfach irgendwas nehmen soll, um schneller zu altern. Wenn man nicht gerade der kleine Polarstern ist, kommt man ja als Stern sonst nicht vom Fleck," meint sie.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und gebe ein belustigtes Schnauben von mir. „Erstens: was willst du nehmen, um schneller zu altern? Zweitens: warum willst du uns alle töten? Drittens: Nur weil du schneller alterst, dich dadurch für eine Zeit aufblähst und dann explodierst, kommst du nicht vom Fleck, auch wenn du uns dann alle ausgerottet haben wirst."
„Ob ich vom Fleck komme oder nicht, ist mir egal. Mein Ziel wäre erreicht," meint sie.
Nun muss ich grinsen. „Dann könnte aber niemand mehr den Sonnenaufgang oder den Sonnenuntergang ansehen," werfe ich zuckersüß ein.
„Willst du behaupten, ich würde das so sehr brauchen?" Die Entrüstung in ihrer Stimme ist sehr groß.
„So ähnlich," lächele ich. Warum reagiert sie immer so, wie ich es erwarte? Macht sie das mit Absicht?
Ich höre ein beleidigtes Schnauben. „Idiotin."
„Selber," lache ich.
„Wie war eigentlich dein Tag?" fragt sie.
„Seit wann interessiert dich das?" frage ich zurück. „Und müsstest du das nicht eigentlich wissen? Du beobachtest die Menschen doch immer so genau und regst dich über deren Dummheit auf."
„Denkst du, ich kann alle Menschen gleichzeitig beobachten? Glaubst du, ich kann Menschen beobachten, die ein Dach über dem Kopf haben und nicht am Fenster sitzen, wo mir das Dach die Sicht versperrt?" fragt sie. Nun ist es sie, die lacht.
Sie hat einen Punkt, das muss ich zugeben. „Äh nö," antworte ich also gelassen.
„Also erzähle mir, wie war dein Tag?" hakt sie nach
Sie hat mir immer noch nicht beantwortet, seit wann sie das alles interessiert. Aber egal. „Eigentlich auch wie jeder andere, nur dass ein Mädchen aus der Klasse mit mir gesprochen hat," erzähle ich.
„Wer hat mit dir gesprochen?" will die Sonne wissen.
„Alya, ein Mädchen aus meiner Klasse," antworte ich.
Jetzt höre ich etwas abfälliges in der Stimme der Sonne. „Ach die! Die mit den komischen blau gefärbten Strähnen und die, die Geige spielt."
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Alya ist zwar ein Mensch und somit eine potentielle Verspotterin, aber sie... was ist sie momentan? Eine Klassenkameradin. Für die bin ich aber nicht verpflichtet, sie zu verteidigen. Wieso ärgert mich dann Sonnes Ton? „Ich glaube, eines Tages werde ich mir auch die Haare blau färben, damit du mal richtig was zu zetern hast," sage ich also.
„Deine Haare sind schwarz. Da wird keine Farbe sichtbar sein," schnaubt die Sonne.
„Haare kann man blondieren und dann färben," grinse ich.
„Ruiniere doch deine Haare nicht," beschwert sich Sonne.
„Ich mache mit meinen Haaren was ich will und das werden alle Menschen machen. Ob es dir passt oder nicht. Letztendlich musst du mit unserem Aussehen leben. Wir finden das halt cool."
„Du verteidigst deine Artgenossen," stellt die Sonne fest. „Interessierst du dich endlich für sie?"
„Was heißt hier endlich? Nur weil ich andere Menschen in einem Punkt verteidige, heißt das nicht, dass ich meine Lebensweise ändern will. Ich hab euch Sterne. Ihr seid meine Freunde. Ich brauche sonst niemanden, außer Ben und Elly," stelle ich klar.
„Du vereinsamst," sagt Sonne nun. Sag bloß, sie macht sich Sorgen!
„Das ist mir aber relativ egal," gebe ich zurück. Eigentlich ist es mir nicht egal. Zwar habe ich die Sterne lieb und ich liebe auch Ben und Elly. Immerhin sind sie meine Familie. Aber dennoch... Freundschaft mit Menschen ist anders. In der Grundschule hatte ich ein paar Freunde. Zwei. Das war bevor ich erzählt hatte, dass ich mit den Sternen reden kann. Aber sich Menschen anzuvertrauen bedeutet Gefahr. Gefahr, wieder zum Gespött zu werden. Und das bin ich leid.
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Sternenflüsterin
FantasyMelanie kann mit den Sternen reden und führt lange Gespräche mit ihnen. Zu ärgerlich, dass es ein Geheimnis ist, das sie nur mit ihrem Ziehvater und ihrer Ziehschwester teilen kann. Dieser Faktor lässt sie vereinsamen und Trost bei den Sternen suche...