Hatte mir Jay nicht versprochen, dass ich es eines Tages verstehen werde, warum er meine Situation so witzig findet? Hatte er nicht versprochen, dass Alya eines Tages wieder mit mir redet? Eine Woche ist vergangen und es hat sich nichts verändert. Ob ich zu ungeduldig bin? Aber das Gespräch war zumindest nicht umsonst. Es hat mich etwas beruhigt und es hat gut getan, noch jemandem davon zu erzählen. Ein kleiner Schritt weiter in Richtung gesundes Sozialverhalten! Juhu! Glaube ich zumindest.
„Melanie," höre ich die strenge und genervte Stimme meines Deutschlehrers, „hörst du mir zu oder schläfst du?"
„Selbstverständlich höre ich Ihnen zu," antworte ich und tue so, als würde es mich brennend interessieren, worüber er da redet.
Als dieser Lehrerblick nicht mehr auf mir liegt, schiele ich zu Alya rüber. Aufmerksam hört sie dem Unterricht zu im Gegensatz zu mir. Gerade als ich bemerkt habe, dass ich starre und den Blick abwenden will, dreht sie den Kopf und guckt mich an. Ich sitze da wie erstarrt. Welche Emotion liegt in ihrem Blick? Ich erkenne Ruhe. Aber noch was. Ist es Trauer? Oder täusche ich mich? Ich hoffe so sehr, dass ich mich täusche, denn ich möchte nicht, dass sie traurig ist. Sie ist ein guter Mensch, sie verdient es nicht, traurig zu sein. Vielleicht ist es auch Angst. Das wäre aber auch nicht so gut. Na ja, ich bete einfach, dass alles bei ihr in Ordnung ist.
Schulschluss. Zum Glück. Länger hätte ich es in diesem stickigen Drecksgebäude nicht ausgehalten. Ab zur Straßenbahn.
Gerade bin ich aus dem Schultor raus, da höre ich hinter mir eine vertraute Stimme: „Melanie!" Das muss Alya sein.
Tausend Gedanken schwirren durch meinen Kopf. Wird sie jetzt meine Frage beantworten oder mir sagen, dass wir vielleicht nichts mehr miteinander zu tun haben sollten? Dann hätte ich vollends versagt. Leicht unsicher drehe ich mich um. „Ja?" frage ich und versuche, so wenig Emotionen wie möglich durchklingen zu lassen.
„Wollen wir uns irgendwie treffen? Bei dir zu Hause oder bei mir oder so?", fragt sie. Sie hat den Kopf gesenkt. Hat sie Angst? Ist sie unsicher? Bin ich für diese Unsicherheit verantwortlich? Wahrscheinlich bin ich das. Aber wenn sie mich lässt, werde ich es wiedergut machen. das verspreche ich ihr in Gedanken.
Auf ihre Frage nicke ich nur. „Gerne. Magst du zu mir kommen?"
„Klar. Wann passt es für dich?" fragt Alya.
„Jetzt würde passen, Samstag und Sonntag auch," antworte ich. „Und bei dir?"
„Jetzt vielleicht?" fragt sie und legt den Kopf schief.
Diese Unsicherheit bereitet mir Gewissensbisse, zurecht. Ich wende den Blick von ihr ab und sage nur: „Gut. Komm mit."
Schweigend gehen wir zur Straßenbahnhaltestelle. Keine von uns sagt einen Ton. Wir schauen einander auch nicht an. Wir gehen nebeneinander, in der Bahn sitzen wir auch nebeneinander, ansonsten könnte man als Außenstehender vermuten, wir würden uns nicht im Geringsten kennen.
Nach einer sehr schweigsamen Fahrt und einem sehr schweigsamen Weg sind wir angekommen. Ich schließe die Tür auf und betrete die Wohnung.
Wir sind gerade auf dem Weg in mein Zimmer, da stürmt uns Elly entgegen. „Ich habe richtig gehört! Hier sind zwei Menschen nach Hause gekommen. Du bist Alya oder?" Genervt seufze ich. In solchen Situationen verhält sich meine Schwester wie ein kleines Kind. Na gut, es ist Elly. Sie darf das.
Alya scheint das Ganze ziemlich amüsant zu finden. Sie lacht kurz auf. „Ja, ich bin Alya. Kennen wir uns oder warum weißt du wie ich heiße?"
„Du wart doch in der Gruppe, mit der sich Melanie vor zwei Wochen getroffen hat und manchmal abhängt," meint Elly und fügt etwas leiser hinzu: „Endlich sozialisiert sich dieses Kind."
DU LIEST GERADE
Sternenflüsterin
FantezieMelanie kann mit den Sternen reden und führt lange Gespräche mit ihnen. Zu ärgerlich, dass es ein Geheimnis ist, das sie nur mit ihrem Ziehvater und ihrer Ziehschwester teilen kann. Dieser Faktor lässt sie vereinsamen und Trost bei den Sternen suche...