Kapitel 6

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Alya guckt mich äußerst verwirrt an. Man sieht ihr an, dass sie mit sich hadert, ob sie mir glauben oder mich als eine Spinnerin abstempeln soll. Ich sehe ihr Gehirn rattern. Dieses Denken, Bangen und Schweigen ist unerträglich.

„Redest du mit den Sternen?" fragt sie nach einer Stille, die sich angefühlt hat, als würde sie drei Stunden dauern.

Ich bringe nur ein kurzes Nicken zustande. Mein Hals fühlt sich trocken und irgendwie zugeschnürt an. Langsam merke ich, wie Panik in mir aufsteigt.

Wieder wird Alyas Blick mitfühlend. Das sehe ich, als ich meinen Blick wieder hebe, denn ich hatte den Boden fixiert, als die Starre gebrochen war. Sanft fragt sie: „Du musst wohl sehr einsam sein oder?"

Hitzig antworte ich: „Ich bin nicht einsam! Die Sterne antworten mir. Sie sind meine Freunde! Bessere Freunde als Menschen." Mein Kopf dreht sich und ich merke, dass ich nicht klar bei Verstand bin. Was für ein Ärger! Sofort bereue ich, was ich gerade gesagt habe. „Vergiss es. Vergiss diese Worte. Ich habe nichts gesagt. Ich habe nichts gesagt, okay?!" Nun lege ich einen schärferen, lauteren Ton an. Zu doof, dass mir gerade keine passende Ausrede einfällt. Doch ich habe das Gefühl, je mehr ich rede, desto schlimmer mache ich es.

Sie kennt mein Geheimnis. Dabei wollte ich es hüten. Ich wollte es niemandem, keiner Menschenseele außer meiner Familie erzählen. Und dabei habe ich versagt. Der erste Impuls meines Gehirns ist, einen Schuldigen zu suchen. Wut auf die Sterne und auf Elly und Ben baut sich in mir auf. Tief atme ich durch. Was bringt es mir, auf sie sauer zu sein? Sie hätten mir nie etwas Schlechtes gewünscht und es ist nicht ihre Schuld, dass ich mein Geheimnis verraten habe.

Jetzt gilt es, irgendwie mein Gesicht nicht zu verlieren. Ich sehe Alya in die Augen. Mein Blick ist möglichst stumpf gehalten. Bloß keine Emotionen anmerken lassen.

Doch wenn ich ihren Blick sehe, steigen mir die Tränen in die Augen. Das passiert immer, wenn ich komplett überfordert bin mit einer Situation, so wie jetzt. Alyas Blick ist warm. Selten hatte ich das Gefühl, von einem Menschen so sehr durchschaut zu werden, wie von ihr. Wahrscheinlich hat sie sehr gutes Menschenkenntnis und viel Empathie. Das sind ja die Eigenschaften, die dafür sorgen, dass man andere durchschauen kann. Schnell wende ich den Blick von ihr ab, damit ich wieder den stumpfen Gesichtsausdruck aufsetzen kann.

„Warum verschließt du deine Schmerzen? Warum unterdrückst du sie?" fragt sie ruhig und geduldig.

Ohne ein Wort zu sagen gehe ich an ihr vorbei und überlege, welche Tür die zum Bad sein könnte. An einer Tür rechts von mir ist ein kleiner Fisch aus Ton angebracht. Vielleicht ist es das? Vorsichtig schaue ich hinein und es ist das richtige Zimmer. Ich schließe die Tür und stütze meine Hände auf dem Waschbecken ab. Um mich zu beruhigen, ist das Ereignis, dass die Panik, die in mir wütet verursacht hat, zu jung und zu frisch. Aber ich sollte schleunigst in den Schauspieler-Modus kommen, damit niemand was mitbekommt. Tief durchatmen. Alles ist gut. Alles ist gut! Es könnte mir nicht besser gehen. Ich muss diese Worte immer in Gedanken wiederholen. Denn wenn man sich lange genug die selbe Lüge erzählt, wird die Lüge manchmal zur Wahrheit. So auch jetzt. Diese Methode wirkt manchmal wirklich Wunder. Schnell die Tränen wegwischen, fertig. Seltsam, dass mir überhaupt welche gekommen sind. Sonst weine ich sehr sehr selten.

Schnell gehe ich aus dem Bad raus und laufe im Sturmschritt zur Küche zurück. Ich wollte ja was trinken. Und ich war viel zu lange weg. Die anderen werden sicherlich Verdacht geschöpft haben, dass da irgendwas ist. Und wenn Alya ihnen alles erzählt was ich gesagt habe, wie Menschen halt sind, werden sie mich auch nicht mehr bei sich haben wollen. Also nehme ich das Glas, in das ich Saft gefüllt habe und gehe nach draußen. Alles ist gut! Mir geht es blendend.

SternenflüsterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt