Kapitel 5

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Ich kann nicht glauben, was ich hier tue. Momentan sitze ich in der Straßenbahn und bin auf dem Weg zu Lila. Mitgenommen habe ich nicht viel. Schlüssel, Handy und mein Portmoney. Mehr werde ich nicht brauchen, glaube ich. Es ist 18 Uhr. Langsam wird es kalt draußen und ich friere etwas. Zum Glück habe ich noch meine Jacke.

Das Ruckeln der Bahn macht mich etwas schläfrig. Wenn ich nicht die ganze Zeit nachdenken würde, wäre ich bestimmt schon längst eingeschlafen.

Gestern in der Pause hatte ich wieder bei der kleinen Gruppe gesessen. Das war sehr sinnvoll, da ich zwar wenig gesprochen habe, aber dafür habe ich die anderen aus der kleinen Crew genaustens unter die Lupe genommen. Noch genauer, als ich es normalerweise in der Klasse tue. Wenn ich bei ihnen sitze und auch ein bisschen rede (es muss ja nicht viel sein), lässt sich viel mehr über sie herausfinden, als nur durch Beobachten aus einigen Metern Entfernung.

Lee ist immer noch nicht wirklich begeistert darüber, dass ich da bin. Er hat es nie wirklich ausgesprochen, aber seine misstrauischen und abgeneigten Blicke sagen alles. Der Mensch braucht sein Mundwerk nicht immer und manchmal fällt ihm diese Tatsache auf die Füße. So war es bei Lee. Denn ich glaube nicht, dass er beabsichtigt hatte, dass ich von seiner Abneigung mitbekomme. Ist mir auch relativ egal. Ich habe seine Blicke immer mit einem sehr stumpfen Blick erwidert und insgeheim amüsiert es mich, dass er keine Ahnung hat. Denn ich glaube nicht, dass er ahnt, dass ich es gemerkt habe.

Janin war anfangs auch misstrauisch. Aber ich glaube eher, dass sie gezweifelt hat, ob ich wirklich mitkommen will. Vermutlich dachte sie, ich wolle nur so tun, als würde ich zur Klasse dazugehören. Vielleicht hat sie sogar Recht. Ich weiß es ehrlicherweise selber nicht wirklich. Alya hatte mich gefragt, ob ich auch kommen will. Ob Janin denkt, ich komme nur mit um nicht ablehnen zu müssen? Oh, wie sehr sie sich täuscht! Wenn ich sie überhaupt richtig einschätze. Doch durch sorgfältiges Beobachten bin ich gut darin, Menschen zu lesen. Viel habe ich nicht gesprochen. Doch ich kenne meine Klassenkameraden. Vielleicht sogar besser, als sie denken. Und gleichzeitig kenne ich sie so wenig und bin so fern von ihnen.

Mir fällt auf, dass Jay sich auffällig wenig zu mir geäußert hat. Er zeigte keine Abneigung wie Lee, keine Zweifel wie Janin und keine Freude wie Alya. Aber das macht nichts. Man muss ja nicht alles kommentieren und dieses Motto scheint Jay verinnerlicht zu haben. Ich kann ihn nur sehr schlecht einschätzen, da er eher wenig spricht und sich meist unauffällig verhält. Das ärgert mich etwas.

Aber Lila kann ich noch weniger einschätzen. Mit ihr habe ich kaum geredet. Janin hat erzählt, dass sie überrascht war, dass Lila der Erwähnung von mir keine besondere Beachtung geschenkt hat. Nur so viel wie bei den anderen. Mich freut das irgendwie. Ist es nicht ein Zeichen dafür, dass sie mich als normales, ebenbürtiges Mitglied der Klasse und der Feier annimmt? Nun, auf der einen Seite freut mich das, aber ich kann sie nur schwer einschätzen und das macht die Interaktion mit ihr etwas kompliziert. Ich mag es nicht, mit Menschen zu interagieren, die ich nicht einschätzen kann. Ob das bei jedem so ist? Ist vorstellbar aus meiner Sicht.

Die letzte in der Runde ist Alya. Frag mich nicht warum, aber ich habe sie gerne. Vielleicht ist es ihre freundliche Art, die ich so schätze. Ihre Warmherzigkeit, ihre Ruhe. Es tut mir sehr gut, mit ihr zu reden, auch wenn wir bisher nicht viel geredet haben. Aber immerhin habe ich mit ihr mehr geredet, als mit den anderen aus unserem Grüppchen. Das was mir am meisten Sorge bereitet ist die Frage, ob ich ihr vertrauen kann. Meine Erfahrung sagt mir, dass die Menschen, die die nettesten sind, einen letztendlich am schwersten enttäuschen. Etwas in mir sagt mir, dass ich ihr trauen kann. Aber ich weiß nicht, ob dieses Etwas zu Kopf, Herz, Bauchgefühl oder woanders hin gehört. Daher bin ich erstmal vorsichtig. Irgendwie wird sich das alles klären. Hoffe ich.

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