Eigentlich könnte es mir egal sein, was gestern war. Ich könnte Alya ignorieren, was ich auch gerne tun würde. Aber ich tue es nicht. Frag mich nicht warum. Dennoch, die menschliche Verhaltensweisen scheinen mich entgegen meiner Erwartung zu faszinieren. Vielleicht hat die Sonne aber auch recht. Vielleicht bin ich wirklich vereinsamt und das freundliche und warmherzige Auftreten von Alya hatte mir gut getan. Aber wirklich nur ganz vielleicht.
Was mich etwas ärgert ist, dass die Sonne recht behalten würde, wenn ich wirklich zu einsam bin. Und das will ich nicht. Sie ist schon hochnäsig genug. Mal sehen, was die anderen Sterne dazu sagen. Heute Nacht werde ich versuchen, wieder mit einem von ihnen zu reden. Vielleicht mit Spica! Sie weiß viel über Kommunikation. Sie wird sicher hilfreiche Ratschläge auf Lager haben.
Als Elly am Morgen in die Küche kommt, begrüßt sie mich mit einem herzlichen: „Du siehst nachdenklicher aus als sonst."
Ich gucke meine Schwester nur wortlos an und rühre in meinem Tee. Nach einer Weile sage ich trocken: „Schön, dass du das bemerkst."
Ben ist nicht da. Er hat heute einen freien Tag und kann demnach länger schlafen. Es fühlt sich seltsam an, nur zu zweit zu sein mit Elly.
Sie setzt sich neben mich. „Ist alles gut?" fragt sie. Ist sie etwa besorgt um mich?
„Ja, alles gut. Ich denke nur nach," erkläre ich.
„Worüber denkst du nach?" fragt Elly neugierig. Neugierige Nase! Und aufgedreht. So kenne ich sie. Dann fügt sie schnell hinzu: „Also, falls du das sagen willst."
Kurz überlege ich. Warum zögere ich? Sie ist meine Schwester, wenn auch nicht meine leibliche. Aber egal. Sie ist nett, ich kann ihr vertrauen. Ihr und Ben. Sonst niemandem. „Sei ehrlich. Bin ich ein Mensch, mit dem andere sich gerne unterhalten?" frage ich und sehe Elly sehr ernst an.
Diese wirkt etwas überfordert mit der Frage. Ob sie überlegt, wie sie es am nettesten formulieren kann? Über diesen Gedanken muss ich leicht schmunzeln, verdränge ihn aber schnell wieder. Schließlich antwortet sie: „Das kommt drauf an, wie du dich verhältst. Andere werden weniger gern mit jemandem reden, der mürrisch ist. Wenn du anderen das Gefühl gibst, alleine sein zu wollen, werden sie auch nicht so viel mit dir reden. Aber zu uns bist du nett und das ist schön."
Ein wenig muss ich lächeln. Für diese Art habe ich Elly lieb. Sie versucht, nett zu allen zu sein, dennoch ehrliches Feedback zu geben und liebt Menschen. Und ich glaube, mich hat sie auch lieb. Immerhin sind wir Schwestern. „Gestern hat mich Alya gefragt, ob ich zu einer Plauderrunde dazukommen will," erzähle ich schließlich.
Nun werden Ellys Augen groß. „Sozialisierst du dich endlich? Oh, ich bin so stolz auf dich, Melanie!"
„Äh, mal langsam," bremse ich sie aus. „Ich habe gesagt, dass ich lieber alleine bin. Also nichts mit Sozialisierung in der Klasse. Die Gefahr, dass mein Geheimnis mir rausrutscht und ich dann wieder zum Gespött werde, ist zu groß."
Enttäuschung macht sich im Gesicht von Elly breit. „Hast du wirklich so sehr Angst? Hast du wirklich so wenig Vertrauen in deine Mitmenschen?"
„Ja," antworte ich knapp.
„Vermisst du es, unter Menschen zu sein? Bevor das mit dem Spott in der Grundschule losging, hattest du es geliebt, viel Zeit mit anderen zu verbringen außer uns." Wenn ich in ihr Gesicht sehe, sehe ich Mitleid. Aber mir geht es gut. Oder?
„Ich habe die Sterne," erkläre ich beschwichtigend, damit sie sich keine Sorgen macht.
„Ist es denn dasselbe wie Kontakt zu Menschen?" will Elly wissen. „Ich glaube, es würde dir guttun, Kontakt mit anderen Menschen außer uns zu knüpfen."
DU LIEST GERADE
Sternenflüsterin
FantasyMelanie kann mit den Sternen reden und führt lange Gespräche mit ihnen. Zu ärgerlich, dass es ein Geheimnis ist, das sie nur mit ihrem Ziehvater und ihrer Ziehschwester teilen kann. Dieser Faktor lässt sie vereinsamen und Trost bei den Sternen suche...