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"Du hattest recht", krächzte er. Die Luft schien ihn plötzlich bei jedem Atemzug zu ersticken, so dick erschien sie ihm, wenn sie in seine Lungen drang. Anderen wäre seine Reaktion vielleicht seltsam vorgekommen, da er Shoji kaum gekannt hatte, doch sie hatten nicht gewusst, was er gewusst hatte. Oder um es besser zu sagen: Sie hatten nicht gewusst, was er hätte verhindern müssen.
Scheinbar hatte Uraraka wegen seiner Reaktion angefangen, die Textnachrichten von Mina zu lesen, denn auch sie hörte er plötzlich nach Luft schnappen.
"Es ist wirklich passiert."
Ihre Stimme zitterte mit jedem Wort. Die Nachricht von Shojis Tod schien sie wohl ebenso sehr mitzunehmen. Es wunderte ihn nicht wirklich, schließlich hatte sie vorhergesagt, dass es passieren würde, vermutlich war es nicht besonders beruhigend zu wissen, dass man den Tod anderer Leute prophezeien konnte. Besonders nicht, wenn man als Geist nichts dagegen unternehmen konnte.
Kurz fragte er sich, ob sie ihm vielleicht Vorwürfe machen würde. Letztlich hatte er ja nichts dagegen unternommen, obwohl es in seiner Macht gelegen hatte. Oder, hatte es das überhaupt? Hätte irgendeine seiner Versuche, Shoji zu retten, denn Früchte getragen? Wer weiß denn schon, ob es möglich war, die Zukunft zu ändern? Eigentlich hatte er nie an solche Dinge wie Schicksal oder eine vorgeschriebene Zukunft geglaubt, doch bei Geistern war das auch so gewesen. Mittlerweile redete er mit einem. Da zuckte die Erkenntnis plötzlich durch ihn hindurch.
"Du bist real."
Er drehte sich mit aufgerissenen Augen zu ihr um.
"Du bist real. Ich bilde mich dir nicht ein. Du hast gewusst, dass das passieren würde, und es ist passiert. Woher hätte ich allein das wissen sollen? Ich kannte Shoji quasi nicht."
Erleichterung flutete durch ihn hindurch. Klar, er hatte auch ihren Namen gegoogelt, allerdings hätte es sein können, dass er irgendwann schon einmal von ihr gehört hatte und sie deswegen in seinem Kopf entstanden war. Sie hatte ihm auch kaum Dinge über ihr vorheriges Leben erzählt, daher hätte er auch nicht testen können, ob ihre Antworten mit dem, was über sie im Internet stand, übereinstimmte. Das allerdings hier, die Situation mit Shoji, war der Beweis.
Er hätte sich natürlich lieber eine andere Möglichkeit gewünscht. Etwas, das nicht den Tod einer Person erforderte. Daher war die Tatsache, nicht irre zu sein, eher ein kleiner Trost.

Sie schaute ihn hoffnungsvoll an.
"Hilfst du mir jetzt wirklich? Ich möchte nicht nur Tests machen um herauszufinden, was ich alles kann und nicht. Ich möchte zurück zu meinen Eltern und meinen Freunden. Bitte."
Mit einem Kloß im Hals nickte er. Ihr letzter Satz gab ihr zu bedenken. Scheinbar hatte sie noch immer nicht begriffen, dass die Wahrscheinlichkeit, nie wieder zu ihrer Familie zurückkehren zu können, sehr hoch war. Er schaffte es nicht, ihr zu sagen, dass sie wohl für immer ein Geist bleiben würde, zumindest ausgehend von dem, was er über ihr Verschwinden gelesen hatte.
Es war zu lange her. Er erinnerte sich vage an ein Buch, das er mal gelesen hatte. Dort war ein Junge verprügelt in einem Gebüsch liegen gelassen worden und in eine Art Übergangszustand zwischen Leben und Tod geraten. Sein Geist beobachtete, wie man nach ihm suchte, doch letztlich kam alle ärztliche Hilfe zu spät und er starb. Allerdings war sein Geist danach verschwunden. Vielleicht war es hier ähnlich und Uraraka lebte noch. Irgendwo, irgendwie. Letztlich stützte sich diese Vermutung jedoch auf irgendein zufälliges Buch, dessen Titel er noch nicht einmal kannte.

Sein Kopf brummte von all den Informationen, die auf ihn herabprasselten. Auch Uraraka schien noch geschockt vom Tod Shojis zu sein, ein Leid, dass sie zumindest teilen konnten.
"Es ist seltsam", begann sie zu erzählen, "dass mir das so nahe geht, oder? Ich habe nie mit ihm gesprochen. Natürlich konnte ich das auch nicht, ich meine... Ich habe es auch nicht wirklich versucht, oder?" Ihre Lippe zitterte.
"Meinst du, wir hätten es verhindern können?"
Bakugou schüttelte den Kopf. Seine Gedanken wogen so unendlich schwer. Die letzten Wochen waren ein großes Chaos gewesen, das nie zu enden schien. Für sie muss das wohl schon länger so gewesen sein.
"Ich weiß es nicht."

Tokoyami erschien am nächsten Tag nicht zur Vorlesung. Bakugou wunderte sich nicht darüber, anscheinend war er ja ein guter Freund von Shoji gewesen. Doch selbst die, die Shoji kaum gekannt geschweige denn je ein Wort mit ihm gewechselt hatten, schienen seltsam betrübt. Alle waren leiser als sonst, schauten sich an, als dürften sie selbst gar nicht hier sein. Plötzlich war Shoji berühmter als in seinen Lebzeiten, sein Tod hatte ihn berühmt gemacht. Alle wisperten: "Hast dus schon gehört?", doch keiner schien wirklich gewusst zu haben, wer Shoji eigentlich gewesen war. Wichtig war den meisten nur die eigene Verbindung zu ihm, damit man sagen konnte, man hätte ihn ja irgendwie gekannt. War auf der selben Uni gewesen. Hätte ihn mal in der Cafeteria gesehen. Erinnerte sich daran, dass er graue Haare gehabt hatte.
Bakugou hasste sie alle, doch das war nichts neues.

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