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Es fiel ihm schwer, seine Augen offen zu halten. Nicht, dass Aizawas Unterricht so langweilig wäre, er hatte nur wenig geschlafen und war mit seinen Gedanken nicht bei der Chemie.
Bakugou versuchte krampfhaft, die Worte seines Lehrers niederzuschreiben. Seine neue Datei war so leer wie noch nie zuvor, fast ausschließlich mit dem gefüllt, was Aizawa auch an die Tafeln geschrieben hatte. Leider war das nie besonders viel. Aizawa war ein Professor, der sich um seine Schüler sorgte, doch er brachte für seine Arbeit so wenig Mühe auf wie möglich. Nicht einmal um sein Aussehen schien er sich ansatzweise zu kümmern. Sein immer währender Drei-Tage-Bart, der mindestens eine Woche alt war, und seine langen, schwarzen, scheinbar ungekämmten Haare verliehen ihm den typischen Look eines Arbeitslosen. Nicht dass Bakugou sich einen Arbeitslosen so vorstellte, doch es war nun mal das klischeehafte Bild, das einem direkt in den Sinn kam.
Nichtsdestotrotz schätzte Bakugou Aizawa ungemein. Der Professor war hart aber fair, ehrlich aber nicht bösartig. Außerdem faselte er nicht sinnlos drauflos.

"Bakugou, ich kenne das Gefühl, unbedingt schlafen zu wollen und fühle auch jetzt mit dir, aber wenn du dich nicht bald zusammenreißt schicke ich dir raus. Wir sind hier auf der Uni, und das soll euch aufs echte Leben vorbereiten. Dort wird es nicht so geschätzt, wenn man am Arbeitsplatz einfach einschläft", rügte Aizawa, nachdem er Bakugous Kopf gefährlich nah an der Tischplatte gesehen hatte. Während seiner Ansprache ließ er seine Hände in seine Hosentaschen sinken und blickte mit gelangweilten Augen in die Runde. Natürlich drehten sich jetzt alle Köpfe zu Bakugou, den es nicht weniger interessieren könnte, doch störte es ihn, dass Aizawa recht hatte. Es war nicht in Ordnung, in der Uni, geschweige denn auf dem zukünftigen Arbeitsplatz, einfach wegzunicken.
Selbst wenn man scheinbar einen Geist bei sich zu Hause beherbergte.

Bakugou war der erste, der zu Hause ankam. Kirishima und Sero hatten noch eine Vorlesung, Kaminari war auf einem Date mit irgendeinem Mädchen, an dessen Namen er sich nicht erinnerte. Zu seiner Verteidigung muss gesagt werden, dass es niemandem leicht viel, die Namen von Kaminaris wechselnden Freundinnen zu behalten.
"Ich bin aber kein Player, ich habe nämlich nie zwei Freundinnen gleichzeitig", hatte Kaminari ein Mal deutlich gemacht. Er nannte sich selbst einen 'Frauenheld', weil das positiver klang, und als würde er denn Frauen einen Gefallen tun, "Was ich auch tue. Sie mögen mich schließlich und haben eine schöne Zeit mit mir", war eines seiner Argumente gewesen.

Bakugou musste nur bei dem Gedanken an diesen nervigen Vollidioten genervt seufzen. Trotzdem klammerte sich seine Hand an den Riemen seiner Laptoptasche, als könnte er ihn so zurückzaubern. Gerade wollte er nämlich definitiv nicht alleine in dieser Wohnung sein.
Weil er nämlich wusste, dass er nicht alleine war.
Als er hörte, wie ein Fenster leise quietschte, gab er sich selbst den Befehl zum Rückzug und floh panisch aus der Tür. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal solche Angst verspürt hatte wie gestern und jetzt, da er durch den Flur raste. Im Augenwinkel sah er, wie jemand die Tür im Gang zu seiner Linken öffnete, ignorierte die Bewegung aber, drückte die Türen zum Haupteingang auf und beugte sich schwer atmend nach vorne, seine Hände stürzten sich auf seine Knie.
Sein Herz beruhigte sich jedoch nicht. Prinzipiell hatte er keine Ahnung, ob er dem Geist entkommen war oder nicht, oder ob er Bakugou gar nicht erst verfolgt hatte. Dieses Gefühl des nicht-wissend erschreckte ihn fast genauso wie der Geist selbst. Es kam ihm vor, als hätte man sein Gehirn geschüttelt, dessen Inhalt ausgeleert und mit Zweifel gefüllt. Er kniff seine Augen zusammen und stellte sich gerade hin. Seine Hand ballte sich fest zu einer Faust und zog ihn schwer und steif nach unten.
"Beruhig dich", zischte er durch seine zusammengepressten Zähne. Erstaunlicherweise schien sein Zuspruch zu wirken, denn er spürte, wie sein Herzschlag sich nach einer Weile verlangsamte.

Irgendwann fühlte er sich dann wieder gut genug, um ernsthaft nachdenken, was zur Hölle er jetzt tun sollte. Er würde auf keinen Fall wieder in das Gebäude zurück gehen, das war ausgeschlossen. Bis Sero und Kirishima zurück waren würde es noch dauern, er schätzte mal zwei Stunden. Währenddessen könnte er ins Fitnessstudio gehen. Obwohl, nein, schließlich hatte er keine geeigneten Klamotten dabei. Er könnte in der Bibliothek an seinem Projekt weiterar- Plötzlich hatte er eine Idee. Sie war wahrscheinlich komplett irrsinnig und würde zu nichts führen, aber was blieb ihm schon anderes übrig?
Also machte er sich auf den Weg zur Bibliothek seiner Universität.

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