Kapitel 22

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Thomas

„Beeil dich, gleich beginnt der Unterricht", treibe ich Noemi an.

Sie wohnt nun bei mir im Zimmer. Sie hat mich mit ihrem Welpenblick so lange angeschaut und mich gefragt, ob sie nicht doch bei mir schlafen könnte, dass ich es nicht übers Herz gebracht habe, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Ich sei schließlich ihre Tante, hat sie gemeint. Wie soll man da Nein sagen?

Inzwischen liegt die erste Woche Unterricht hinter den Kindern. Ich habe gestern mit den beiden Lehrerinnen gesprochen, die ich für die Ausbildung der Kleinen abgestellt habe. Alle sind fleißige Schüler. Doch Noemi hebt sich durch Intelligenz und Eifer deutlich von den anderen ab.

Die ganze Woche über bin ich mit ihr am Abend in die magische Welt geschlichen und wir haben dort bei Gordins Hütte Kampftraining gemacht. Am letzten Abend kam Horx vorbei und hat sich auf die Bank vor dem Haus gesetzt.

„Es ist, wie in alten Zeiten", meinte er. Mehr sagte er aber nicht.

Noemi ist inzwischen fertig und ich bringe sie schnell zum Klassenzimmer. Anschließend mache ich mich auf den Weg zur Audienz. Diese ist heute besonders langweilig. Deshalb mache ich mich am Nachmittag auch mit Begeisterung über die verschiedenen Projekte her, die Anna vorbereitet hat. Ihr liegt die Entwicklung der entlegeneren Gebiete besonders am Herzen und ich bin von ihrer Arbeit mehr als begeistert.

„Mach weiter. Das ist alles perfekt", lobe ich sie. „Ich mache mich mit den Kindern auf den Weg in die Welt der Menschen."

„Kommst du heute noch zurück?", will sie wissen.

„Ich kann es noch nicht sagen."

Ich weiß es wirklich noch nicht. Eine innere Stimme sagt mir, ich sollte etwas mit Thomas unternehmen. Wir haben uns in den letzten Tagen kaum gesehen, weil er meist unterwegs war, wenn ich in der Welt der Menschen zu Besuch war.

„Nimm dir ruhig etwas Zeit auch für dich", meint sie.

Anna scheint zu wissen, was mich bewegt. Sie lächelt wissend. Da die Kinder kommen, werden wir jedoch unterbrochen und das Gespräch ist damit zu Ende. Trotzdem haben wir beide verstanden.

Gemeinsam mit den Kleinen mache ich mich auf den Weg durch den Geheimgang, wo bereits Orion wartet. Die Kinder und mich kann er locker tragen, vor allem weil die Strecke nicht weit ist.

Es war damals eine echt gute Idee gewesen, Noemi zuerst den Drachen zu zeigen. Sie hat ihre Freunde ermutigt, auf Orion zuzugehen und ist sofort auf seine Vorderpfote gestiegen, als er sie ihr hinhielt. Nach kurzem Zögern folgten die Buben, die sich vermutlich vor einem Mädchen keine Blöße geben wollte und am Ende saßen alle auf dem Drachen. Beim Abflug haben sie sich ein wenig erschrocken, aber als Noemi im Flug vor Freude gejuchzt hat, war auch bei den anderen der Bann gebrochen.

Heute klettern sie ohne Scheu auf den Schattendrachen und schon geht es zurück in ihre Welt. Wir landen bei den Buchen und eilen zum Krankenhaus. Der geschützte Korridor ist noch immer aufrecht und so gelangen wir innerhalb kürzester Zeit zu den Menschen.

„Dürfen wir vorauslaufen?", erkundigt sich Noemi artig.

„Natürlich!", antworte ich. „Lauft zu euren Eltern."

Voller Begeisterung machen sie sich eilig auf den Weg und ich blicke ihnen hinterher. Sie sind alle mit Spaß bei der Sache. Vor allem Noemi ist wissbegierig. Am besten gefällt ihr jedoch das Kampftraining. Sie hat nicht ein einziges Mal gemurrt. Dabei haben wir jeden Abend zwei Stunden lang hart trainiert. Ich wette, sie hatte einen Muskelkater. Aber sie konnte trotz allem nicht genug bekommen.

Nun aber freuen sie sich, wieder ihre Liebsten zu sehen. Ich bin froh über die Entscheidung, sie nicht ins Drachenland zu schicken. Vom Schattenreich aus ist es für sie einfacher, Zeit auch zu Hause zu verbringen. Sie sind immer noch Kinder.

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