„Bist du bereit?"

45 2 0
                                    

Nach einem anstrengenden Flug und einem langen Telefonatmit meiner Mutter öffne ich erschöpft die Tür zu unserem Zimmer. Müde lasse ich meinen Koffer im Raum stehen und werfe mich auf mein Bett. Unbeachtet darauf, dass meine Kleidung zerknittert wird und meine Schuhe die Bettdecke dreckig machen. Erleichtert atme ich aus. „Endlich im Bett", murmle ich in mein Kissen. Mir ist es egal, wie ich jetzt aussehe oder das mein Bett schmutzig wird. Ich bin so kaputt, dass ich einen Tag lang durchschlafen könnte und mich selbst eine Sirene nicht wecken würde. Die Reise hinzu war leichter, als die Rückreise. Die Verabschiedung war schon eine Nummer für sich. Meine Mutter wollte uns nicht gehen lassen. Besonders Aiden. Sie hat ihn in ihr Herz geschlossen, auch wenn sie uns beim Küssen erwischt hat. Bis jetzt haben wir nicht über den Kuss geredet. Keiner von uns hat ein Wort darüber verloren. Wir haben uns so verhalten, als wäre es nie passiert. Er hätte zu viel Anstand um mich auf eine Antwort festzunageln und ich bin viel zu schüchtern dafür. Auch wenn ich seitdem ich auf dem College bin, selbstbewusster geworden bin, kann ich immer noch nicht meine Gefühle für jemanden ausdrücken. In meinem Fall, ist es Aiden. Ich muss bei einer passenden Gelegenheit das Thema ansprechen, sonst werde ich noch wahnsinnig. Doch wann ist schon der perfekte Moment dafür?

Aiden schließt vorsichtig die Tür und stellt seine Tasche neben sein Bett. Auch er lässt sich auf sein Bett fallen. Nur bei ihm sieht es eleganter aus. Wieder ein Vorteil, wenn man royal erzogen wurde. Jede Bewegung sieht elegant aus, was bei mir nicht der Fall ist.

„Ich könnte jetzt sofort einschlafen", sage ich und starre an die Decke.

„Wirklich? Es ist erst früher Nachmittag", kontert Aiden und ich höre wie sein Bettlacken raschelt.

„Wie kann es sein, dass ich hundemüde bin und du putzmunter?", frage ich erstaunt nach.

„Für mich war es eine aufregende Reise. Du bist schon öfters gereist. Für dich ist es zur Routine geworden. Egal ob mit dem Bus oder dem Flugzeug. Ich kenne diese Fortbewegungsmittel nicht. All das zu begreifen war schon aufregend", sagt er und atmet schwer aus. Ich brumme ihm stimmend zu.

Es ist ruhig. Keiner von uns sagt etwas. Wir genießen die Stille. Nur ab und zu höre ich das Rascheln des Bettlakens. Ich bin schon fast eingeschlafen, als ich Aidens Stimme vernehme. „Willst du auf ein Abenteuer gehen?"

Schlagartig reiße ich die Augen auf und drehe mich in seine Richtung um. „Wie meinst du das?", frage ich neugierig nach.

„Ich glaube es ist an der Zeit, dass ich dir meine Welt zeige."

Ungläubig reiße ich den Mund auf. „Du meinst doch nicht etwa-"

Sein Nicken ist Antwort genug.

Sofort springe ich auf, dabei nicht bedacht, dass meine Haare mir die Sicht versperren. Hastig streiche ich sie mir aus dem Gesicht. „Das würdest du wirklich machen?"

„Es wäre nur fair. Also was hältst du davon?", fragt er nach und richtet sich ebenfalls auf.

„Wann geht es los? Wie kommen wir dahin?" Ich sehe ihn stirnrunzelnd an. „Wie kommen wir in eine Welt, die nur aus Wörtern und Vorstellungsvermögen geschaffen wurde?"

Aiden steht auf, streckt sich und geht rüber zu seinem Schreibtisch. Er nimmt das Buch in die Hand und überreicht es mir. „Ganz einfach. Wir wünschen es uns."

Ungläubig nehme ich das Buch und schaue vom Buchcover zu ihm. „Das funktioniert doch nicht."

„Es hat schon einmal funktioniert. Warum sollte es nicht noch einmal klappen?" Er setzt sich neben mich. „Du musst es nur stark genug wollen und daran glauben."

Ich fahre die Einhebungen des Buches nach. Es klingt verrückt. Zu surreal. Ich versuche bei gesundem Menschenverstand in ein Buch zu reisen. Ein Buch was nur aus Seiten besteht und es logisch betrachtet, gar nicht funktionieren dürfte. Doch Aiden sitzt neben mir. Er ist der lebende Beweis, dass nicht alles auf Logik beruht. Ab und an mischt sich ein Funken Magie dazu und es ist alles machbar. Schließlich konnten die Pevensie Geschwister durch einen Kleiderschrank nach Narnia gelangen. Aber nur weil der Schrank aus einem magischen Holz geschnitzt wurde. Vielleicht funktioniert es hier ähnlich. Ich muss ihn vertrauen und mich darauf einlassen.

„Wir können doch nicht einfach von hier weg. Die Semesterferien sind bald zu Ende und die Vorlesungen gehen weiter", fange ich an, doch er unterbricht mich.

„Die Zeit vergeht anders als in deiner Welt. Es wird nicht auffallen, wenn wir nicht da sind", erklärt er mir.

„Wie lange bleiben wir", frage ich bedenklich nach.

„Wir bleiben so lange, wie du möchtest. Wenn du alles gesehen hast und das Gefühl nach Hause zu gehen, bringe ich dich wieder her."

Das Angebot klingt verlockend. Doch was passiert danach? Was passiert nach den Abenteuern, die ich dann erlebt habe? Eine Frage, die mir den Magen umdreht und ich das Bedürfnis habe mich übergeben zu müssen.

„Werde ich dich danach wieder sehen?" Ich kann ihm dabei nicht in die Augen sehen. Zu groß ist die Gefahr, dass ich hier und jetzt in Tränen ausbreche. Innerlich kenne ich die Antwort auf meine Frage bereits.

„Genießen wir die Zeit, die wir zusammen sind. Wer weiß was sich entwickelt. Wer weiß wann wir uns wieder sehen. Niemand kann dir das sagen. Ich weiß es nicht. Das Schicksal bestimmt wann wir uns wiedersehen", seine Stimme wird brüchig und er schaut zur anderen Seite des Zimmers.

„Dann lass uns ein Abenteuer erleben", sage ich und stehe auf. Er tut es mir gleich. „Ich muss mich noch umziehen", erklärt er und sieht an sich herunter.

Er muss nichts weitersagen. Ich drehe mich um und starre auf den Campus. Hinter mir raschelt es ab und an. Kurze Zeit später räuspert er sich. Ich drehe mich wieder zu ihm. Vor mir steht Aiden in seinem Gewand. So wie ich ihn kennen gelernt habe.

„Es ist ungewohnt, dich darin wieder zu sehen." Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Diese Robe ist eines Prinzen würdig", sagt er in einem tiefen Ton und stellt sich demonstrativ imposant hin. Jetzt kann ich nicht anders und pruste los. Aiden versucht ernst zu bleiben, doch kann das Lachen nicht länger verkneifen. Herzlich steigt er ein und krümmt sich vor Lachen. Nur mit Müh und Not können wir uns langsam beruhigen.

Er nimmt das Buch in die Hand und hockt sich hin. Gespannt sehe ich ihm dabei zu, wie er das Buch aufschlägt und zwischen uns hinlegt. Dann steht er wieder auf und reicht mir seine Hand. „Bist du bereit?"


Enchanted by you Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt