Kapitel 4: Ein gutes Milchshake

10 2 0
                                    

„Und welche von deinen Zehntausend Fragen möchtest du zuerst beantwortet haben?" Nachdenklich legte Amber ihren Kopf erst nach rechts und dann nach links, gerade als es schien sie hätte eine Antwort auf diese Frage gefunden kam die Bedingung und erkundigte sich nach den Wünschen der beiden jungen Frauen. Während Amber sich für einen Matcha Latte mit Mandelmilch entschied, etwas das Amieés Wissen nach Niemand trank, weil es schmeckte, wählte sie selber ein simples Bananen-Milchshake und eine Waffel mit Vanilleeis und Erdbeeren. Normalerweise hätte sie ein schlechtes Gewissen gehabt, aber heute konnte sie die Stimme ignorieren, die ihr sagte es sei unhöflich sich so viel ausgeben zu lassen.

„Also, wo kommst du jetzt her?" Kurz blickte sie der Bedienung hinterher, wendete sich dann aber Amber zu. „Ich bin in Frankreich geboren aber hier aufgewachsen. Und mein Vater kommt aus Japan." Aimeé versuchte sich etwas zu entspannen, was ihr nur halb gelang. „Ah, verstehe. Dann ist ein bisschen so wie bei mir. Ich komme aus Amerika, genauer gesagt New York, bin dann hier ein paar Jahre zur Schule gegangen, dann zurück nach Amerika und jetzt wieder hier." „Das klingt..." Amber schnitt ihr das Wort ab. „Kompliziert ich weiß. Hin und her mit den Eltern, Scheidung, Gestreite, dann doch wieder zusammen und so weiter..." Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und einen abstoßenden Laut. „Sobald ich 18 war, habe ich mich dazu entschlossen hier in Deutschland zu wohnen, mein Abitur zu machen und zu studieren. Die Unterstützung vom Staat ist einfacher besser hier und es ist ruhiger. Leider zu ruhig... viel ruhiger als ich dachte. Hätte ich das gewusst hätte ich mich in München oder Nürnberg oder so beworben."

Amber lächelte auf eine seltsam-arrogante Art und Weise bevor sie weitersprach. „Versteh mich nicht falsch, es ist nett hier aber..." „Aber anders als New York oder eben München." Sie nickte bestätigend. „Genau! Es ist quasi nichts los. Man kann nicht wirklich gut shoppen, es gibt nichts zum Erleben... Aber jetzt auf einmal wechseln will ich auch nicht. Allein um meine Eltern zu beweisen das ich das hier auch allein schaffe." „Dann wohnst du auch allein?" Amber nickte kurz und nahm ihre Arme vom Tisch als die Bedingung mit ihrer Bestellung ankam.

Während Amber direkt zahlte, betrachtete Aimeé ihre Waffel und ihr Milchshake. Sie war sich nicht sicher, ob sie es als fancy oder doch eher kitschig beschreiben sollte. Nicht das es unappetitlich aussah, ganz im Gegenteil, es wirkte lediglich etwas zu bunt für ihren Geschmack. „Danke für die Einladung." Sie lächelte freundlich und nahm ein Schluck vom Milchshake. Es benötigte etwas Gewalt, um das Shake durch den Strohhalm zu bekommen, ein Zeichen für seine Qualität. „Ach am Geld solls nicht scheitern, sonst kann man hier ja nichts ausgeben. Warum wohnst du denn alleine?" Aimeé trank noch einen Schluck mehr, hauptsächlich um sich mehr Bedenkzeit zu verschaffen. „Ich brauchte einfach Ruhe, deswegen mache ich auch hier mein Abi fertig und nicht in München."

Ihr Gegenüber schien zu merken das mehr dahinter steckte und wollte noch nicht lockerlassen. „Und warum? Verkrachte Beziehung? Irgendwas Peinliches passiert in deiner alten Schule?" Ausweichend schlürfte Aimeé weiter ihr Milchshake und begann ihre Waffel zu essen, die Erdbeeren waren plötzlich so geschmackvoll wie ein Stück Pappe und so rau wie Sand. Während sie kaute, schüttelte sie wortlos den Kopf. Jetzt schien auch Amber zu merken das sie, wie die Zwerge von Moria, zu tief geschürft hatte. Sie trank einige schlucke ihres Matcha Latte und lächelte anschließend matt. „Sorry ich wollte nicht zu neugierig sein." Zu Aimeés Überraschung schien sie verständnisvoller als Alexander zu sein. Nicht nur entschuldigte sie sich, auch wechselte sie sofort das Thema.

„Warum eigentlich Meeresbiologie?" „W-Wie?" Ihre Stimme gab etwas nach, sie hasste es, wenn ihr sowas passierte. Dafür begannen die Erdbeeren wieder nach Erdbeeren zu schmecken. „Du meintest doch gestern bei der Vorstellung du willst Meeresbiologie studieren, am liebsten in München." „Achso, ja. Ich finde das Meer und seine Bewohner einfach faszinierend. Vor allem Knochen- und Knorpellose wie Quallen oder Seegurken." Ambers Gesichtsausdruck, der eine Mischung aus Ekel und Schock anzeigte entlockte ihr ein breites Grinsen. „Die sind süßer und freundlicher als du denkst." „Sie sehen schwabbelig und wabbelig aus... Und irgendwie schleimig." „Wabblig und schwabbelig ist doch super." Die letzte Erdbeere auf ihrer Waffel schmeckte wieder richtig intensiv, generell schmeckte diese Waffel verdammt gut.

„Und was ist mit dir, was willst du machen, wenn du hier fertig bist?" Sie schlang die letzten Bissen der Waffel herunter und spülte mit dem letzten Schluck ihres Milchshakes hinterher. „Physik fände ich spannend, Astrophysik, um ganz genau zu sein." Aimeé verschluckte sich an den Resten des Shakes und lachte hustend. „Was ist daran so lustig?" Amber blickte sie leicht beleidigt an. „Du machst einfach nicht den Eindruck als wäre das eine Leidenschaft von dir." „Ich bin mehr als blonde Haare und teure Markenklamotten." Noch immer leicht beleidigt schlürfte sie an ihrem Matcha Latte. „Ist mir schon klar, andernfalls wäre ich auch nicht hier und würde mit dir reden." Amber streckte ihr auf kindliche Art und Weise die Zunge heraus. „Ich bin ja auf den ersten Blick auch nur ein einseitiges Klischee." „Und deswegen sitze ich hier mit dir." Amber grinste leicht belustigt. Amieé erwiderte den Blick leicht verwirrt. „Weil du anders warst und aus der Masse herausgestochen bist. Nicht so langweilig und normal wie der Rest."

Gerade als sie ein Stück Waffel auf ihre Gabel spießen wollte, bemerkte sie das bis auf Krümel nichts mehr übriggeblieben war. „Und was ist Normale für dich?" „Guck dir den Rest der Klasse an, dann weißt du's, abgesehen von Maria." Fragend zog die beide Brauen hoch. „Wer?" „Gefärbte Haare, etwas düsterer." „Ah, ja. Ich erinnere mich." „Ich mag es einfach nicht, wenn Leute so gleichförmig sind." „Es gibt auch viele die es nicht mögen, wenn Jemand zu individuell ist." Konterte Aimeé mit einem leichten Schmunzeln. „Fair enough." Gab Amber zurück und grinste.

Gerade als das Gespräch ein wenig ins Stocken geriet erhob sich ihr Gegenüber plötzlich. „Das war doch ganz nett, ich muss aber langsam nach Hause. Noch was lernen und so." Aimeé nickte etwas überrascht. „Sicher, danke für die Waffel und den Shake." Dann erhob sie sich ebenfalls. Amber winkte ab. „Da nicht für." Dann verschwand sie auch schon, mit ihrem typischen leicht arroganten Schmunzeln, durch die Tür.

Aimeé selber ließ sich Zeit und spazierte gemütlich aus dem Laden hinaus, immerhin hatte sie heute nichts mehr vor. Gerade als sie durch die Tür gehen wollte, knallte sie beinahe mit Alexander und Anna zusammen. „Sorry... Ah, du bist es" Alexander lächelte sie freundlich an, seine Begleitung hingegen wirkte wenig begeistert sie hier zu sehen. „Ah, hey. Sorry." In einem Versuch diesmal höflicher zu erscheinen oder auch um ihre vergangene Unhöflichkeit wieder wettzumachen, hielt sie den beiden die Tür auf. Mit einer gewissen Eile zog Anna Alexander an sich vorbei in das Café, dieser wirkte etwas überrascht, wehrte sich allerdings nicht. „Wir sehen uns dann morgen." Sie nickte. „Dann bis morgen."

Auf dem Heimweg ließ sie ihre Gedanken schweifen. Vielleicht war er gar kein so übler Kerl und es lag daran, dass sie so unfassbar mies drauf war? Und komisch das es Amber auf einmal so eilig hatte, vielleicht weil sie die beiden schon früher auf der Straße gesehen hatte? Nein. Nein, warum sollte Amber vor den beiden fliehen. Mit ihrer gro0en Klappe könnte sie wahrscheinlich die gesamte Schule alleine niederreden. Aber sie mochte die Queen Bee irgendwie, sie hatte etwas Direktes und Offenes an sich das Aimeé wertschätzen konnte.

Der Rest des Tages verlief ruhig, dass Gespräch mit Amber hatte ihren Nerven doch ganz gutgetan. Diesmal schaffte sie es auch sich etwas Anständiges zu kochen, vor allem brannte ihr Essen diesmal nicht halb ab. Anschließend ein kurzes Telefonat mit ihrer Tante, in dem sie diese auf den Stand er Dinge brachte und ein wenig von der Schule und ihren Lehrern erzählte. Und obwohl Aimeé kaum etwas getan hatte, fühlte sie sich mental dermaßen erschöpft das sie wieder sofort ins Bett hätte springen können. Nur die Angst vor einer Nacht wie der Gestrigen hielt sie zurück.

Also gab es für Aimeé nur eine logische Entscheidung, sie musste sich an den Rechner setzen und solange zocken, bis sie vor Müdigkeit beinahe umkippen würde. Bis 22:00 Uhr hielt sie durch. Als sie kurz davor war auf ihrem Stuhl einzuschlafen, aber sich selbst wieder aus dem Halbschlaf riss als sie den Controller auf die Tischplatte fallen ließ, schreckte sie hoch. Kurz blickte sie sich erschrocken und suchend nach der Quelle des Lärms um, fand sie und sackte erneut im Stuhl zusammen. „Menno..." Sie starrte auf den Bildschirm, gestorben. Dabei war das ein so guter Versuch gewesen, aber es half ja alles nichts.

Glücklicherweise hatte sie sich diesmal schon ihrer Kleidung entledigt und trug nur noch eine Jogginghose und ein T-Shirt. Dabei handelte es sich um eines ihrer Lieblings T-Shirts, es stammte von ihrer Lieblingswebserie, einer Show über Dungeons and Dragons. Sie hoffte einfach, dass ihr Glücksbringer sie sicher durch die Nacht geleiten würde, vielleicht wollte sie sich auch einfach nur selbst austricksen. Mit einem lauten Gähnen stand sie auf und wackelte zu ihrem Bett, um sich auf die Matratze fallen zu lassen und schloss, diesmal innerlich ruhiger, die Augen.

WolfsgesichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt