Kapitel 11: Post aus dem Nirgendwo

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Die nächsten Tage vergingen deutlich unspektakulärer. Vor allem die Lerngruppe vor der sich Aimeé etwas Gefürchtete hatte, lief doch ruhiger aber als nun erwartet. Anna machte echte Anstrengungen ihre Physikkenntnisse zu vertiefen anstelle sie einfach zu antagonisieren und war deutlich umgänglicher als sonst. Amber und Alexander waren mehr mit tratschen beschäftigt. Sie unterheilten sich über die Lehrer, ihre Mitschüler und allgemein die Schule. Dabei nahm Amber steht's die Rolle der Queen Bee ein während Alexander den typischen Nice Guy mimte und zu allem und jedem das Amber aufbrachte, etwas Positives anzumerken hatte.

Hier und dort musste Aimeé als diejenige mit dem Fachwissen die Zügel in die Hand nehmen und beide ermahnen fleißiger mitzuarbeiten. Nach zwei Stunden war diese Mischung aus produktiver Lerngruppe und sozialer Anstrengungen für sie beendet. Alexander und Anna verabschiedeten sich direkt, Amber verblieb noch etwas in der Wohnung. Als die Tür zufiel und sie nur noch zu zweit waren grinste sie leicht spöttisch.

„Und war das so schlimm?" Sie leerte ihr Glas in einem Zug und seufzte theatralisch. „Schön war es nicht... Schlimm aber auch nicht wirklich. Es war... okisch?" Amber hatte sich auf dem Sofa breit gemacht, Aimeé saß daneben und tippte auf ihrem Smartphone herum. „Das ist doch ein Fortschritt oder nicht?" Kurz ließ sie ihr Handy sinken und musterte Amber die gerade damit beschäftigt war ihre Strumpfhose zu begutachten. „Vielleicht." „Reicht mir." Schließlich blickte ihr gegenüber sie ebenso an und lächelte. „Dir ist klar das du nicht meine Therapeutin bist oder?" „Aber deine Freundin, also kann ich ja helfen. Apropos Freundin, schreibst du ihr gerade?" Erneut ließ Aimeé ein Seufzen von sich hören. „Manchmal bist du viel zu neugierig Amber." „Wenn ich ZU neugierig werde schrei mcih an, hau mir eine runter oder mach etwas anderes in der Art. Dann bemerke ich es sicherlich." Diesmal grinste sie belustigt und nickte. „Ich werde dich daran erinnern, verlass dich drauf."

Auch die Tage danach vergingen ohne nennenswerte Zwischenfälle. Sogar die bösen Blicke von Anna in der Schule ließen langsam nach, was den Alltag deutlich erträglicher und angenehmer machte. Mit jedem einzelnen Tag fühlte es sich mehr so an, als könnte sie das restliche Jahr hier verbringen und ohne Probleme ihren heiß ersehnten Abschluss machen. Eine Einschätzung, die sich in vierten Schulwoche in Wohlgefallen auflöste.

Der Tag verlief eigentlich ganz normal. Aimeé stand auf, ging in die Schule und brachte den Tag ohne Probleme hinter sich. Als sie den Briefkasten öffnete, starrte ihr neben der obligatorischen Werbung ein brauner Umschlag entgegen. Sie stutzte. Eigentlich erwartete sie nichts das in dieses Format passen würde. Ihre Mangas waren dicker, Poster wurden in Rollen geliefert und, sie zog den Umschlag aus dem Briefkasten und betrachtete ihn, kein Absender war zu finden. Auch kein Empfänger, Jemand hatte das Ding händisch eingeworfen. Mehr Werbung?

Aimeé lief ein Schauer über den Rücken, das gleiche Gefühl was sie schon einmal gespürt hatte, damals als Alex sie besucht hatte. Ohne sich weiter vor der Haustür aufzuhalten stapfte sie in ihre Wohnung, warf ihren Rucksack auf den Wohnzimmertisch und öffnete den Umschlag. Sie nahm sich weder die Zeit ihre Schuhe auszuziehen, noch die Zeit den Brieföffner zu holen den sie besaß, sie hasste Risskanten bei Postsendungen eigentlich. Doch ihr ungutes Gefühl erlaubte keine weitere Verzögerung. Das abgerissene Endstück warf sie zu Boden und drei Polaroids fielen ihr in den Schoß. Sie stutzte erneut und nahm die Photographien in die Hand um sie genauer zu mustern.

Augenblicklich drehte sich etwas in ihrem Magen um, am liebsten hätte sie über den tisch gekotzt und die Dinger in alle Einzelteile zerrissen. Die Abzüge zeigten sie und Alex, zusammen am Brunnen in der Mitte der Stadt. Genauer gesagt sie zeigten wie die beiden sich küssten. Das zweite Bild zeigte die beiden auf dem Heimweg und das Dritte war einfach nur ein Bild ihrer Wohnungstür. Darauf hatte Jemand mit einem schwarzen Marker ‚ich weiß es' geschrieben.

„Was zur Hölle?!" Aimeé konnte nicht anders und brüllte die Polaroids an, sie kam sich vor wie in einem schlechten Film. Hektisch griff sie nach dem Umschlag und untersuchte jeden Zentimeter des Papiers. Kein Absender, kein Empfänger, kein weiterer Inhalt. Was sollte das alles?! Ihr wurde schwindelig. Warum würde sie Jemand mit Alex fotografieren, wer würde sowas machen und vor allem was bezweckte diese Person damit? War das eine Drohung, sicher keine Erpressung dann gäbe es Forderungen oder etwas dieser Art. Von solchen Dingen las man ja häufig genug oder man sah es in Krimis.

„Fuck... atmen Aimeé... atmen." Sie befahl sich selbst etwas zu beruhigen, erhob sich, ging in die Küche und trank einen Schluck kaltes Wasser. Es half zumindest ein klein wenig. „Fuck ey!" Diesmal schrie sie den Kühlschrank an, sie war den Tränen nahe. Panisch ging sie zurück in's Wohnzimmer und griff ihr Handy, sofort schrieb sie ihrer Tante. Sie konnte Alex nicht schreiben, sie konnte sie damit nicht belasten. Innerhalb von wenigen Sekunden klingelte ihr Smartphone, mit zittrigen Fingern nahm sie an und beruhigte sich etwas als sie die bekannte und sanfte Stimme ihrer Tante vernahm.

„Ashai deine Nachricht hat mich erschreckt, was ist den los?" Ihre Tante klang äußerst besorgt. „Ja! Ich... Ich weiß nicht was hier passiert!" Aimeé konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten, sie begann zu Schluchzen. „Beruhige dich etwas, was genau ist passiert?" Unter Tränen und Geschluchzte berichtete Aimeé ihrer Tante was geschehen war. Der seltsame Umschlug in ihrem Briefkasten und die gruseligen Fotos darin. Nach Ende des Berichts herrschte kurzes Schweigen. Während sie selber damit beschäftigt war sich in ein Taschentuch zu schnäuzen, schien ihre Tante zu überlegen.

„Das ist in der Tat sehr beunruhigend. Du solltest auf jeden Fall Dr. Riebmann schreiben und die Polizei benachrichtigen." Der letzte Teil des Satzes brachte sie beinahe wieder den Tränen nahe. „Aber..." Am anderen Ende der Leitung würde geseufzt. „Ich verstehe dich Asahi, wirklich aber hier geht es um deine Sicherheit." „Und was soll ich denen erzählen, was sollen die mit ein paar Bildern anfangen? Die werden mich wahrscheinlich auslachen und dann wird im besten fall noch getratscht!" Erneutes Schweigen. Erst nach einer guten Minute wurde wieder gesprochen.

„Ich kann und will dich nicht zwingen, ich bin einfach nur besorgt. Ich will nicht warten bis es ‚mehr' Beweise gibt. Bitte sprich mit Dr. Riebmann, so schnell es geht. Und melde dich bei mir, wenn irgendetwas passiert oder du irgendetwas brauchst. Schreibst du ihr?" „Ich... Ich weiß es nicht..." „Verstehe. Vielleicht solltest du dich für die restliche Woche krankmelden?" „I-Ich... Vielleicht..." Aimeé hatte sich einigermaßen beruhigt, es tat gut einen vertraute stimme zu hören. Was sie sagte schien weniger relevant zu sein. „Ich sage es nochmal, wenn irgendetwas, egal was, geschieht melde dich. Dann komme ich so schnell wie es geht." „Danke Tomo..., dass... das hat gutgetan. Ich schreibe sofort Dr. Riebmann. Und Alex, muss ich mir überlegen. Ich will sie nicht mit in irgendetwas reinziehen..." „Das hast du bereits. Es heißt nicht umsonst ‚In guten wie in schlechten Zeiten', sie vertraut dir, du solltest auch ihr vertrauen."

Aimeé nickte, wohlwissend das ihre Tante das nicht sehen konnte. Dennoch schien sie es zu merken oder sie kannte ihre Nichte einfach gut genug. „Dann pass auf dich auf Asahi und melde dich sobald du mehr weißt." „Mache ich, danke Tante Tomo." Dann legte sie auf und schnäuzte sich erneut. Sie fühlte sich bereits besser, sicher nicht großartig aber deutlich besser als vorher. Ohne zu zögern schrieb sie eine E-Mail an ihren Psychologen und schickte sie ab. Die Fotos steckte sie zurück in den Umschlag, wenn sie weiter darauf starrte müsste sie wahrscheinlich wirklich erbrechen. Den Umschlag steckte sie in einen Schrank in der Küche, dort wo Wein- und Schnapsgläser standen. Es war der Ort der ihr in der Hektik am ehesten einfiel, dort schaute sie eh nie rein, Alkohol war ihr zuwider.

Anschließend ließ sie sich erneut auf der Couch nieder, am liebsten wäre sie ins Bett gegangen und hätte sich unter ihrer Decke verkrochen. Dumm nur das es gerade mal halb drei war und all diese Emotionen sie so aufwühlten das sie im Leben keine Ruhe finden würde. Sie erhob sich erneut, ging zurück in die Küche um sich eine Flasche Eistee zu holen, dabei fiel ihr Blick unfreiwillig auf die Schranktür, in welcher der Umschlag lauerte. Sie riss sich von dem Anblick los, warf sich wieder auf das Sofa und nahm einen großen Schluck aus der Flasche, dann setzte sie sich ihr Headset auf und versuche sich mit Video abzulenken, ungeduldig wartend auf die Antwort von Dr. Riebmann.

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