Als Aimeé ihre Augen wieder öffnete, fand sie sich auf dem Sofa wieder. Der Lüfter des Laptops surrte noch immer leise vor sich hin, sie war wohl während des Films eingeschlafen. Alex hingegen saß auf dem Boden, den Kopf an die Sitzfläche des Sofas gelehnt. Sie konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen und betrachtete ihre Freundin etwas, sie mochte ihr ruhiges, schlafendes Gesicht. Auch wenn sie sich dabei manchmal etwas creepy fühlte, wenn sie Alex einfach so anstarrte.
Mit einem leichten Gähner stand sie auf und streckte sich ausgiebig, ihre Gelenke fühlten sie allesamt verdreht an. „Heeeey... Bist du schon wach?" Als keine Antwort kam tippte Aimeé mit ihrem Fuß Alex Arm leicht an. „Mhmh..." Sie grinste erneut streckte sich ein letztes Mal bevor sie Richtung Bad ging. „Aufwachen, ich gehe fix duschen." „Warte auf mich... Oder ne lass es sein." Gerade als Alex versucht hatte sich aufzurichten sank sie wieder auf dem Sofa zusammen. „Jaja, stirb einfach nicht bis ich fertig bin." „Aye, Aye Capt'n." Alex salutierte schwach und grinste dumm. „Blöde Nudel..." Murmelte Aimeé vor sich hin und ging weiter.
Noch immer etwas schlaftrunken zog sie ihre Klamotten aus und warf sie achtlos in die Richtung des Wäschekorbes. Aimeé hatte beinahe immer ein frisches Paar Unterwäsche im Bad herumliegen, für den Fall das sie im Halbschlaf in die dusche stieg und ihre Wäsche vergaß. Als das warme Wasser auf ihren Rücken und Kopf prasselte, seufzte sie wohlig auf. Sie liebte das Gefühl, als würde das Wasser den gesamten Stress der restlichen Woche wegspülen.
Erst nach einer Viertelstunde drehte sie das Wasser wieder ab und stieg aus der Dusche. „Ich lebe wieder!" „Schade!" Kam es aus dem Wohnzimmer mit sarkastischem Unterton zurück. Das war zwar nicht für Alex gemeint, Aimeé grinste dennoch und begann sich die Unterwäsche anzuziehen. Sie stockte. Ihr BH war nicht an der Stelle an der sie ihn sonst immer hinlegte, genaugenommen war er nirgendwo zu sehen. Leicht verwirrt begann sie den Wäschekorb zu durchsuchen. Nichts. Lediglich der BH den sie bis eben getragen, und dort hineingeworfen hatte.
Sie seufzte erneut, diesmal jedoch genervt. Wahrscheinlich hatte sie im Stress vergessen einen frischen BH ins Bad zu legen. Sie hasste es halb- oder ganz nackt durch ihre Wohnung zu gehen, dass Alex anwesend war machte das Ganze nicht besser, auch wenn sie ihre Freundin war und im Grunde nichts Neues sehen würde.
„Hey, kannst du mir einen BH aus meinem Zimmer bringen?" „Ich kanns auch lassen und mich am Anblick erfreuen." Aimeé antwortete nicht, sie überlegte noch was sie darauf erwidern könnte als Alex sich erneut zu Wort meldete. „Welchen?" „Schlafzimmer, Kommode, erste Schublade rechts. Der weiße, kennst du." „Ah! Ich denke ich weiß was du meinst, gib mir ne Sekunde."
Es verging eine Minute in der Aimeé ungeduldig im Bad auf und ab ging. „Hier." Alex streckte eine Hand durch den Türspalt. „Ich weiß du bist müde aber das ist schwarz. Das ist das Gegenteil von Weiß..." „Der Weiße ist nicht da, frag mich nicht." Sie nahm den BH aus Alex Fingern und Zog ihn einfach an, auch wenn sie der Farbunterschied störte.
Als sie schließlich das Bad verließ und in ihr Zimmer ging um sich die restlichen Klamotten zu suchen kam sie nicht drumherum selber in der Kommode nachzusehen. „Er ist wirklich nicht da..." „No shit, danke Sherlock. Du kannst meinen Augen schon vertrauen." „Muss ich mir sorgen machen das du meine Wäsche klaust oder so?" Sie grinste ein wenig und machte sich eine mentale Notiz diesen verdammten BH später noch zu suchen. „Ich behaupte das hab ich nicht nötig."
„Auch wieder wahr. Frühstückt?" Aimeé schlenderte in die Küche nachdem sie sich ihr Handsome-Jack T-Shirt, eine ihrer Lieblingsshirts, übergestreift hatte. „Bin dabei." Kurz starrte Alex sie, oder vielmehr ihren Oberkörper, an. „Der Typ macht mich wahnsinnig." „Der Typ ist super!" Sie lächelte triumphierend und schob vier Scheiben Toast in den Toaster.
Anschließend frühstückten die beiden ohne Zwischenfälle, entspannt und locker. Aimeé genoss die Zeit mit ihrer Freundin, es war ungezwungen, frei und lenkte sie von all dem ganzen Rest ab. Als sie begann das Geschirr abzuspülen, sie bräuchte mal eine Spülmaschine, hing sie wieder ihren Gedanken nach. So langsam schien ihr Leben wieder in eine Bahn zu finden in der es sich Leben ließ. Dennoch plagte sie der Gedanke daran das Alex morgen wieder zurück nach München fuhr.
„Alles in Ordnung?" Alex war hinter sie getreten und legte die Arme um sie. „Mhm, ich denke nur etwas nach." „Denk nicht zu viel und wenn doch... sprich mit mir oder mit deinem Therapeuten. Du bist nicht alleine." Kurz schloss sie die Augen und ließ den Teller, den sie eben abspülen wollte, sinken. „Ich weiß... und irgendwie auch nicht." Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verblieben die beiden in dieser Haltung während Aimeé den letzten Teller fertig spülte.
„Wann fährst du wieder?" Aimeé schaffte es erst nach gut einer Viertelstunde die Frage zu stellen, die schon seit dem Morgen in ihrem Kopf herumspukte. „Mhm, ich denke vormittags, dann bin ich abends zu Hause und kann mich noch etwas auf die Uni vorbereiten." „Dann habe ich dich ja noch eine Nacht hier." Aimeé fühlte wie Alex ihre Nase in ihrem Har vergrub. „Es wird ja nicht das letzte Mal sein. Dein Shampoo riecht verdammt gut." „Da erwacht der Sweettalker in dir." Sie grinste und löste sich aus der Umarmung. „Willst du heute noch etwas Spezielles anstellen?" „Ganz ehrlich... ich wüsste nicht was. Wir könnten noch ein bisschen spazieren gehen, du kannst mir helfen aufzuräumen... Mehr fällt mir nicht ein." Sie ließ sich schmunzelnd auf das Sofa fallen.
„Ich kann mir nichts vorstellen das romantischer wäre als mit dir zusammen aufzuräumen." Gab Alex zurück und ließ sich neben ihr nieder. „Dann machen wir das zuerst und gehen dann spazieren, erst die Arbeit dann das Vergnügen?" Aimeé nickte zustimmend und lehnte sich lächelnd an ihre Freundin. „Mir fällt gerade ein, wir könnten auch was zusammen zocken." „Da suche ich lieber deinen verschwundenen BH." „Das stört mich schon... ich würde gerne wissen wo der abgeblieben ist." Sie erhob sich wieder und lächelte Alex an. „Dann ran an den Speck, dafür gebe ich uns heute Abend auch etwas Schönes zum Essen aus." Alex lächelte und nickte zurück. „Dann los."
Die nächsten zwei Stunden verbrachten die beiden damit die Wohnung wieder auf Vordermann zu bringen. Es wurde geputzt, gesaugt und gewischt bis alles blitzblank und sauber war. Auch wenn die ganze Prozedur sehr erfolgreich war, tauchte Aimeés fehlender BH nicht mehr auf. Nach getaner Arbeit gönnten die beiden sich eine Flasche kalten Eistee und betrachteten in der Küche ihr Werk.
Der restliche Tag verging wie im Fluge und verlief genauso ruhig und angenehm wie Aimeé sich das vorgestellt hatte. Auch ihre Nacht war so geruhsam wie schon seit Monaten nicht mehr, kein rastloses Herumgewälze hinderte sie am Einschlafen und keine Albträume plagten ihren Schlaf. Und das obwohl sie bereits wusste das Alex am nächsten Morgen abreisen würde, als sie mit diesem Gedanken erwachte machte sie sich eine mentale Notiz, dass bei ihrem nächsten Gespräch mit Dr. Riebmann anzusprechen.
Als es schließlich Zeit war verabschiedete sie sich bereits an der Wohnungstür von ihrer Freundin, sie hatte noch immer ein Problem mit Abscheiden, auch wenn sie wusste das sie ihr Gegenüber in diesem Fall wiedersehen würde. Dennoch fühlte sie sich in ihren eigenen vier Wänden geborgener und nach einem letzten Kuss, dessen Geschmack sie so lange wie möglich versuchte im Mund zu behalten, setzte sie sich wieder an ihren Rechner um sich etwas abzulenken. Auch hatte sie ganz vergessen, dass sie die Hausaufgaben für den morgigen Schultag noch nicht erledigt hatte, etwas mit dem sie sich später oder vielleicht erst morgen auseinandersetzen würde.
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Wolfsgesicht
Mistério / SuspenseAimeé hat ihre beiden Eltern bei einem Segelunfall verloren, nach ausgiebiger Therapie und Auseinandersetzungen mit ihrer Familie und der jetzigen Ex-Freundin verläuft ihr Leben in einigermaßen normalen Bahnen. Als sie endlich wieder in die Schule g...