Kapitel 39

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„Ich bin dran!", rief Lux und hielt sich die Hände vor die Augen. „40, 39, 38..." Suchend sah ich mich um. Mein Kampfgeist war geweckt und dieses Mal wollte ich auf keinen Fall vor Harry gefunden werden. Es reichte schon, dass er die letzte Runde gewonnen hatte. Und auch dieses Mal war er bereits im Laufschritt unterwegs zu seinem Versteck. „29, 28..." Mein Blick fiel auf einen kleinen Tunnel, der etwas abseits lag. Mit ein bisschen Glück, würde Lux nicht direkt dort nachgucken. Der Tunnel war nicht sehr lang und hatte vor allem einen recht geringen Durchmesser, was aufrechtes Gehen unmöglich machte. Ich hockte mich in die Mitte und versuchte so leise wie möglich zu atmen. Lux zählte noch immer, war allerdings bereits fast bei Null angekommen. Auf einmal fiel ein Schatten in den Tunneleingang. Harry bückte sich und kam zu mir, ohne ein Wort zu sagen. „Was willst du hier? Das ist mein Versteck!", beschwerte ich mich, woraufhin Harry mit den Schultern zuckte. „Meins war doof.", murmelte er und sah zurück zum Eingang. Lux hatte mittlerweile aufgehört zu zählen. „Dann such dir ein anderes. Aber lass mich-" - „Shh", flüsterte Harry leise und hielt mir einen Zeigefinger vor den Mund. Wie elektrisiert erstarrte ich. Erst jetzt fiel mir auf, wie eng wir beieinander hockten. Noch immer berührte Harrys Zeigefinger meine leicht geöffneten Lippen. Dann wanderte er langsam zu meiner Wange. Bis jetzt war ich seinem Blick sicherheitshalber ausgewichen, doch nun sah ich ihn direkt an. Trotz der Dunkelheit um uns herum, konnte ich das Funkeln in seinen Augen deutlich sehen. Seine Atemzüge klangen in unregelmäßigen Abständen durch den Tunnel. Ich konnte und wollte mich nicht bewegen. Harrys Gesicht kam langsam näher. Sein Atem streifte mein Gesicht und jagte mir einen angenehmen Schauer über den Rücken. Sekunden schienen zu Stunden zu werden. Mein Körper stand unter Strom. Nur noch wenige Millimeter...

„Gefunden!" Augenblicklich wich Harry zurück. Obwohl ich seinen Blick auf mir spürte, erwiderte ich diesen nicht. Stattdessen starrte ich gebannt auf meine Schuhe, als seien sie das Spannenste auf der ganzen Welt. „Wieso seid ihr zu zweit in einem Versteck, das ist langweilig.", beschwerte sich Lux. Ich hob abwehrend die Hände. „Nicht meine Schuld. Ich war zuerst hier." Lux schüttelte missbilligend den Kopf. „Harry, du Doofie." Ohne auch nur ein Wort zu sagen, kroch Harry aus dem Tunnel und ging an Lux vorbei. Kopfschüttelnd sah ich ihm hinterher. Seine Stimmungsschwankungen verwirrten mich bis ins Unendliche. Gestern Abend hatte er mir noch klar gemacht, dass er mir nach wie vor nicht vertraute und nichts mit mir zutun haben wollte, dann war er kurz davor mich zu küssen und jetzt ignorierte er mich wieder komplett. Ich war wirklich gespannt, wie er sich morgen verhalten würde. 

„Mama sagt, wir müssen los, sonst fliegt das Flugzeug ohne uns.", teilte Lux mir mit, als wir Harry folgten, der mittlerweile bei Lou und dem Bodyguard, der uns sicherheitshalber begleitet hatte, angekommen. Als wir zu ihnen traten, sah er zu Boden und wich meinem Blick aus. Das könnten ein paar sehr interessante Stunden werden, die auf uns zukamen. 

Wir wurden direkt zum Flughafen gebracht, wo die anderen bereits auf uns warteten. Auch der Privatjet war schon startfertig, sodass wir nicht lange am Flughafen warten mussten. Ich setzte mich auf einen der Fensterplätze und lehnte mich zurück. Auf dem Hinflug hatte Lou neben mir gesessen, doch nun ließ Harry sich auf den freien Platz neben mir fallen. Natürlich. Die anderen sollten schließlich weiterhin denken, dass alles in bester Ordnung war. Mit mir reden tat er allerdings weiterhin nicht. Während das Flugzeug immer höher in die Luft stieg, sah ich aus dem Fenster und genoss die schöne Landschaft. Sobald wir die erste Wolkenschicht unter uns gelassen hatten, lehnte ich mich wieder in meinem Sitz zurück und sah Harry an. Sein Blick war weiterhin stur nach vorne gerichtet. „Du willst also einfach so tun, als sei nichts passiert?", fragte ich ihn, nachdem ich ihn eine Weile beobachtet hatte. Er bewegte sich nicht, nur seine Augen wurde ein Stück schmaler. „Es ist nichts passiert.", stellte er dann klar. Schnaubend schüttelte ich den Kopf. „Ernsthaft? Harry, du hättest mich fast geküsst." Dieses Mal dauerte es länger, bis er reagierte. Schließlich zuckte er mit den Schultern. „Ich habe dich nicht geküsst." Damit schien das Thema für ihn erledigt zu sein. Er holte seine Kopfhörer raus, steckte sie in seine Ohren und schloss die Augen. Ansprechbar war er jetzt ohnehin nicht mehr, also wandte ich meinen Blick seufzend wieder ab. Wie sollte ich jemals schlau aus diesem Jungen werden?

Der Flug dauerte nur ein paar Stunden, doch durch die Zeitverschiebung kamen wir trotzdem erst spät abends in der nächsten Stadt an. Hier würden gleich zwei Konzerte stattfinden, weshalb unser Aufenthalt dieses Mal etwas länger sein würde. Es war schon relativ dunkel, sodass wir auf der Fahrt zum Hotel nicht viel von der Umgebung sehen konnten. Das Hotel selbst war mal wieder äußerst luxuriös. Und auch dieses Mal war für Harry und mich ein Doppelzimmer vorgesehen. Nach diesem langen Tag wollte ich einfach nur noch ins Bett und schlafen. Meinetwegen würde ich diese Nacht auch das Sofa nehmen, Hauptsache war nur, dass ich sobald wie möglich schlafen konnte. Harry schloss die Tür auf und ließ mir dann den Vortritt. Seit dem kurzen Gespräch im Flugzeug, hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt. Die Tür fiel laut ins Schloss, dann herrschte wieder Stille. Dieses Zimmer war kleiner als das vorherige. Dadurch fehlte offenbar der Platz für gewissen Möbelstücke. Zögernd drehte ich mich zu Harry um, der das Doppelbett mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete. „Soll ich kurz runtergehen und nach einem zweiten Zimmer fragen?" Harry sah mich für einen kurzen Moment fast erschrocken an. Dann schüttelte er den Kopf. „Es ist schon spät. Jetzt noch ein Zimmer zu organisieren wäre viel zu aufwendig. Das können wir besser morgen regeln." Etwas unsicher ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen. „Okay... und wer schläft dann wo?" Harry zuckte mit den Schultern, ohne mich anzusehen. „Es ist nur eine Nacht. Und das Bett sieht relativ breit aus.", murmelte er. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag. Langsam nickte ich und ging zum Bett. „Alles klar. Wie du schon gesagt hast, es ist nur für eine Nacht." Doch ich wusste, dass ich diese Nacht vermutlich kein Auge zu kriegen würde, trotz meiner Müdigkeit. 

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