„Echt?“, fragte ich mit leiser Stimme. Es kostete mich allerlei Überwindung, meinen Blick nicht abzuwenden. Harry nickte kaum merklich. „Was waren die anderen… Beziehungen dann?“ Für eine gefühlte Ewigkeit reagierte er überhaupt nicht. Dann stand er zu meiner Überraschung auf, drehte mir den Rücken zu und sah aus dem Fenster. „Zuerst dachte ich, sie wären ebenfalls echt.“, sagte er, ohne sich zu mir umzudrehen. „Ich war verliebt, glücklich… naiv.“
In diesem Moment erinnerte ich mich an das Gespräch mit Gemma.
„Mein Bruder hat ein verdammt großes Herz. Keine schlechte Eigenschaft wenn du mich fragst, aber leider auch verhängnisvoll. Er wurde in den letzten Jahren mehrmals von angeblichen Freunden schwer enttäuscht und auch wenn er das niemals zugeben würde, weiß ich, wie sehr ihn das verletzt hat“
Ich wusste, dass ich nun endlich erfahren würde, was genau sie damit gemeint hatte. „Was ist passiert?“, fragte ich, neugierig und besorgt zugleich. Wieder dauerte es eine Weile, bis Harry reagierte. Schließlich lachte er kurz und verbittert auf. „Ich war nur eine Marionette. Immer hat irgendjemand anders die Fäden gezogen. Und ich war ein Idiot, der absolut nicht gemerkt hat. Dabei hätte ich es wissen müssen. Sie ziehen immer die Fäden. Egal um was es geht.“ Mittlerweile war ich aufgestanden und hatte mich neben Harry gestellt. Trotzdem sah er weiterhin aus dem Fenster. „Wer zieht die Fäden?“ Ich kannte die Antwort bereits. Dennoch hoffte ich, dass ich mich irrte. „Wir nennen sie spaßeshalber ‚gods above‘… wir haben sie sogar in einem unserer Lieder erwähnt. Nicht, dass ihnen das aufgefallen wäre. Unser Management hat ziemlich klare Ansichten davon, wie unsere Band… funktionieren soll. Allgemein gesehen ist es natürlich gut, dass wir jemanden haben, der alles für uns regelt. Aber unser Privatleben sollte auch privat bleiben. Ich bin nicht der einzige, der in dieser Hinsicht einige Probleme hatte… deshalb auch unser Insider ‚gods above‘. Du hast Logan ja kennengelernt. Und ehrlich gesagt hatte ich vor dieser Begegnung zuerst ziemlich Angst. Denn in seinen Augen bist du nichts Besonderes. In meinen schon, nur mal so nebenbei. Aber er ist aus irgendeinem Grund der Ansicht, dass an meine Seite ausschließlich berühmte Personen gehören. Deshalb habe ich befürchtet, dass er versuchen würde, uns so schnell wie möglich auseinander zu bringen. Ganz verdrängt habe ich diesen Gedanken immer noch nicht, aber ich habe keine Angst mehr. Denn dieses Mal werde ich ihn nicht die Fäden ziehen lassen. Auf keinen Fall.“
Natürlich. Natürlich waren Harrys frühere Beziehungen ebenfalls inszeniert. Natürlich war ich nur ein weiterer Versuch, ein weiteres Experiment. Ich war die nächste, die Harry verletzen würde. Niemals hätte ich mich auf den Vertrag einlassen dürfen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?
„Es tut mir so leid.“, flüsterte ich und sah zu Boden. Meine Augen füllten sich mit Tränen, wie so oft in den letzten Tagen. „Das ist doch nicht deine Schuld!“, entgegnete Harry sofort. Dann schien er mein Gesicht zu sehen, denn er wischte zärtlich die Tränen von meinen Wangen. „Emma, du bist das genaue Gegenteil von diesen Menschen. Das hier ist anders als alles was ich jemals erlebt habe. Und dafür bin ich dir endlos dankbar.“ Er zog mich eng an sich.
Sechs Monate. Mittlerweile fast nur noch fünf. So lange musste ich durchhalten. Dann würde alles einfacher werden. Kein Vertrag, keine Lügen, keine Geheimnisse. Und bis dahin würde ich alles dafür tun, dass Harry glücklich war.
Nach ein paar Minuten fragte Harry leise: „Alles wieder okay?“ Ich nickte und trat einen Schritt zurück. „Ja… ich bin momentan einfach etwas emotional.“ – „Emotionen sind immer gut.“, entgegnete Harry grinsend.
Ungefähr eine halbe Stunde später verabschiedeten wir uns von meiner Mutter und machten uns auf den Rückweg. Natürlich nicht bevor ich meiner Mutter versprochen hatte, sie bald wieder zu besuchen. Auch Harry sei jederzeit herzlich eingeladen, sagte sie und umarmte ihn zum Abschied.
„Danke, dass du mitgekommen bist.“, sagte ich, als wir schließlich im Auto saßen. Harry schüttelte lächelnd den Kopf. „Absolut nichts zu danken. Es war schön deine Mutter kennen zu lernen.“ – „Sie mag dich.“, stellte ich fest, obwohl ihm das sicherlich nicht entgangen war. Den Inhalt unseres Gespräches in der Küche behielt ich jedoch für mich. Harry antwortete nicht. Stattdessen löste er seine linke Hand vom Lenkrad und platzierte sie auf meinem Oberschenkel. „Und, was sind so deine Pläne für den Rest des Tages?“, fragte er nach einer Weile. Ich überlegte kurz. Dann entgegnete ich: „So weit ich mich erinnere, schuldest du mir noch immer eine Hausführung.“ Harry nickte langsam. „Da hast du Recht. Sonst noch irgendwelche Wünsche?“ – „Nicht direkt… aber rein theoretisch… hättest du etwas dagegen wenn ich danach bei dir bleibe?“ Harry hob grinsend die Augenbrauen. „Rein theoretisch? Nein, hätte ich nicht. Allerdings… gibt es eine Bedingung.“ Verdutzt sah ich ihn an. Damit hatte ich nicht gerechnet. „Eine Bedingung?“ Er nickte. Noch immer zierte ein breites Grinsen sein Gesicht. „Dieses Mal bleibst du zum Frühstück.“
Die Rückfahrt schien wesentlich kürzer zu dauern als die Hinfahrt. Vermutlich lag das daran, dass ich mittlerweile entspannt und ruhig war, vorhin hingegen nervös und angespannt. Doch die Begegnung zwischen meiner Mutter und Harry war besser verlaufen, als ich befürchtet hatte. Meine Mutter hatte zwar ihre Zweifel, aber ich wusste, dass sie sich trotzdem für mich freute. Und Harry war noch immer an meiner Seite, was definitiv auch ein gutes Zeichen war.
Als wir bei ihm Zuhause ankamen, spürte ich bereits, wie ich langsam müde wurde. Ich unterdrückte ein Gähnen und folgte Harry ins Haus. Er führte mich von Zimmer zu Zimmer, erzählte zwischendurch immer mal wieder einige Dinge und beantwortete meine Fragen. Obwohl das Haus riesig war, schien jeder Raum einen vernünftigen Sinn und Zweck zu haben. Alles war perfekt aufeinander abgestimmt, überall herrschte eine gemütliche Stimmung. Es war ein Ort zum Wohlfühlen.
Nach etwa einer halben Stunde befanden wir uns wieder im Eingangsbereich. „Ziemlich beeindruckend.“, fasste ich das Ganze zusammen. Harry zuckte mit den Schultern. „Ein Haus eben.“ Ich verdrehte die Augen. „Männer…“, murmelte ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Er griff nach meiner Hand und führte mich ins Wohnzimmer. „Möchtest du noch irgendetwas Bestimmtes unternehmen? Essen gehen oder in die Stadt fahren?“ Gähnend schüttelte ich den Kopf. „Wenn du nichts dagegen hast würde ich lieber hier bleiben. Wir könnten einen deiner tausend Filme sehen?!“, schlug ich vor und deutete auf das Regal, welches die komplette Wand bedeckte. „Liebend gerne. Spezielle Wünsche?“ Wieder schüttelte ich den Kopf. „Such du etwas aus. Du hast vermutlich den besseren Überblick.“
Letztendlich einigten wir uns auf eine Komödie von der ich noch nie etwas gehört hatte, die Harry jedoch in den höchsten Tönen lobte. Er startete den Film und ließ sich dann neben mich auf das Sofa fallen. Wie sich herausstellte, war der Film tatsächlich alles andere als langweilig. Mit all meiner Kraft versuchte ich gegen meine Müdigkeit anzukämpfen, doch ich spürte wie meine Augenlider immer schwerer wurden. Ich lehnte meinen Kopf an Harrys Schulter, woraufhin er seine Arme um mich legte.
Als nächstes spürte ich, wie mich jemand vom Sofa hob. Es herrschte absolute Stille. War der Film etwa schon zu Ende? Ich versuchte meine Augen zu öffnen, gab jedoch mit einem leisen Seufzen auf. Die Müdigkeit war zu präsent. „Schlaf weiter, Emma.“, flüsterte jemand. Harry. Ich wollte etwas erwidern, doch erneut gelang mir nur ein Seufzen. Es schaukelte, als seien wir auf hoher See. Aber das konnte nicht sein. Wenig später wurde mir klar, dass Harry mich soeben die Treppe hoch getragen hatte. Daher das Schaukeln. Dann spürte ich auf einmal etwas Weiches unter mir. Sofort gewann meine Müdigkeit an Überhand und ich glitt erneut in einen seltsamen Halbschlaf. Etwas berührte meine Stirn. Lippen? Ein leises Flüstern, kaum zu verstehen. „Ich liebe dich.“ Und dann versank ich endgültig im Land der Träume.
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Secrets
FanficSie sah ihn bereits von weitem. Seine braunen Locken verrieten ihn, dagegen half auch die dunkle Sonnenbrille nicht. Sie wusste, dass es nicht einfach werden würde. Doch es war ihr Job. Seufzend erhob sie sich und ging in seine Richtung. Natürlich w...