Kapitel 42

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— HARRY —

„Ich hab ihn!", rief Niall, warf den Ball hoch in die Luft und fing ihn dann wieder auf. Angeber. Wenn ich mich auf das Spiel hätte konzentrieren können, wäre er chancenlos gewesen. Aber das letzte Gespräch mit Emma ging mir nicht aus dem Kopf. Was sie gesagt hatte, stimmte nicht. Das was heute Morgen passiert war, bedeutete mir sehr viel. Zu viel. Ich hatte sie zu nah an mich heran gelassen, hatte meinen Schutzwall abgebaut. Ein riesiger Fehler. Die Nähe zwischen uns war gefährlich. Es war so einfach, wieder Vertrauen zu ihr aufzubauen. Aber wie konnte ich sicher sein, dass sie nicht immer noch mit Logan unter einer Decke steckte? Immerhin lief der Vertrag unverändert weiter. 

„Harry! Mach die Augen auf!", rief Zayn in diesem Moment. Irritiert sah ich mich um. Der Ball trieb nur wenige Zentimeter von mir entfernt auf der Wasseroberfläche. Schnell griff ich danach und warf ihn zu Zayn. Dann ließ ich meinen Blick möglichst unauffällig in Emmas Richtung wandern. Doch sie stand nicht mehr dort, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Ich drehte mich langsam im Kreis und hielt Ausschau nach ihr. Liam und Sophia standen in der Nähe von mir, Louis etwas weiter weg und Niall griff Zayn an und versuchte ihm den Ball abzunehmen. Nur Emma konnte ich nirgendwo entdecken. War sie zurück an den Strand gegangen? „Hey Soph, weißt du wo Emma ist?", fragte ich Liams Freundin, die den Kopf schüttelte und sich ebenfalls umsah. „Nein, eben war sie noch da hinten." Sie deutete in die entgegengesetzte Richtung vom Strand. Dort überschlugen die Wellen sich deutlich heftiger als hier vorne. Aber Emma war nicht zu sehen. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Wo war sie? Wenn sie zu weit nach draußen geschwommen und in eine stärkere Strömung geraten war... Nein. Dann hätte sie nach uns gerufen. Trotzdem wurde ich immer nervöser. Vorsichtig ging ich ebenfalls ins tiefere Wasser. Das donnernde Geräusch der sich überschlagenden Wellen wurde immer lauten. Sollte Emma tatsächlich nach uns gerufen haben, hätten wir sie möglicherweise überhaupt nicht gehört. Aus meiner Nervosität wurde langsam, aber sicher, Panik. „Emma!", rief ich, doch meine Stimme wurde vom Meeresrauschen übertönt. „Pass auf, Harry!", hörte ich Liam ganz leise rufen. Aber ich drehte mich nicht zu ihm um. Es war schwierig, in der Dunkelheit irgendetwas zu erkennen. Eine riesige Welle rollte auf mich zu. Schnell holte ich tief Luft und tauchte darunter hindurch. Dennoch spürte ich die Kraft, mit der sie mich unter Wasser hielt. Sobald ich wieder auftauchte, ließ ich meinen Blick weiter über das Wasser schweifen. Bis er an etwas hängen blieb. Etwa zwei Meter entfernt von mir, trieb etwas an der Oberfläche. Mit Mühe kämpfte ich mich durch die Strömung, die meine Beine unter mir wegzureißen drohte. Nach nur wenigen Schritten erreichte ich den Körper, der leblos auf der Wasseroberfläche trieb. Nein. Nein, nein, nein. Bitte nicht. Ich griff nach Emmas Arm und drehte sie herum. Ihre Augen waren geschlossen. „Em! Hörst du mich?" Keine Reaktion. Ich versuchte sie auf meinen Rücken zu ziehen, so wie ich es vor Ewigkeiten im Schwimmunterricht gelernt hatte. Ein paar Meter kam ich so voran, doch die Strömung war zu stark. „LIAM!", brüllte ich so laut ich konnte. Von weitem sah ich, wie er sich zu mir umdrehte. Sobald er mich entdeckte, kämpfte er sich durch das Wasser auf mich zu. „Was ist passiert?", fragte er, als er nur noch wenige Meter von mir entfernt war. „Ich... keine Ahnung, aber Emma..." Ich ließ den Satz unbeendet. Ich wollte und konnte meine schlimmsten Vermutungen nicht aussprechen. Liam war deutlich kräftiger als ich. Gemeinsam schafften wir es, Emmas reglosen Körper ins flachere Wasser zu tragen. Auch die anderen hatten mittlerweile mitbekommen, dass irgendetwas nicht stimmt und kamen uns entgegen. „Holt Paul und Simon. Schnell!", rief Liam und half mir, Emma an den Strand zu tragen. Dort legte ich sie auf den Rücken und sank neben ihr auf die Knie. „Emma, hey!", versuchte ich erneut, sie anzusprechen. Ich schlug leicht gegen ihre Wange, um so vielleicht ihr Bewusstsein zurückzuholen, aber sie zeigte weiterhin kein Lebenszeichen. Panisch platzierte ich meine Hände auf ihrem Oberkörper und drückte sie in kurzen Abständen hinunter. „Atmen, Em. Du musst atmen!", schrie ich die leblose Gestalt vor mir an. In diesem Moment knieten Paul und Simon sich zu mir. Stumm griff Paul nach Emmas Handgelenk. „Sie lebt.", stellte er nach wenigen Sekunden fest und hob ihren Kopf hoch. „SIE ATMET NICHT!", brüllte ich und presste weiter auf ihrem Oberkörper herum. „Harry, lass das!" Simon zog meine Hände beiseite. „NEIN!" Während ich versuchte, mich aus Simons Griff zu befreien, gab Paul Emma ein paar deutlich stärkere Backpfeifen als ich es getan hatte und richtete sie dann so weit auf, dass er auch auf ihren Rücken schlagen konnte. Ich entriss Simon meine Hände und folgte Pauls Beispiel. Doch Emmas Körper hing nur weiterhin schlaff in unseren Armen. 


— EMMA —

Um mich herum war es pechschwarz. Und mucksmäuschenstill. Ich wusste nicht, wo ich mich befand und wie ich hierher gekommen war. Es fühlte sich an, als würde ich ohne jegliche Schwerkraft in der Luft schweben. War das der Tod? Wenn ja, fühlte er sich angenehmer an, als ich erwartet hatte. Ich musste nicht einmal atmen. Ich existierte einfach nur. „Atmen, Em. Du musst atmen!", widersprach mir eine Stimme in meinem Kopf. Sie kam mir bekannt vor. Eine schöne Stimme. Melodisch. Wenn dieses Stimme wollte, dass ich atmete, würde ich ihr diesen Wunsch erfüllen. Aber wie atmete man? Was ich immer für selbstverständlich gehalten hatte, erschien mir auf einmal wie eine unlösbare Aufgabe. Vielleicht sollte ich mich einfach weiter treiben lassen. Das war einfach und angenehm. „NEIN!" Dieses Mal klang die Stimme wütend. Wütend auf mich? Was hatte ich ihr getan? Es war doch nicht meine Schuld, dass die von ihr gestellte Aufgabe unlösbar war. Ich ließ mich immer weiter treiben. Es war so angenehm, so friedlich. Bis mein Körper auf einmal seltsam durchgeschüttelt wurde. Jemand schien meine Ruhe zerstören zu wollen. Warum konnte ich nicht einfach weiter treiben? Die Schwerkraft schien langsam zurückzukehren. Ich schwebte nicht mehr. Ich fiel. Dabei wurde mein Körper weiterhin durchgeschüttelt, als schlüge mir jemand immer wieder auf den Rücken. Und dann landete ich, sanfter als erwartet. 

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