Kapitel 32

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In der kommenden Nacht schlief ich noch weniger als in der Vorherigen. Vor meinem Gespräch mit Logan war ich noch voller Tatendrang gewesen. Doch nun wusste ich, dass ich praktisch keine Chance hatte, aus dem Vertrag rauszukommen. Und was noch viel schlimmer war: von mir wurde verlangt, Harry noch viel mehr zu verletzen, als ich es bereits getan hatte. Mir war klar, dass ich das unmöglich tun konnte. Ich musste mir einfach so schnell wie möglich etwas überlegen, um Logan und sein gesamtes Team irgendwie hinter das Licht zu führen. Natürlich hatte ich rein theoretisch auch die Möglichkeit einen Anwalt einzuschalten, doch ich bezweifelte, dass mir das sonderlich viel bringen würde. Mit Harrys Freunden zu reden war bestimmt auch keine gute Idee. Mir blieb also nichts anderes übrig, als zu versuchen, erneut mit ihm selber zu sprechen, ihm alles zu erklären. Nicht, dass es sonderlich viel zu erklären gab. Aber er sollte wenigstens die ganze Wahrheit kennen. Allerdings bezweifelte ich, dass er jemals wieder ein Wort mit mir wechseln, geschweige denn mir zuhören würde. Ich versuchte gar nicht erst, ihn anzurufen. Er würde ohnehin nicht rangehen und außerdem war es absolut feige, nur am Telefon mit ihm zu sprechen. Ich musste ihm definitiv alles persönlich sagen. Doch mir lief die Zeit davon. Ich wusste, dass die Jungs in weniger als zwei Wochen zu ihrer nächsten Tour aufbrechen würden. Wenn ich mir richtig erinnerte, flogen sie zuerst nach Südamerika. Und dort konnte ich Harry schlecht treffen. Also musste ich innerhalb der nächsten zwei Wochen handeln. Je früher desto besser.

Da so langsam die Prüfungsphase in der Uni begann, schaffte ich es erst am Mittwoch, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Ich hatte wenig Lust Geld für ein Taxi oder die Bahn auszugeben, weshalb ich die Nummer des Fahrers raussuchte, der mich bisher oft gebracht hatte. Immerhin ging es hier in gewisser Weise auch um meinen Job und Logan würde bestimmt gerne hören, dass ich zu Harry gefahren war. Doch vor dem großen Tor, dass Harrys Grundstück von der Straße abschirmte, blieb ich etwas ratlos stehen. Das hier war vermutlich meine letzte Chance, irgendwie an Harry heranzukommen. Vielleicht hätte ich mir vorher lieber einen genauen Plan zurecht legen sollen, wie ich vorgehen würde. Aber dazu war es jetzt eindeutig zu spät. Nach kurzem Zögern drückte ich schließlich die Klingel. Doch nichts passierte. Die Kamera an einem der Torpfosten bewegte sich kein Stück und auch das Tor selbst öffnete sich nicht. Verzweifelt versuchte ich am Tor vorbeizusehen, jedoch nicht sehr erfolgreich. Ich hatte keine Chance zu sehen, ob Harrys Auto vor dem Haus stand. Am Straßenrand auf Harry zu warten, klang nach keiner guten Idee. Aber es gab noch einen anderen Ort, wo ich nach ihm suchen könnte. 

Nialls Tor öffnete sich nach weniger als einer Minute. Er stand bereits im Türrahmen, als ich mit etwas wackeligen Beinen auf das Haus zu ging. „Emma, mit dir habe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht gerechnet.“, teilte er mir mit, lächelte dabei jedoch und trat beiseite, um mich hinein zu lassen. „Ja, das war auch eher eine spontane Entscheidung.“, gab ich zu. „Ich kann nur Harry nicht erreichen und wollte nachgucken, ob er vielleicht hier ist.“ Das ist gar nicht erst versuchte hatte ihn anzurufen, musste Niall nicht unbedingt wissen. Allerdings sah er ohnehin äußerst verwirrt aus. „Harry?“ Zögernd nickte ich. Wer denn auch sonst? „Emma… ist alles in Ordnung zwischen euch beiden?“ Ich spürte, wie meine Nackenhaare sich aufstellten. Wusste Niall etwa bereits Bescheid? Hatte Harry ihm bereits alles erzählt? Wenn ja, wäre Niall wohl kaum derart freundlich zu mir. „Klar, wieso?“, fragte ich deshalb scheinheilig. Er zuckte etwas zögerlich mit den Schultern. „Naja, ich verstehe nicht ganz weshalb du nicht weißt wo er ist.“ - „Vielleicht ist er ja nur einkaufen, er war bloß eben nicht zuhause und ich muss dringend mit ihm reden. Aber wenn du auch nicht weißt wo er ist, ruf ich ihn einfach später nochmal an.“, sagte ich und drehte mich wieder zur Tür um. „Emma, Harry ist bei sich Zuhause. In Los Angeles.“ Augenblicklich blieb ich stehen. Und drehte mich dann ganz langsam um. „Los Angeles?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen nickte Niall. Für einige Minuten herrschte komplette Stille. Niall wartete offenbar auf eine weitere Reaktion von mir, doch ich war zu perplex, um irgendetwas zu sagen. „Ich dachte wirklich du wüsstest davon.“, murmelte Niall schließlich. Langsam schüttelte ich den Kopf. „Wieso Zuhause? Er wohnt doch hier. In London.“ Wieder zuckte Niall mit den Schultern. „Ja, aber in London ist er normalerweise ja sowieso nur sehr selten. In letzter Zeit war er wegen seinem Haus länger hier, weil es kurz vor der Fertigstellung war. Aber es stand doch von Anfang an fest, dass er nach dem Umzug erstmal zurück nach Amerika geht.“ In meinen Ohren begann es zu rauschen. Was redete Niall da für einen Unsinn? Weshalb sollte Harry nach Amerika gehen? Und wenn es angeblich schon so lange feststand, wieso wusste ich dann nichts davon? „Emma? Alles okay?“, hörte ich Nialls Stimme von irgendwo weit weg. Wie in Trance nickte ich. „Ich… ich muss wieder los.“, stammelte ich. „Bis bald.“ - „Warte, Emma! Erklär mir bitte was los ist!“, versuchte Niall mich aufzuhalten, doch ich war bereits im Laufschritt auf dem Weg in Richtung Straße, wo mein Fahrer auf mich wartete. Sobald ich ihm Auto saß, teilte ich ihm mit, wo ich hin wollte. Oder eher hin musste. 

Dieses Mal ging ich gar nicht erst zum Empfangstresen, sondern direkt zum Fahrstuhl. Es war mir komplett egal, ob Logan gerade Zeit hatte oder nicht. Wenn nicht, würde er sich eben Zeit nehmen. Aus seinem Büro drangen keinerlei Geräusche, weshalb ich die Tür einfach öffnete. Wie schon erwartet, saß er an seinem Schreibtisch und füllte irgendwelche Dokumente aus. Er wirkte offenbar mehr als erstaunt über mein plötzliches und unangekündigtes Erscheinen. „Ms. Reynolds.“, sagte er nur und sah mich misstrauisch an. „Mit Ihnen habe ich so schnell nicht wieder gerechnet.“ Aha, wir waren also wieder beim ‚Sie‘. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und sah ich wütend an. „Wie zur Hölle soll ich meinen Job machen, wenn Sie mir nicht sagen, dass Harry das Land verlassen hat?“ Der Stift fiel ihm aus der Hand und landete mit einem leisen Plong auf dem Tisch. „Er hat was?“ Wenigstens war ich nicht die einzige, die nichts von Harrys Plänen gewusst hatte. „Er wohnt jetzt offenbar in Los Angeles.“, teile ich Logan ungeduldig mit. Dieser verdrehte die Augen. „Da wohnt er schon eine Weile, aber er kann nicht einfach dorthin abhauen, ohne uns Bescheid zu sagen.“ Sichtlich genervt drückte er einen Knopf auf seinem Telefon und sagte dann: „Dennis? Code Green. Sag sofort Tyler Bescheid.“ Anschließend sah er wieder mich an. „Ich buche Ihnen einen Flug. Sehen Sie zu, dass Sie die nächsten Wochen nichts vorhaben.“ Irritiert schüttelte ich den Kopf. „Das geht nicht. Ich muss zur Uni. Ich kann nicht einfach so nach Los Angeles fliegen.“ Wieder verdrehte Logan die Augen. „Sie fliegen nicht nach Los Angeles, sondern nach Brasilien. Zusammen mit dem Rest der Crew. In einer Woche geht es los.“

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