Kapitel 43

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Ich ließ meine Augen geschlossen, aus Angst vor der nächsten Welle, die mich erneut unter Wasser ziehen würde. All das bereits verschluckte Wasser sorgte für einen Hustenanfall, der einfach kein Ende nahm. Die ganze Zeit rechnete ich fest damit, jeden Augenblick von der nächsten Welle getroffen zu werden, doch nichts passierte. Stattdessen spürte ich, wie sich zwei kräftige Arme um meinen Körper schlossen. „Emma." Es war nur ein Flüstern, doch ich erkannte die Stimme sofort. Die Stimme, die mir befohlen hatte, zu atmen. Nicht aufzugeben. Das Rauschen des Meeres hingegen, drang nur aus weiter Ferne an meine Ohren. Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, doch dann konnte ich meine Umgebung erkennen. Ich saß am Strand, Harry kniete neben mir und hielt mich fest umarmt. Die anderen standen und saßen im Halbkreis um uns herum, allesamt mit kreidebleichen Gesichtern. Doch der Großteil meiner Aufmerksamkeit lag auf Harry. Noch immer machte er keine Anstalten mich loszulassen. Erst als Sophia ebenfalls neben mir auf die Knie ging, löste er langsam die Umarmung, achtete dabei jedoch darauf, dass ich nicht direkt hinten über fiel, sondern mein Gleichgewicht behielt. „Alles in Ordnung, Emma?", fragte Sophia besorgt. Zögernd nickte ich. Der Schock saß noch immer tief, aber den Umständen entsprechend ging es mir gut. „Weißt du noch, was genau passiert ist?" Seufzend ließ ich den Kopf hängen. „Ich bin zu weit ins Wasser gegangen. Es kamen immer mehr Wellen, die mich nach unten gedrückt haben und ich hab keine Luft mehr bekommen. Irgendwann... irgendwann hatte ich keine Kraft mehr und hab wahrscheinlich das Bewusstsein verloren, ich weiß es nicht." - „Du hast nicht mehr geatmet." Harrys Stimme zitterte. Langsam hob ich den Kopf und sah ihn zum ersten mal richtig an. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Nur seine Augen waren rot. „Ich weiß.", murmelte ich leise. „Du hast mir gesagt, dass ich atmen muss. Aber ich wusste nicht wie." Harrys Gesicht wurde noch bleicher, wenn das überhaupt möglich war. „Du hast mich gehört?" Ich nickte und für eine Weile sagte niemand etwas. „Wie bin ich da wieder raus gekommen?", fragte ich schließlich. Dabei sah ich Harry an, doch der wich meinem Blick konsequent aus. „Harry hat dich gefunden und dann gemeinsam mit Liam rausgetragen.", antwortete Sophia lächelnd. „Danke.", murmelte ich und sah erst Harry und danach Liam an. Letzterer schüttelte lächelnd den Kopf. „Nichts zu danken." Harry jedoch reagierte noch immer nicht. 

„Wir sollten so langsam zurück zum Hotel.", verkündete Paul, woraufhin sich die Gruppe langsam auflöste. Alle suchten ihre Sachen zusammen und gingen zum Wagen. Nur Harry, Sophia und Liam blieben noch bei mir. Liam half erst Sophia und dann mir auf die Beine. Sobald ich aufrecht stand, wurde alles schwarz vor meinen Augen. „Woah, vorsichtig.", murmelte Liam und stützte mich. Langsam verschwand das Schwindelgefühl wieder. Sophia griff nach meinem Arm und warf Liam einen kurzen Blick zu, den ich nicht ganz verstand. Aber Liam nickte und ließ mich los. Dann hockte er sich neben Harry, der noch immer nicht aufgestanden war. Liam sagte etwas zu ihm, das ich akustisch nicht verstehen konnte. Harry nickte kurz und stand langsam auf. Von Sophia gestützt, schaffte ich es zurück zum Wagen. Auf dem Weg hob sie unsere Kleidung und Taschen auf und nahm sie mit. Die anderen hatten sich bereits fertig abgetrocknet und angezogen. „Kannst du so stehen?", fragte Sophia und ließ mich los, sobald ich genickt hatte. Schnell trocknete ich mich ab und zog meine Kleidung wieder an. Dann stieg ich in den Wagen und nahm in der letzten Reihe neben Sophia Platz. Harry setzte sich wenig später auf meine andere Seite. „Ist dir kalt?" Entgegen der Wahrheit schüttelte ich den Kopf. Das Zittern, das kurz darauf meinen ganzen Körper durchfuhr, ließ meine Lüge auffliegen. Harry seufzte und breitete seinen Pullover über mir aus. „Dankeschön.", flüsterte ich, ohne eine Antwort jeglicher Art zu bekommen. Von den Gesprächen während der Fahrt bekam ich rein gar nichts mit. Wie in Trance starrte ich aus dem Fenster, ohne meine Gedanken dabei auf irgendetwas fokussieren zu können. 

In der Hotellobby war zu dieser späten Zeit nichts mehr los. Auf dem halben Weg zum Fahrstuhl blieb Harry stehen und deutet zur Rezeption. „Soll ich kurz nach einem zweiten Zimmer fragen?" Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Zuerst zuckte ich mit den Schultern, doch dann schüttelte ich den Kopf. „Ehrlich gesagt möchte ich jetzt nicht alleine sein.", murmelte ich. Für einen kurzen Moment sah Harry mich nur schweigend an. Dann nickte er und griff nach meiner Hand. „Gut. Ich möchte dich nämlich nicht alleine lassen." 

„Ich geh kurz duschen, okay?", fragte ich Harry, sobald wir in unserem Zimmer angekommen waren. Er nickte. „Klar." Es tat gut, all das Salzwasser von meinem Körper zu waschen. Langsam entspannten meine Muskeln sich wieder. Als ich einige Zeit später zurück ins Zimmer kam, war dieses leer. Von Harry keine Spur. Allerdings stand die Balkontür einen Spalt weit offen. Neugierig öffnete ich sie ein Stück weiter und sah hinaus. Harry saß mit dem Rücken zur Wand, das Gesicht in seine Hände gestützt. „Harry?" Er reagierte nicht. Nach kurzem Zögern trat ich auf den Balkon und setzte mich neben ihn. Vorsichtig griff ich nach seinem Handgelenk und löste seine Hand von seinem Gesicht. Zuerst konnte ich nur schemenhafte Umrisse erkennen, doch dann sah ich seine rot umrandeten Augen. Sobald er sein Gesicht in meine Richtung drehte, wurden auch die Tränen auf seinen Wangen sichtbar. 

Ich hatte Harry schon in vielen Gefühlslagen erlebt. Glücklich, wütend, traurig, verletzt. Doch noch nie hatte ich ihn weinen gesehen. Immer war ich diejenige gewesen, die nicht mehr gegen die Tränen ankämpfen konnte. Und er hatte mich getröstet. Jetzt war die Situation umgekehrt. Und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich sagen sollte. 

„Ich dachte, du wärest tot." Harry kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Als er sie wieder öffnete, schwammen sie förmlich in Tränen. „Du hast nicht mehr geatmet. Dich nicht bewegt. Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren. Wenn ich nur ein paar Sekunden später..." Seine Stimme brach weg, bevor er den Satz beenden konnte. Sofort schüttelte ich den Kopf. „Nein Harry. Sag so etwas nicht.", bat ich ihn. Harry drehte sich nun vollständig zu mir um. „Ich kann dich nicht verlieren, Emma." - „Wirst du nicht. Alles ist gut gegangen. Dank dir." Aber er schüttelte den Kopf. „Das meine ich nicht. Ich kann dir nicht weiter aus dem Weg gehen. Zu sehen wie schnell alles vorbei sein kann..." - „Aber... du hast gesagt, du glaubst mir nicht. Und dass du Angst hast, mir wieder zu vertrauen.", murmelte ich irritiert. Harry nickte. „Ich habe Angst. Aber die Angst, dich zu verlieren ist größer." Mein Herz hämmerte lautstark gegen meine Brust. „Was genau willst du damit sagen?" Für einige Minuten herrschte Schweigen. Dann stand Harry auf und hielt mir seine Hand hin. „Erzähl mir alles. Von Anfang bis Ende." 

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