Kapitel 24

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Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend. Harrys Lippen bildeten eine gerade Linie und seine Augen wirkten kleiner als sonst. Offenbar hatte unser Gespräch ihn verärgert.

Die Umgebung kam mir immer bekannter vor, wir näherten uns also unserem Ziel. Spätestens als wir an meine ehemaligen Schule vorbeifuhren wusste ich, dass es nicht mehr weit war. Und an Harrys Blick hatte sich immer noch nichts geändert.

„Das dritte Haus auf der rechten Seite.“, murmelte ich, als wir in die Straße einbogen, in der meine Mutter wohnte. Harry erwiderte nichts, der Wagen wurde jedoch langsamer. Direkt vor meinem ehemaligen Zuhause verstummte der Motor. Keiner von uns beiden machte Anstalten auszusteigen. „Du bist sauer auf mich.“, stellte ich schließlich fest. Für einen Moment sah Harry weiterhin stur geradeaus. Dann schüttelte er seufzend den Kopf. „Nein. Ich wünschte nur, du würdest mir mehr vertrauen. Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, als würdest du jederzeit damit rechnen, dass ich im nächsten Moment weglaufe oder so. Aber das werde ich nicht. Und ich wüsste wirklich gerne was ich tun muss, damit du mir das glaubst.“ – „Tut mir leid.“, flüsterte ich, ohne ihn anzusehen. „Hey.“ Auch seine Stimme war nur ein Flüstern. „Sieh mich an.“ Er legte seine Hand an mein Kinn und drehte mein Gesicht in seine Richtung. „Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen musst.“ Als ich meinen Mund öffnete, um ihm zu widersprechen, schüttelte er den Kopf. „Glaub mir bitte einfach, dass ich nicht vorhabe, dich zu verlassen. Okay?“ Ich nickte und brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande. „Ich werde mein bestes geben.“, versprach ich. „Gut. Mehr verlange ich auch überhaupt nicht. Und jetzt lass uns reingehen. Wir wollen deine Mutter schließlich nicht warten lassen.“

Wir stiegen beide aus dem Wagen und zu meiner Überraschung ging Harry zum Kofferraum. Noch bevor ich bei ihm war, hatte er einen wunderschönen Blumenstrauß hervorgeholt und den Kofferraum bereits wieder geschlossen. Beeindruckt sah ich zwischen den Blumen und Harry hin und her. „Du weißt wirklich, wie du das Herz einer Frau gewinnst.“, stellte ich fest. Grinsend zuckte er mit den Schultern. „Muss an der guten Erziehung liegen. Meine Mutter hat viel Wert darauf gelegt, aus mir einen Gentleman zu machen.“ Das war ihr definitiv gelungen. „Ich würde sie gerne kennenlernen.“, sagte ich aufrichtig. Auf Harrys Gesicht erschien ein wahrhaftig atemberaubendes Lächeln. „Wirst du bald.“, versprach er. Dann griff er mit seiner freien Hand nach meiner und ging neben mir her zur Haustür.

„Bereit?“, fragte ich Harry, als wir vor der Tür standen. Er nickte und ich drückte auf die Klingel. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, doch gleichzeitig hatte Harrys Nähe eine sehr beruhigende Wirkung auf mich. Nur wenige Sekunden später ging die Tür auf. Im nächsten Augenblick war ich in den Armen meiner Mutter, die mich fest an sich drückte. „Oh Emmi, ich habe dich so sehr vermisst.“ Etwas widerwillig ließ ich Harrys Hand los, um die Umarmung meiner Mutter zu erwidern. „Hey Mum… es ist schön wieder hier zu sein.“ Sie ließ mich los und trat einen Schritt zurück. „Du bist dünn geworden!“, stellte sie mit gerunzelter Stirn fest. „Gut, dass ich mehr als einen Kuchen gebacken habe.“ Ich verdrehte die Augen und griff erneut nach Harrys Hand. „Mum, das ist Harry.“, stellte ich ihn vor. Mit einem vorsichtigen Lächeln hielt er meiner Mutter den Blumenstrauß hin. „Vielen Dank für die Einladung, Mrs Reynolds.“, sagte er. Meine Mutter nahm die Blumen freudig lächelnd entgegen und zog dann den völlig überraschten Harry ebenfalls in eine Umarmung. „Es freut mich so sehr dich kennenzulernen, Harry! Und bitte, nenn mich Maya.“ – „Die Freude ist ganz meinerseits.“, entgegnete er, sobald meine Mutter ihn losgelassen hatte. Diese jedoch sah ihn auf einmal mit geweiteten Augen an. „Sag mal, ich kenn dich doch! Du bist in dieser Band… ich sehe dich ständig in der Zeitung und im Fernsehen!“ Etwas verlegen nickte Harry. Die Augen meiner Mutter, noch immer überdimensional groß, wanderten nun zwischen ihm und mir hin und her. „Und ihr beide…? Wow…“ – „Okay Mum, dürfen wir dann jetzt reinkommen?“, fragte ich. „Oh ja, sicher. Tut mir leid.“ Sofort trat sie beiseite. „Ich stell die Blumen kurz in eine Vase.“ Meine Mutter verschwand in der Küche, während ich die Haustür hinter Harry und mir schloss. „Ich wusste nicht, dass sie dich kennt…“, murmelte ich entschuldigend, doch Harry schüttelte lächelnd den Kopf. „Alles gut.“ Ich nahm seine Hand und führte ihn ins Wohnzimmer. Noch immer sah alles genauso aus, wie bei meinem letzten Besuch. Sauber und ordentlich wie immer. Der runde Tisch im Wohnzimmer war üppig gedeckt. Tatsächlich hatte meine Mutter offenbar drei Kuchen gebacken, sowie mehrere Sorten Kekse. „Ich frag mich, ob wir hier satt werden.“, sagte ich und verdrehte die Augen. Harry lachte, erwiderte jedoch nichts, denn ich diesem Moment betrat meine Mutter den Raum.

„Setz euch und schlagt zu! Ich habe auch noch mehr Kekse in der Küche.“ Natürlich hatte sie das. Und so wie ich sie kannte, würde sie mir diese nachher in die Hände drücken, damit ich bis zu unserem nächsten Treffen nicht verhungerte. Allerdings musste ich zugeben, dass ihre Backkünste alles andere als nachgelassen hatten. Zu ihrer Freude aß ich von jedem Kuchen ein Stück und war begeistert.

Harry hatte meine Mutter bereits nach wenigen Minuten um den Finger gewickelt. Er war höflich, zuvorkommend und wahnsinnig charmant. Spätestens nach einer Viertelstunde war meine Mutter hin und weg von ihm. Sie lachte über alles was er sagte und sah mich immer wieder viel sagend an. Was genau mir diese Blicke sagen sollten, wusste ich allerdings nicht. „Und wie kommt es, dass jemand so berühmtes nun in meinem Wohnzimmer sitzt? Wie habt ihr euch kennengelernt?“, fragte sie, als unsere Teller sich langsam leerten. Harry lächelte mich kurz von der Seite an, dann antwortete er: „Wir sind uns mehrmals zufällig begegnet. Irgendwann habe ich dann die Initiative ergriffen und Emma zum Essen eingeladen. Danach sind wir auf ein Hausdach geklettert wo sie mir nach über einer halben Stunde von ihrer Höhenangst erzählt hat.“ Wieder brach meine Mutter in schallendes Gelächter aus. „Das klingt nach Emma.“, sagte meine Mutter, woraufhin ich nur die Augen verdrehte. „Noch ein bisschen Kaffee, Harry?“, fragte sie. „Ja, gerne.“ Alles andere als begeistert schluckte ich den Rest des Kuchens hinunter. Vermutlich würde meine Mutter gleich beginnen, peinliche Geschichten aus meiner Kindheit zu erzählen. Die Schlimmste kannte Harry zwar bereits, doch der Vorrat meiner Mutter war unerschöpflich.

Auf einmal griff Harry unter dem Tisch nach meiner Hand. Überrascht und erfreut zugleich hob ich meinen Kopf, um ihn anzusehen. Ein liebevolles Lächeln zierte sein Gesicht. Augenblicklich besserte sich meine Laune. Ich erwiderte sein Lächeln und drückte seine Hand.

„Ich bring schnell das Geschirr in die Küche. Emma-Schatz, magst du mir helfen?“ Meine Mutter erhob sich und sah mich mit durchdringendem Blick an. „Ich kann sonst auch-“, begann Harry, doch meine Mutter schüttelte sofort den Kopf. „Kommt gar nicht in Frage. Du bist unser Gast. Mach es dir einfach gemütlich, wir sind gleich wieder da.“ Offenbar blieb mir nichts anderes übrig, als ihr in die Küche zu folgen. Ich warf Harry ein entschuldigendes Lächeln zu, dann ließ ich ihn allein im Wohnzimmer zurück.

Ich wusste genau was jetzt kommen würde. Und zu meiner Überraschung war ich sogar etwas gespannt, auf die Meinung meiner Mutter. 

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