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Zufrieden mit sich selbst liess sich Anne auf einen der Stühle sinken. Wie ihr Berater ihr mitgeteilt hatte, war die Ratssitzung für sie ganz gut verlaufen. Noch immer waren mehr als fünfundsiebzig Prozent der Mitglieder gegen eine Auflösung des Paragraphs, dass sie ihren Sohn nicht sehen durfte, aber es waren schon drei Ratsmitglieder mehr auf ihrer Seite. Noch ein paar Ratssitzungen mehr, dann konnte sie endlich ihren Sohn sehen.

Sie löste den Verschluss ihrer Halskette und zog die Schmuckschublade auf. Als die Edelsteine in ihrem samtenen Kästen verstaut waren und die Königin schon dabei war die Schublade zu schliessen, fiel ihr ein ledergebundenes Büchlein in der hintersten Ecke auf. Vorsichtig holte sie es heraus und schlug die erste Seite auf.

20. November 1615

Morgen ist es soweit. Ich werde zum Altar schreiten und Anne Debarrie zur Frau nehmen. Bis jetzt habe ich sie nur kurz gesehen. Sie ist sehr schön, aber noch nicht an das Leben im Schloss gewohnt. Es liegt nahe, dass sie nicht ausreichend vorbereitet wurde auf das königliche Leben. Doch sie scheint auch klug zu sein. Sie wird sich bestimmt schnell einfügen und eine gute Königin sein.

Anne wusste nicht recht, was sie machen sollte. Weiterlesen oder es zurücklegen? Offenbar hatte der verstorbene König ein Tagebuch geführt und es nach ihrem Weggang aus dem Schloss hier versteckt, weil die Räume unbewohnt waren und niemand befugt war den Schmuck der Königin anzurühren.

Eigentlich stand es ihr nicht zu, das Buch zu lesen. Es waren die privaten Gedanken des Königs. Andererseits hatte er ihr das Leben schwer genug gemacht, sodass es gerechtfertigt war, wenn sie die Gründe für alles erfahren würde.

So blätterte sie weiter und las sich durch das Leben des Königs. Vieles wusste sie schon. Hauptsächlich beschrieb er die Geschäfte, die er mit anderen Ländern oder Grafschaften einging. Hin und wieder gab es aber auch Eintrage über sein privates Leben. Auch einen längeren Text, wie enttäuscht er von seiner Frau war, dass sie ihn so schamlos betrogen hatte mit diesem Musketieren Aramis.

Anne stockte der Atem. Er hatte gewusst, wer ihr Geliebter gewesen war und ihn trotzdem am Leben gelassen? Das überraschte sie. Dass er ihre Zofe hatte töten lassen, aber den Vater ihres Kindes verschont hatte.

„Möglicherweise gibt es auch einen Eintrag zu Constance", dachte sich Anne und blätterte bis zu dieser Zeit vor. Tatsächlich dieser Eintrag stammte vom Vortag von Constances Hinrichtung.

18. September 1641

Einer der Ratsmitglieder erwischte heute die Zofe Constance, wie sie den kleinen Louis aus dem Schloss schmuggelte. Der Graf lief ihr über den Weg, weil er sich unangemeldet mit einem Anliegen an mich wenden wollte. Dabei hatte ich sorgfältig alle Gespräche erst auf morgen angelegt, damit es für Constance einfach wäre ungesehen durch den Louvre zu kommen. Die letzten Male hatte es doch auch immer gut funktioniert, wieso musste dieser Graf nur heute zu mir wollen? Ich konnte Constance nicht einfach wieder in ihre Gemächer schicken, als der Graf sie mit sich zog und des Verrats beschuldigte. Das Bild einer Zofe, die den kleinen Prinzen im Arm unter einem Tuch bedeckt hielt, ist aber auch schwer falsch zu deuten.

Ich habe Respekt vor ihrem Mut und ihrer Hartnäckigkeit, mit der sie für das kämpft, was sie für richtig hält — deshalb habe ich sie auch die letzten Male ohne ihr Wissen geschützt — aber vor den Beratern musste ich sie bestrafen. Ich setzte also ihre Todesstrafe auf morgen an. Aber ich werde gleich noch einige Wachen anweisen, sie heute in finsterer Nacht aus ihrer Zelle zu befreien. Sie soll fliehen, aber niemand darf es erfahren. Ich kann als König nicht einfach eine Zofe freilassen, nur weil ich es richtig finde, dass sie dafür sorgt, dass sich mein Sohn, für den ich tatsächlich wie für einen Sohn empfinde, und seine Mutter ab und zu sehen können.

Doch so wird Constance die Chance haben zu entkommen und wenn sie geschickt ist, wird man sie nicht finden. Ich muss es nur so aussehen lassen, als wäre sie wirklich tot. Nach Toten sucht man nicht.

Anne konnte es kaum glauben. Sie musste den Eintrag noch ein zweites und drittes Mal lesen. Wenn das wirklich wahr war, was hier stand, dann hatte der König nicht nur von Constances kleinen Ausflügen zu ihr gewusst und sie, so gut er es vermochte, geschützt — nein, dann war sie auch noch am Leben!

Mit vor Freunde geröteten Wangen riss Anne einen Mantel vom Haken und stürzte aus dem Zimmer. Sie musste schnell in die Stadt zu den Musketieren. D'Artagnan musste wissen, dass seine Geliebte noch lebte! Dann konnte er endlich wieder glücklich sein und neue Hoffnung schöpfen!


Author's Note: Eigentlich wollte ich euch ja noch ein Weilchen trauern lassen, aber da ihr mir sonst noch die Bude einrennt, dürft ihr heute ein bisschen mehr lesen als geplant. Und nur ganz kurz so nebenbei: Wie konntet ihr alle glauben, ich würde Constance so kaltherzig ermorden?! Aber ich fühle mich geschmeichelt, dass ihr mir sogar das abgekauft habt!

Das Leben einer KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt