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„Ich ängstige mich", gestand die Königin mit gesenktem Haupt. Aramis hob ihr Gesicht an und zwang sie somit seinen Blick zu erwidern. „Dazu gibt es keinen Anlass", versprach er. „Sobald du zwei weitere Ratsmitglieder überzeugt hast, werden die Stimmen deiner Verbündeten überwiegen. Du wirst deinen Sohn so oft sehen können, wie du dir nur wünschst."

Anne verlor sich in den Tiefen seiner Augen. Sie wusste, dass dieser Mann, dessen graue Augen ihr Herz augenblicklich schneller schlagen liessen, für sie die Welt bedeutete. Wie so oft spielte sie mit dem Gedanken ihn über seine Vaterschaft aufzuklären. Das Geständnis lag ihr bereits auf den Lippen, als sie sich darauf besann, dass sie Aramis das Geheimnis nicht ohne Grund vorenthielt.

„Ausnahmsweise spreche ich nicht von meinem Sohn, mein Lieber", erklärte sie. „Ich sorge mich um Constance. Und auch um d'Artagnan. Nun bereist er seit zwei Jahren jeden erdenklichen Winkel der Welt und doch erzählt keiner seiner Briefe von einer Spur oder einem Hinweis."

„Er wird sie aufspüren", beteuerte der Musketier. Die Königin beneidete ihn um seine Zuversicht. Sie sehnte sich nach den nächtlichen Gesprächen mit ihrer liebsten Freundin. Sie sehnte sich nach deren tröstlichen Worten, nach ihrer unerschöpflichen Lebensfreude. Und sie erhoffte sich die Stunde, in der sie ihren Sohn treffen durfte, mit der Frau teilen zu können, die unnachgiebig ebendiese Stunde angestrebt hatte. Doch mit jedem vergangenen Tag schwand ihre Hoffnung mehr und mehr Constance je wieder zu finden.

„Niemand weiss, wohin sie verschwunden ist, oder ob sie überhaupt noch unter den Lebenden weilt. Vielleicht ist dieses Tagebuch nur eine weitere grosse Lüge, um mich zu verletzen. Vielleicht soll es mich in trügerischer Hoffnung wiegen, obwohl es nichts zu hoffen gibt. Ich kann Constance nicht noch einmal verlieren", schluchzte Anne verzweifelt.

„Das wirst du nicht. D'Artagnan wird nicht eher ruhen, bis er Constance heil und sicher in seinen Armen weiss. Er liebt sie so sehr, dass er selbst heute noch schweissgebadet aus dem Schlaf schreckt, weil er nicht weiss, ob die Nachricht ihres Überlebens wahr oder bloss ein Traum ist. Er liebt sie so sehr, dass er keine Mühen scheut sie zu finden. Selbst wenn er dazu bis ans Ende der Welt reisen muss."

„Was, wenn er scheitert?", fragte Anne kleinlaut. Ihre Tränen waren versiegt, doch die Zweifel waren noch da. „Er wird seine Suche nicht aufgeben. Er wird Constance nicht aufgeben. Nicht einmal als er sie für tot glaubte, konnte er sie aufgeben."

Anne öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, um weitere Zweifel zu äussern; doch Aramis kam ihr zuvor. Er erstickte ihre Bedenken in einem flüchtigen Kuss, der nicht länger dauerte, als der Flügelschlag einer Libelle. Zärtlich hielt er ihr schmales Gesicht zwischen seinen rauen Händen, die doch so unendlich liebevoll sein konnten.

„Liebste, mach dir nicht so viele Gedanken. Ich glaube fest, dass Constance noch lebt, und ebenso, dass d'Artagnan sie finden wird. Aber lass uns nun über Erfreulicheres sprechen. Die Sonne scheint, die Weiten des Gartens erstrecken sich verlassen vor deinem Fenster, also lass und doch zwischen der grünen Halmen spazieren. Lass und den schönen Tag geniessen. Ich wünschte, ich könnte dir alle Sorgen von den Schultern nehmen. Doch da ich es nicht kann, wünschte ich, du würdest dich nicht immer so sehr um Angelegenheiten sorgen, auf die du keinen Einfluss hast."

„Aber so bin ich nun mal. Ich mache mir Sorgen. Jeden Tag und jede Minute!", enervierte sich die Königin. „Anne, beruhige dich", versuchte Aramis ihre Frustration zu mildern. „Nein!", herrschte ihn die Königin an. „Ich will mich nicht beruhigen! Ich will keinen Tag geniessen, an dem mich die Sorge um Constance innerlich zerfrisst! Doch offenbar verstehst du mich nicht! Wahrscheinlich ist es dir auch egal, was mit Constance und d'Artagnan passiert!"

Aramis blinzelte ungläubig. Er konnte nicht fassen, was Anne ihm unterstellte. Mühsam unterdrückte er seine Wut und presste zwischen den Zähnen hervor: „D'Artagnan und Constance sind auch meine Freunde. Wie kannst du also von mir denken, dass ich mich nicht für sie interessieren würde? Wie kannst du das nur glauben? Manchmal erkenne ich dich nicht mehr wieder unter allen diesen prunkvollen Stoffen. Manchmal weiss ich nicht, ob du noch die Anne bist, die ich von früher kenne."

„Natürlich bin ich nicht wie früher!", schrie Anne nun. „Früher war meine Freundin weder verschwunden noch hast du mich sitzen gelassen!", kreischte sie. Jahrelang hatte sie die Enttäuschung über seinen Weggang für sich behalten und sich nichts anmerken lassen. Jetzt brach die aufgestaute Wut aus ihr heraus.

„Um das geht es also", stellte Aramis kalt fest. „Ich habe mich entschuldigt. Ich habe dir meine Liebe versichert. Aber mehr kann ich nicht tun. Es war nur zu deinem Besten." Hysterisch lachte Anne auf. „Zu meinem Besten? Dass ich nicht lache! Zu meinem Besten. Schien es dir nicht einen Moment lang notwendig, mich zu fragen, was ich für das Beste hielt? Immerhin sprechen wir hier von meinem Leben!"

Aramis liess die Arme kraftlos sinken. „Du bist wahrlich nicht mehr wie früher. Früher hast du mir noch vertraut." Er verliess das Zimmer und Anne glaubte Trauer und Schmerz in seinen Augen zu erkennen.

Am Abend kehrte Aramis zurück in die Gemächer der Königin. Ihm tat es Leid, was er gesagt hatte und er wollte sich entschuldigen. Er würde ohnehin nicht schlafen können, bevor er sich nicht mir ihr versöhnt hatte. Als er in ihr Zimmer trat, sass Anne auf der Bettkante. Sie trug ein anderes Kleid. Ein formelleres, was ihm zeigte, dass sie das Zimmer seit seinem Fortgang verlassen haben musste. Für was auch immer.

Er wollte seine sorgfältig gewählten Worte aussprechen, doch dann sah er die salzigen Spuren der Tränen auf ihrem blassen Gesicht. Bevor er zu Wort kam, sprach Anne: „Sie haben meine Bitten nun endgültig abgelehnt. Der Rat hat abgestimmt und sich entschieden. Ich werde meinen Sohn nie mehr sehen dürfen. Weitere Ratssitzungen und Abstimmungen zu diesem Aspekt des Testamentes wird es nicht mehr geben. Es ist vorbei."

Aramis wollte etwas sagen, aber er konnte nicht. Er wollte schreien und jedes einzelne Ratsmitglied, das seiner Anne ihren Herzenswunsch abschlug, zum Duell herausfordern. Niemand durfte Anne so Schreckliches antun. Niemand sollte mit solchen Gräueltaten ungestraft davon kommen.

„Könntest du mich einfach halten, Aramis? Bitte", flehte seine Königin ihn an. Er nickte und schob seine Mordgelüste beiseite. Vorsichtig liess er sich neben sie auf den seidenen Decken nieder und legte beschützend seine Arme um sie. Noch lange weinte Anne still in sein Hemd.


Anmerkungen: Wie ihr sicherlich bemerkt habt, sind seit dem letzten Update ein paar Tage vergangen. Da ich mich im Moment wirklich auf die Schule und die damit verbundenen Arbeiten konzentrieren sollte, ist es mir im Moment nicht möglich regelmässiger upzudaten. Aber ich werde mir Mühe geben, dass ihr trotzdem genug zum Lesen habt ;)

Das Leben einer KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt