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Das französische Volk stiftete mehr und mehr Unruhe. Im Geheimen formte sich eine Gruppe Rebellen, die sich gegen das hart geführte Regime auflehnten. Eines nachts war es soweit.

Die Rebellen verschafften sich Zugang zum Louvre. Um Hineinzugelangen köpften sie die Musketiere, die sich ihnen nicht anschliessen wollten; unter diesen waren auch d'Artagnan, Athos und Portos. Kalt und leblos lagen sie in ihren Blutlachen. Die Augen vor Schreck weit aufgerissen. Die Münder verzerrt zu lautlosen Schreien. Keiner der Rebellen warf einen zweiten Blick auf die ausblutenden Körper. Sie kannten keine Gnade, keine Rücksicht. Alles was für sie zählte, war der Tod der gesamten Krone.

Sie arbeiteten sich langsam vor; weiter in den Palast. Sie schlichen leise und blieben unbemerkt. Erst als sie in die Gemächer des jungen Prinzen eindrangen, vernahm man den erstickten Schrei seiner Kammerzofe. Beschützend stellte sie sich vor das Kindlein. Ein Leben lang hatte sie sich um ihn gekümmert, niemand durfte ihm ein Haar krümmen. Monate hatte sie im Exil verbracht, doch von Zeit zu Zeit sich heimlich Zugang ins Schloss verschafft, um immer ein Auge auf ihren Schützling zu werfen.

Doch die Rebellen nahmen auch vor ihr keinen Halt. Brutal stiess einer der Widerstandskämpfer ihr einen Dolch in die Kehle. Mit einem Röcheln ging Constance zu Boden. Sie versuchte sich hoch zu kämpfen, doch sie vermochte nicht zu verhindern, dass die Vermummten dem unschuldigen Kind einen schmalschneidigen Dolch ins Herz stiessen. Ihre salzigen Tränen vermischten sich mit dem Blut, das unaufhörlich aus ihrer Wunde sprudelte. Das Leben verliess sie langsam aber sicher.

Als die Königin unwissend das Zimmer betrat, verweilte die Zofe nicht mehr unter den Lebenden. Sie hörte die klagenden Schreie ihrer Königin nicht mehr. Auch nicht die klirrenden Klingen, als Aramis sich ein Weg durch das Gemetzel kämpfte. Sie sah nicht, wie er sich vor seine Geliebte stellte und sie nicht retten konnte. Sie spürte nicht seinen unendlichen Zorn, als seine Königin durchbohrt in die Knie sank. Und letztendlich fühlte sie nicht seine Erleichterung, als ihm ein Speer ebenfalls den Tod bereitete.

Panisch schreckte Aramis aus dem Schlaf. Seine Leinentücher schlangen sich unordentlich um seine Beine. Ein Schweissfilm zog sich über seine Haut. „Nur ein Traum", murmelte er. „Es war nur ein Traum." Er sah sich um, entdeckte die schlafenden Gesichter seiner Freunde, überzeugte sich, dass ihre Atmung noch regelmässig stattfand. Erst dann liess er sich auf sein Lager zwischen den anderen Musketieren zurückfallen. Langsam umwob ihn der Schlaf erneut und als er am nächsten Morgen zum Apell antrat, hatte er die schrecklichen Bilder längst wieder vergessen. Dass der Tag nahte, an welchem sich eine Handvoll Rebellen tatsächlich Zugang zum Palast verschafften, konnte er nicht ahnen.

„Reiht euch ein! Ihr geht genau in diesen Kolonnen durch die Strassen, in die ihr nun eingereiht seid. Ihr marschiert die normale Runde ab. Denkt daran. Ihr seid stolz, mutig und furchtlos, aber auch diszipliniert! Keiner bricht aus den Reihen aus, es sei denn er stirbt", wies der Capitaine seine Musketiere an.

„Klingt entspannend, wie jeder dieser Machtdemonstrationen, die sich der Regentschaftsrat ausgedacht hat", bemerkte Athos sarkastisch. „Mhh", brummte Portos zustimmend. Die Truppe zog los und schweigend marschierten die Musketiere hinter dem Vordersten her. Es war einer dieser seltenen sonnigen Tage in diesem Monat. Entsprechend waren die Strassen belebt. Die Musketiere hatten kein Problem hindurch zukommen, da sich vor ihnen eine Gasse bildete, welche sich hinter ihnen wieder schloss, aber das war auch schon alles, was die Menschen in Paris ihnen an Beachtung schenkten.

Bei den ersten drei Märschen waren die Bewohner auf die Strassen geströmt und an die Fenster gerannt um so viele Musketiere auf einem Haufen zu sehen. Doch nach dem zwanzigsten Mal blickte – ausser hin und wieder ein vereinzeltes Kind – niemand mehr zum Zug hin. Unter den Musketieren selbst gab es auch niemanden, der gerne hier war. Jeder würde bei diesem Wetter den Tag im Freien lieber anders verbringen. Zum Beispiel mit einem Getränk und Freunden oder seiner Liebsten.

Eine Katze jaulte auf, als Portos ihr auf den Schwanz trat, aber sonst geschah nichts aufregendes, bis plötzlich d'Artagnan fassungslos in eine Richtung starrte und aus der Reihe ausbrach, um in der Menschenmenge unterzutauchen. Die belebte Strasse hatte ihn so schnell verschluckt, dass ihm seine Freunde nicht hatten folgen können, als sie erst einmal realisiert hatten, was geschehen war. Es blieb ihnen nichts Anderes übrig als aufzuschliessen und zu hoffen, dass der Capitaine den fehlenden Musketier nicht bemerkte.

D'Artagnan kehrte erst zu seinen Freunden zurück, als die Sonne schon untergegangen war. Er wirkte noch müder und niedergeschlagener als sonst. Seine Schulter hingen zu seinen Seiten herab, als lastete auf ihnen das Gewicht der gesamten Welt, wenn nicht des gesamten Kosmos'.

„Was hat dich denn heute geritten?", fragte Athos ohne Umschweife. „Ich dachte, ich hätte sie gesehen. In der Menschenmenge mit einem Tuch, das ihr Gesicht halb verdeckte. Von der Grösse her und von dem, was ich vom Gesicht gesehen habe, hätte es Constance sein können. Aber ich habe die Frau nicht verfolgen können in der Menschenmasse. Ich bin durch Strassen gerannt, habe Menschen, nach dieser Frau gefragt, aber wieder nichts. Keiner schien von Constance oder der Frau mit dem Tuch gehört zu haben..."

Seine Stimme verlor sich. Mitfühlend klopften ihm seine Freunde auf die Schulter. Selbst nach all den Jahren, würde d'Artagnan seine Constance niemals aufgeben. An manchen Tagen hatte er den Glauben fast verloren, aber stets wiedergefunden und weitergesucht. Aramis konnte ihn verstehen. Er würde auch niemals aufhören nach Anne zu suchen, wenn auch nur die allerkleinste Chance bestand, dass sie noch irgendwo da draussen weilte.

Das Leben einer KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt