1641

4.4K 419 26
                                    

Unruhig hantierte Anne in der Küche. Sie setzte Wasser auf, um für sich und Aramis Tee zuzubereiten. Sie erinnerte sich an die Zeit, in der er ihr aus dem Ausland Briefe geschrieben und das Schicksal um eine Tasse Tee mit ihr angefleht hatte.

Nun achtete sie darauf immer seine Lieblingskräuter im Haus zu haben. Konnte er sich von Zeit zu Zeit von seiner Arbeit am Hof losreissen, gehörte es zur Tradition, dass Anne für Tee sorgte. Nicht dass Aramis es je verlangt hätte, aber Anne liebte es den freudigen Ausdruck in seinen Augen zu sehen, wenn sie mit den geblümten Tassen auf ihn zukam. Der Duft des Tee verzauberte ihn und sie gleich mit.

Eine Stimme riss Anne aus ihren Gedanken. „Madame Anne? Ich soll Ihnen diesen Brief vom König überreichen. Er sagte, es würde Sie vielleicht interessieren, was darin steht."

Ruckartig fuhr Anne herum und lief zum Überbringer - in diesem Fall d'Artagnan - um den Brief entgegen zu nehmen. Sie vermutete stark, er wäre von Constance, die den Brief im Namen des Königs aufgegeben hätte, um sie über den Grund zu unterrichten, weshalb sie vor einer Woche nicht wie gewohnt erschienen war mit dem kleinen Louis. Bis jetzt hatte sie noch nie eines der Mutter-Kind-Treffen versäumt. Weshalb also dieses Mal?

Anne vernahm Aramis' Schritte hinter ihr, wie er ihr aus der Wohnstube folgte. Es war sein erster Besuch seit Langem. Doch auch wenn sich Anne grösste Mühe gab, konnte sie seine Anwesenheit vor lauter Sorge um ihre Freundin nicht richtig geniessen.

„Danke, d'Artagnan, möchtest du nicht noch einen Tee trinken mit uns? Und nenn mich doch endlich Anne", bot sie ihm an. „Das wäre sehr schön, Ma ­— Anne", korrigierte dieser sich hastig.

Anne lächelte ihm aufmuntern zu und deutete ihm den Weg in die Teestube. Auf dem Weg dorthin riss die Königin den Briefumschlag auf. Sie stutze. Es war nicht wie erwartet einen Brief in Constances Handschrift voller Schnörkel, sondern ein formelles Schreiben des Königs. Mitsamt Siegel und Unterschrift. Mit gerunzelter Stirn begann Anne zu lesen. Mit jedem Wort erblasste sie mehr und mehr.

Mit diesem Dokument wird die Verurteilung zum Tode der Zofe Constance schriftlich festgehalten. Sie machte sich des Vergehens schuldig, ihren König und ihr Land hintergangen zu haben, indem sie den Prinzen Louis entgegen den eindeutigen Befehlen des Königs aus dem Schloss entfernt hat.

Ihre Hinrichtung wird am Samstag, 19. September 1641, fern der Öffentlichkeit erfolgen.

Annes Hände zitterten. Sie las die Zeilen wieder und wieder. Versuchte die Lüge hinter den Buchstaben zu erkennen, doch da war keine Lüge. Schwarz auf Weiss lachten die Buchstaben über ihr Verderben.

Sie sank auf die Knie und begann bitterlich zu weinen. Es war ihre Schuld. Sie hätte ablehnen sollen, als Constance ihr den Vorschlag gemacht hatte mit Louis her zu kommen. Sie hätte es ihr nicht erlauben sollen. Aramis hob sie hoch und trug sie zu einem Sessel. Vorsichtig liess er sie hineingleiten und hielt sie dann fest in seinen Armen geborgen.

In der Zwischenzeit hatte d'Artagnan den Brief aufgelesen und wollte ihn auf den Küchentisch legen. Als ihm der Namen seiner Geliebten ins Auge stach, begann er trotz seinen Prinzipien sich niemals in die Briefe eines anderen einzumischen mit lesen.

Im Sessel liegend erstarrte alles in Anne. Sie nahm nicht wahr, was um sie geschah. Eine dunkle, innere Leere breitete sich in ihr aus und liess nichts anderes mehr in ihr Bewusstsein dringen.

Anne hörte nicht, wie d'Artagnan um seine Geliebte zu schreien begann, die seit zwei Tagen nicht mehr unter den Lebenden weilte. Sie spürte nicht, wie Aramis sich von ihr löste und auf seinen Freund zuging. Sie hörte nicht, wie d'Artagnan tobte und Aramis einen Schlag abbekam, weil er seinen Freund zu bändigen versuchte. Wie die Schreie sich allmählich in haltlose Schluchzer wandelten. Wie auch diese nach Stunden verebbten und Aramis sanfte Stimme auf seinen Freund einredete.

Das alles wusste Anne nicht, als sie am nächsten Tag mit nichts als dem Gefühl des Verlustes in der Brust aufwachte. 

Das Leben einer KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt