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Ich erwachte, als der Baumstamm gegen einen Felsen stieß. Ich kippte von Stamm und platschte volle Kanne ins Wasser. Panisch begann ich mit Armen und Beinen zu rudern bis mir auffiel, dass das Wasser seicht war und ich mit dem Bauch auf dem sandigen Boden lag.

Hinter mir hörte ich etwas platschen und ich drehte mich um. Marcel war hinter mir ins Wasser gefallen und im Licht der aufgehenden Sonne sah ich, dass sich das Wasser um ihn herum Blutrot färbte . Anfangs schob ich es auf den rot gefärbten Himmel, doch als ich auf ihn zuwankte erkannte ich, dass es Blutwolken waren die sich langsam von ihm ausbreiteten.

" Marcel! "

Keuchte ich und zog ihn aus dem Wasser. Er stöhnte, als ich ihn auf dem Strand ablegte. Am liebsten hätte ich mich neben ihn gelegt und geschlafen, doch mein Herz klopfte ängstlich gegen meine Rippen und pumpte Unmengen an Adrenalin durch meine Venen.

Wo kam das Blut her ? War er stark oder vielleicht sogar tödlich verletzt?

Tausend Fragen schwirrten mir durch den Kopf und ich tastete verzweifelt Marcels Körper ab um die Verletzung zu finden.

Als ich sie fand musste ich mir die Hand vor den Mund schlagen um nicht zu schreien.

Sein rechtes Bein war blutüberströmt, es stand unnatürlich ab und eine Wunde die bis zu seinem zersplitterten Knochen ging bedeckte sein Schienbein.

Ein leises Wimmern verließ meine Kehle. Ich konnte das nicht, ich konnte Marcel nicht beim Leiden zusehen.

Ich hörte, wie sein Atem langsamer wurde. Bitte, lass ihn nicht sterben! Flehte ich innerlich.

Als ich zögerlich an Marcels Brustkorb horchte atmete ich erleichtert auf. Er lebte noch, die Frage war nur, wie lange noch.

Ich zerrte ihn weiter, bis zum Waldrand wo ich ihn vorsichtig auf einem Bett aus Blättern ablegte. Ich beobachtete ihn eine Weile, dann wurde mir bewusst, wie durstig ich war. Welche Ironie des Schicksals, ich war beinahe ertrunken und hatte Durst. Ich schleppte mich zum See und fiel auf die Knie. Ohne nachzudenken steckte ich den Kopf ins Wasser und trank in gierigen Schlucken. Meine Kleidung war nass und ich fror ein wenig. Ein kalter Wind strich mir über die Haut und ich sah fasziniert zu, wie sich meine Hährchen eins nach dem Anderen aufstellen. Meine Gedanken schweiften ab und ich starrte auf das Wasser. Beinahe wäre ich gestorben. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn Marcel mir nicht gezeigt hätte, wie man fliegt. ..

Bei dem Gedanken lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich schüttelte mich und stand auf. Marcel brauchte auch Wasser, doch wie sollte ich es zu ihm bringen? Ich sah mich um und suchte nach einer Möglichkeit Wasser zu transportieren, nach irgendeinem dichten Behälter. Meine Augen blieben an einem umgefallenen Baum hängen. Vielleicht konnte ich eine Art Schale herausbrechen...

Ich schleppte mich zu dem Baum und versuchte ein Stück heraus zu brechen, doch ich war eindeutig zu schwach. Das Holz bewegte sich nicht mal einen Millimeter. Enttäuscht ließ ich mich auf den Boden plumpsen und starrte ins Nichts.

Der durchdringende Schrei eines Vogels weckte mich aus meiner Trance und ich rappelte mich auf. So konnte das nicht weiter gehen! Es musste doch irgendwas geben womit man Wasser transportieren konnte.

Ich setzte mich in Bewegung, doch schon beim ersten Schritt strauchelte ich und landete erneut auf meinem Allerwertesten. In meinem Kopf drehte sich alles und ich brauchte etwas Zeit um mich zu sammeln.

Als ich dieses Mal aufstand war ich vorsichtiger. Zarghaft setzte ich einen Fuß vor den Anderen und erreichte so zwar langsam aber dafür sicher Marcels Lager. Die Blätter an seinem Bein waren blutig und ich verfluchte meine eigene Dummheit als ich an die wilden Tiere dachte, die das Blut wittern und Marcel fressen könnten. Er hatte die Augen geschlossen und wenn man nur sein Gesicht ansehen würde , dann könnte man eben so gut denken, dass er nur friedlich vor sich hin schlummerte. Doch wenn man die Wahrheit wusste half nicht einmal die größte Vorstellungskraft der Welt. Ich berührte zaghaft seine Wange und er öffnete seine Augen einen Spalt breit.

" Wasser. "

Stöhnte er schwach.

" Du wirst bald welches bekommen, mach die Augen wieder zu und entspann dich."

Eigentlich wollte ich zuversichtlich und stark klingen, doch das Zittern in meiner Stimme verriet mich.

" So...schlimm? "

Ich antwortete nicht sondern starrte auf seine Hüfte.

Denkt jetzt nicht ich wäre pervers oder so, ich starrte nämlich nicht auf seinen kleinen Kumpel, sondern auf die Lederhalterung an seinem Gürtel in der einmal das Beil gesteckt hatte.

Wo war das verfluchte Beil ?

Ich könnte damit nochmal versuchen eine Schale oder so aus dem umgefallenen Baum zu hauen. Ich wusste noch, dass ich es umklammert hatte, als ich sprang und auch unter Wasser hatte ich es noch gehabt. Ich wankte hinunter zum See, wo ich nochmal einen Schluck Wasser trank. Ich setzte mich und dachte nach, als mir unser Lebensretter Baum uns Auge fiel. Er hatte sich im Schilf verhakt das wenige Meter rechts von mir geradezu wucherte. Mühsam und immer wieder innehaltend watetete ich durch das Wasser und den Schlamm. Als ich mich durch das Schilf gekämpft und den Baumstamm erreicht hatte war ich kurz vorm zusammenbrechen.

Die kleinen Wellen ließen mich beinahe stürzen und ich stützte mich gerade noch rechtzeitig an dem Baum ab. Hatte ich das Beil immer noch gehalten als ich eingeschlafen war? Ich wusste es nicht. Meine Erinnerungen an den letzten Tag waren sehr verschwommen. Ich suchte das Holz ab, vielleicht hatte ich das Beil ja irgendwo befestigt. Als ich ihn drehte schrie ich vor Glück und Ekel laut auf.

Da war das Beil, aber da war noch etwas, zwischen dem Beil und dem Holz hing ein Fetzen der nach Haut und Fleisch aussah. Das tote Fleisch hing aufgequollen und bleich halb im Wasser. Meine Gedanken zuckten panisch hin und her. Ich musste an Marcels Verletzung denken, kam sie davon? Hatte Marcel sich in seiner schlechten Verfassung aus versehen selbst das Beil ins Bein gerammt?

Mir wurde schlecht. Nein, kotzübel traf es eher. Ich spürte, wie mir die Galle den Hals hinaufkroch. Dann erbrach ich mich ins Wasser. Ich krümmte mich und begann zu weinen. Das tat ich immer wenn ich hilflos war, doch so schlimm wie jetzt war es noch nie gewesen.

Als ich mich wieder halbwegs gefasst hatte war ich so kraftlos, dass ich nicht einmal mehr einen Finger rühren konnte. Ich ließ mich ins Wasser plumpsen in dem immer noch  mein Erbrochenes schwamm. Es war mir egal, ich fühlte mich leer.

Ich könnte jetzt auf der Stelle sterben, doch was würde dann mit Marcel passieren? Er würde zweifelslos verdursten, weil ich es nicht schaffte das Beil aus dem Baum und seinem abgestorbenen Fleisch zu ziehen. Mit wackeligen Beinen und bei jedem zweiten Schritt stürzend watete ich auf das Beil zu. Mit zitternden Händen griff ich nach dem gummierten Griff des Beils und zog. Doch die Klinge wollte sich nicht lösen. Ich rüttelte daran und zog. Die Angst um Marcel hatte mir neue Kraft verliehen, er brauchte mich, sein Leben lag in meinen ungeschickten Händen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit lockerte sich das Beil endlich und nach einem weiteren heftigen Ruck platschte ich rückwärts in das Wasser, das Beil in meinen Händen. Meinen erschöpften Körper zurück an Land zu wuchten war schwieriger als gedacht. Die Angst trieb mich zwar weiter, doch ich blieb ständig an Schilf hängen und im Schlamm blieb ich stecken.

Zerkratzt und dreckig erreichte ich schließlich den Kies Strand. Das Bild des Haut-Fleischfetzens hatte sich für immer in mein Gehirn gebrannt.

Ich torkelte noch ein paar Meter in Richtung Wald, bis ich schließlich zusammen brach. Die Anstrengung war zu groß gewesen. Ich konnte nicht mehr aufstehen und glitt ins Dunkel meines Unterbewusstseins.

Alone *PAUSIERT*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt