Diese Welt, in der ich jetzt versuchte meinen Platz zu finden, war verwirrend. Niemand erzählte mir einfach alles. Wie sollte ich mir ein eigenes Bild machen, wenn alle vor mir kleine Stücke der Wahrheit verbargen. Sami wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Warum hatten meine Freunde mich vor ihm gewarnt? Er war so nett und ich hatte das Gefühl, er sagte mir als einziger die ganze Wahrheit.
„Guten Morgen, Schlafmütze", ertönte Heathers schrille Stimme neben meinem Ohr und plötzlich flutete Licht das Zimmer. Ich gab mir größte Mühe die Augen zu öffnen.
„Du hast Glück, das wir heute kein Sport haben. Du bist gestern aber doch hoffentlich nicht alleine nach Hause gegangen, du riechst wie ne Vodkaflasche. Als du gegangen bist, hattest du doch nur maximal ein Bier getrunken.", sie hörte einfach nicht auf zu reden und mein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich explodieren, „was um alles in der Welt ist danach passiert? Hier trink das"
Ich nahm das Glas und trank es aus. Tatsächlich fühlte ich mich einige Zeit später echt ein wenig besser.
Das erste Fach an diesem Morgen war Mathe. Das war mein Glück, denn in Mathe war ich wirklich gut. Danach hatte ich zu meinem Nachteil Französisch als Grundkurs und ich war echt schlecht. Ich fotografierte alles heimlich mit dem Handy, weil ich nichtmal die Motivation fand, es abzuschreiben. Das letztes Fach für den diesigen Tag war Geschichte. Das hatten wir dreimal die Woche, anscheinend hatten wir eine Menge nachzuholen.
Als es klingelte, fiel mir mein Rucksack wieder ein. Sami hatte versprochen, ihn vorbeizubringen. Ich rannte zurück zum Wohnheim und wirklich in meinem Zimmer stand er, mein Rucksack. Ich öffnete ihn und da war es. Es fühlte sich kühl in meinen Händen an. Ich blätterte es durch, bis zu der Seite an der ich zuletzt gearbeitet hatte. An Sami mit Flügeln, riesigen Engelsschwingen. Eins war sicher, er konnte nur zum Engel aufsteigen. Ich schlug die nächste Seite auf und malte Lili, also Lilith, mit den typischen schwarzen knochenartigen Flügeln, welche zerrissen und schlampig aussahen. Sie bekam schwarze Augen und Hörner ein Lilithmal, wie man es nannte. Ich schlug den Skizzenblock zu. Ich hatte sie doch gerade erst kennengelernt, außerdem sollte ich etwas verurteilen, was ich selbst vielleicht bald war. Ich schluckte. Es tat schon weh, es nur zu denken.
„Da bist du ja. Komm schon, du musst mitkommen.", Heather zog mich mit ihr. Ich hatte bloß noch Zeit meinen Rucksack zu schnappen. Ich verstaute meinen Skizzenblock darin und schwang ihn mir auf den Rücken.
„Wo gehen wir hin?" , konnte ich nun fragen.
„Zu einer alten Tradition", antwortete sie bloß und weiter ging es schweigend. Ich sah eine Scheune, auf die wir direkt zusteuerten.
In der Scheune waren die anderen schon in einem Kreis versammelt. Sie machten uns Neuankömmlingen bereitwillig Platz.
„Jeden Dienstag spielen wir Wahrheit oder Pflicht", sagte sie hysterisch aufgeregt.
„Nein, nein, nein, bitte nicht Heather" , flehte ich, doch sie hörte mich gar nicht.
„Hey, ihr Süßen", wurden wir von Lili begrüßt. Ihr Lächeln wirkte so kindlich und unschuldig. Veränderte uns die Verwandlung so sehr? Darauf wusste ich keine Antwort, ich musste an Mom denken. Sie verliebte sich in so ein angebliches „Monster". Waren wir danach nicht mehr die selben Menschen?
„Die Fragen und Aufgaben werden von allen zusammen gestellt.", erklärte Ami. Ich mochte dieses Spiel nicht, Hass traf es vielleicht besser.
„Möchtest du anfangen?", fragte mich Heather aufgeregt, doch ich schüttelte den Kopf.
„Na gut, dann dreh ich zuerst" , sie freute sich anscheinend über meine Ablehnung. Die Flasche drehte sich schnell. Als sie immer langsamer wurde, sah es erst so aus, als würde es mich treffen, jedoch fiel die Wahl zum Glück auf Raphy, der neben mir saß.
„Ihr fragt noch, Pflicht natürlich, ich hab Angst vor Heathers Fragen, ist doch klar", er versuchte verängstigt zu schauen, was alle jedoch nur zum Lachen brachte.
„Tja dann musst du für den Rest des Abends dein T-Shirt ausziehen, oder Mädels?" , fragte Heather mit einem breiten Grinsen.
„Das gefällt mir", sagte Lili und ihre Stimme klang sehr düster.
„Keine schlechte Idee Heather, auf Raphy ausziehen!", das war Daki. Eli, Dara und Lou stimmten auch zu. Jetzt blickten alle zu mir. Ich hatte bisher noch nichts gesagt, daraus folgte, dass ich durch diesen Druck errötete und nur:" Von mir aus" rauspresste.
„Wunderbar, Raphy, T-Shirt zu mir", forderte Heather. Raphy machte ein Striptease und schmiss mir das Shirt mit einem Zwinkern zu, was mich jetzt mittlerweile wahrscheinlich aussehen ließ wie eine Tomate. Doch niemand sagte was. Und so drehte Raphy die Flasche. Sie zeigte auf Dara. Sie nahm Pflicht und musste versuchen eine Traube von einem Teller zu essen, während sie einen Handstand machte. Und sie war überkrass. Danach war Heather gewählt, sie nahm natürlich Wahrheit.
„Wie viele Selfies machst du, bevor du eins postet?" , fragte Lou sie spöttisch.
„100 - 200" , sagt Heather mit einem Schulterzucken, dann drehte sie die Flasche und sie blieb vor mir liegen.
„So, Frischling, Wahrheit oder Pflicht?", fragte mich Viktor und sah mir tief in die Augen.
„Ich entscheide mich für die Wahrheit." , erwiderte ich mit fester Stimme und starrte trotzig zurück. Ich konnte nicht vergessen, wie er sich so lange über mich lustig machte, bis ich weinend weg lief. Das ich aus Angst vor ihm lieber auf krank tat, als einen Fuß ins Schulgebäude setzen zu müssen.
„Wer deiner Eltern ist irdisch?", kam es nur so aus Lou rausgesprudelt. Sie war wirklich unfassbar neugierig, aber man sah, dass sie dabei in der Regel keine bösen Hintergedanken hatte.
„Keiner", antwortete ich ehrlich. In dieser Angelegenheit lohnte sich lügen nicht.
"Hä? Das versteh ich jetzt nicht. Wieso bist du dann erst dieses Jahr gekommen?", fragte Dara verwirrt. Jetzt sahen sie mich alle fragend an, alle außer einem, Viktor.
„Das ist eine zweite Frage, Dara", sagte ich lächelnd. Alle schwiegen. Ich nahm die Flasche und drehte sie. Das Spiel nahm wieder seinen Lauf und wie es das Glück wollte, drehte sich die Flasche kein weiteres Mal zu mir. Nach dem Spiel räumten wir alle gemeinsam auf und machten uns dann wieder auf den Weg zu den Wohnheimen. Auf halbem Weg bemerkte ich, dass ich mein Handy nicht bei mir hatte.
„Ich hab mein Handy vergessen, ich geh nochmal zurück, es holen.", rief ich den anderen zu.
„Wir sehen uns dann gleich im Zimmer.", kam von Heather zurück , welche Hand in Hand mit Viktor lief. Es war fast vollständig dunkel nur die einzelne Straßenlaterne zwischen mir und der Scheune, strahlt schwach Licht in die Dunkelheit. Ich er schauderte.
In der Scheune fand ich das Handy schnell, es war auf dem Boden neben den Strohballen, wo wir gesessen hatten. Auf einmal hörte ich einen Stock knacken. Jemand war hier. Ich hätte nichts um mich zu wehren, war mein erster Gedanken, der zweite war: Renn! Doch das tat ich natürlich nicht. Ich schlich zur Tür, da legte sich eine Hand auf meine Schulter, doch diese Hand war mir nicht fremd.
„Sami, du hast mir Angst gemacht!", ich stieß ihm in die Seite. Darauf folgte ein Keuchen, er hatte wohl nicht mit so einer Grobheit gerechnet.
„Nette Begrüßung", presste er hervor, „was machst du so ganz allein im Dunkeln? Ist das nicht ein bisschen gefährlich?"
Seine Stimme war sanft wie immer. Ich wagte einen Blick in seine Augen und bereute es sofort wieder. In diesen Augen würde ich mich jedes Mal verlieren. Doch was dachte er eigentlich, wer er war? Ich konnte bestens auf mich aufpassen, auf dem Schulgelände... Außerdem was machte er eigentlich hier? War er mir gefolgt?
„Andere Frage: Was machst DU hier?", ich funkelte ihn wütend an. Er sah weg und blieb mir die Antwort schuldig.
„Komm ich bring dich wieder nach Hause und bevor du widersprichst, ich werde dich ganz sicher nicht allein zum Wohnheim laufen lassen, es ist dunkel und du bist hübsch. Nein, ich werde dich begleiten!", damit packte er mich am Arm und zog mich aus der Scheune. Hatte er mich gerade hübsch genannt?! Oder hatte ich mich da verhört? Mich hatte außer meiner Mom noch nie jemand „hübsch" genannt.
„He, aua, das tut weh, lass los", rief ich. Augenblicklich ließ er mich los, als hätte ich ihm einen Elektroschock gegeben. Er wich zurück.
„Es tut mir leid", sagte er und sah mir wieder so tief in die Augen. Ich musste mich Räuspern.
„Nichts passiert, alles gut.", ich versuchte meine Stimme locker klingen zu lassen, doch es klang eher gepresst.
„Du hast immer noch Angst vor mir, stimmt's?" fragt Sami mich und die Trauer in seiner Stimme ließ mein Herz splittern, doch er hatte Recht.
„Ja, das stimmt. Ich kenne nicht die ganze Geschichte und weiß einfach nicht, warum meine ganze Clique so eine Heiden Angst vor dir hat" , antwortete ich beschämt.
„Weißt du, du wirst es eh irgendwann erfahren, dann vielleicht lieber doch von mir selbst", redete Sami sich wohl selbst Mut zu, „also ich bin aus einer Familie, dessen Nachkommen bisher immer nur wieder Schattenwandler wurden. Somit denken alle meine Familie wäre verflucht."
„Denkst du das denn?" , fragte ich ihn und diesmal sah ich ihm tief in die Augen. Jetzt erst bemerkte ich die schwarzen Ringe unter seinen Augen.
„Ich bin mir nicht sicher", antwortete er, wendete den Blick ab und lief weiter. Er wollte anscheinend nicht darüber reden, so ließ ich ihn in Ruhe.
Bis zur Haustür wechselten wir kein Wort mehr miteinander. Auf der Schwelle drehte ich mich um und flüsterte: "Gute Nacht, Sami. Und danke für deine Ehrlichkeit"
Damit verschwand ich ohne seine Antwort abzuwarten hinter der Tür.
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Dark Angel
FantasyNoch weiß ich es nicht genau aber so viel bis jetzt: Stell dir vor du wächst auf in einer Welt die sich irgendwann trennt und entweder stehst du im Licht oder im Schatten. Eins von beiden und nur eins kommt in Frage. Carona muss zum Engel berufen we...