Sahra kritzelte immer wieder einzelne Wörter auf das Blatt vor sich. Manche von ihnen waren kaum zu entziffern, weil Sahras das Zittern in ihren Fingern nur schwer kontrollieren konnte. Sie wollte diese Worte gar nicht zu Papier bringen, denn solange die Buchstaben vor ihr weiterhin eben nur Buchstaben und noch keine zusammenhängenden, sinnvollen Sätze waren, war es auch noch nicht real. Doch wie konnte das was sie hier versuchte zu Papier zu bringen überhaupt einen Sinn ergeben? Man trennte sich doch nicht von jemandem, den man liebte. Und daran, dass sie Linda liebte, hatte sie keinen Zweifel, aber es tat einfach so verdammt weh.
Sahra legte den Stift bei Seite und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sie hatte vor ein paar Wochen angefangen sich zu fragen, wie sie sich überhaupt erst in so eine Situation hineinmanövriert hatte. Die Antwort war eigentlich so einfach. Sie hatte sich nun mal in Linda verliebt. Doch mit dieser Antwort gab sie sich nicht zufrieden. Wie konnte es sein, dass die Frau sie dermaßen um den Verstand brachte. So war sie doch auch nicht in ihren vorherigen Beziehungen gewesen. Die einzige plausible Antwort darauf war, dass sie mit Linda ihre große Liebe gefunden hatte. Sahras Gedankenkarussell drehte sich immer schneller, sodass sie sie keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen konnte bis auf diese eine Frage: Wenn Linda ihre große Liebe war, wieso war sie gerade dabei ihr das Herz zu brechen?
Um sich für einen Moment abzulenken dachte sie daran zurück wie sie Linda kennengelernt hatte...
"So ein Mist, die wollen mich doch auch echt rausekeln aus der Fraktion. Innenausschuss, noch schlimmer hätte es nicht kommen können. Hier mit den ganzen stockkonservativen CDUlern und AFDlern sitzen, dazu noch der neoliberale Einheitsbrei aus Grünen und FDP und am aller schlimmsten: Sozialdemokraten. Die haben wirkliche linke Politik doch schon vor Jahren abgeschrieben. Mit denen ist gar nichts mehr anzufangen." murmelte Sahra vor sich hin, während sie schnellen Schrittes die Gänge des Paul-Löbe-Hauses durchquerte um zum Ausschusssaal zu kommen. Dass sie in der Fraktion nicht gerade beliebt war, war bekannt und normalerweise hatte sie auch kein Problem damit von ihren Kollegen gemieden oder öffentlich verurteilt zu werden. Ja ihretwegen hätten sie ihr ja auch den Sitz im Finanzausschuss wegnehmen können, aber sie dazu verdonnern in den Innenausschuss zu gehen, war doch mal wieder eine weitere Provokation ihrer Fraktion. Und dann auch noch mit der Lindholz als Vorsitzende. Sahra stöhnte innerlich genervt auf. Egal sie würde ihre Kollegen so gut es ignorieren und sich so gut es ging in die Thematik einarbeiten. Der Fraktionsvorstand würde ja schon sehen was er davon hat. Endlich fand sie den Raum nach dem sie gesucht hatte, atmete noch einmal tief durch und betrat den Ausschuss.
90 Minuten später packte Sahra die letzten Unterlagen in ihre Tasche. Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, aber es wurde im Innenausschuss ja tatsächlich gearbeitet. Sahra war davon ausgegangen, dass die meisten Abgeordneten hier einfach ihre Zeit absaßen oder Afdler waren, die den Ausschuss für weiteres Hetzen gegen Flüchtlinge nutzen würden. Manches davon hatte sich zwar bestätigt, jedoch musste sie feststellen, dass es tatsächlich einige zu geben schien, die wirklich leidenschaftliche Innenpolitiker waren. Sahra machte sich einen gedanklichen Vermerk gleich mal ihre Mitarbeiter damit zu beauftragen, herauszusuchen, wie sie sich einzuarbeiten hatte, damit sie heute Abend schon mal ein wenig damit beginnen konnte um nicht vollkommen hinterherzuhängen.
"Entschuldigen Sie die Störung, aber hätten Sie vielleicht eine Minute?" Sahra drehte sich um und blickte in das Gesicht einer höflich lächelnden Frau Teuteberg. Sie blickte schnell auf ihre Armbanduhr. Zeit hatte sie, jedoch keine sonderlich große Lust sich mit der FDP Politikern zu unterhalten, obwohl sie eine der Abgeordneten war, die sich wirklich für die Ausschussarbeit hier zu interessieren schien.
"Eine Minute wird wohl gehen. Was gibt es denn?"
Frau Teuteberg schaute sich einmal kurz im Raum um, so als wollte sie nicht, dass jemand sie beobachtete. Was war denn nur los mit den FDPlern, waren die jetzt endgültig verrückt geworden oder was? Nachdem der letzte CDU Abgeordnete die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ, begann die Frau vor ihr endlich zu reden.