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Seit ich vor 17 Jahren geboren wurde, ging in meinem Leben alles schief.

Das klingt jetzt vielleicht so, als wolle ich nur nach Aufmerksamkeit suchen, doch das ist etwas, was ich überhaupt nicht leiden kann.

Aufmerksamkeit.

Ich meine es wirklich ernst, wenn ich sage, dass alles schiefgeht.

Mir wird alles genommen, was mir etwas bedeutet, aber das werdet ihr selber merken, wenn ihr meine Geschichte lest.

Beginnen wir dort, wo auch für mich alles begonnen hat.

Mein Pech.

Mein Fluch.

Nennt es, wie ihr wollt.

Angefangen hat es, als meine Eltern starben.

Zu dem Zeitpunkt war ich 6 Jahre alt und dementsprechend waren mein großer Bruder und ich alleine.

Schlimmer wurde es, als wir erfahren haben, dass wir keine weiteren Verwandten hatten, die uns hätten aufnehmen können.

Wir wussten zwar, dass unsere Eltern uns nie zu irgendwelchen Familien treffen, oder zu irgendwelchen Geburtstagen brachten, doch wir nahmen nur an, dass die beiden sich mit ihren Verwandten zerstritten hatten.

Dem war dann leider doch nicht so.

Da mein Bruder nur zwei Jahre älter war als ich, konnte er nicht für mich sorgen, also wurden wir für kurze Zeit in ein Waisenhaus gebracht und in den Adoptionslisten angegeben.

Die Leute, die alles versuchten, um uns zusammen als Geschwisterpärchen zu vermitteln, waren wirklich verdammt nett, doch das half mir auch nicht weiter, als mein Bruder von einem jungen Paar adoptiert wurde, dass sich nur ein Kind leisten konnte.

Dann, ungefähr zwei Wochen später, wurde ich dann von einer netten Familie adoptiert, die sehr wohlhabend war, wobei mich nie wirklich interessierte, dass sie bereits zwei Kinder hatten, da ich immerhin nur meinen Bruder haben wollte.

Die ersten Wochen, nein sogar Monate, waren dementsprechend die Hölle auf Erden.

Für mich selber, aber auch für meine Mitmenschen, denen ich das Leben einfach nur schwer machte.

Ich war laut, rebellierte, wollte weder Essen noch Schlafen und machte ihnen nur Probleme.

Als Kind wusste ich nicht wirklich weiter, also dachte ich, ich würde wieder mit meinem großen Bruder vereint werden, wenn ich nur ein bisschen zeige, dass ich zu ihm wollte.

Auch das war leider nicht der Fall.

Natürlich war das nicht der Fehler meiner Adoptivfamilie und das wusste ich auch, doch ich fühlte mich so unvollständig ohne meinen Bruder.

Irgendwann habe ich mich dann nach und nach daran gewöhnt, ohne meinen Bruder in einem Haus voller fremder Menschen zu leben, doch wirklich geöffnet habe ich mich der Familie nie.

Ich bin ihnen verdammt dankbar dafür, dass sie mich pflegen, lieben und beschützen, doch oft genug zeigen tue ich das, um ehrlich zu sein nicht.

Die meiste Zeit bin ich nur in meinem Zimmer und ziehe mein Ding durch, während die anderen ihr Ding durchziehen.

Natürlich verstehen wir uns alle gut, dennoch kann man das nicht als eine Bindung zueinander sehen.

Ich war nie wirklich sehr gesprächig mit ihnen, oder gar jemand anderem, abgesehen von meinem Bruder und das hat sich bis heute auch nicht wirklich geändert.

Nach der Mittelschule konnte ich dann endlich auf die Highschool gehen.

Anfangs hatte ich große Angst, dort viel zu viele Probleme zu bekommen, doch als ich den ersten Tag dort war, habe ich etwas erfahren, dass mir wirklich den letzten schlechten Gedanken geraubt und durch etliche gute ersetzt hat.

Ich war überglücklich, als ich erfuhr, dass mein großer Bruder dieselbe Schule besuchte.

Wir fingen wieder an Kontakt zu haben und es lief atemberaubend gut.

Er war dort zwar sehr beliebt, doch er hat nie gezögert Zeit mit mir zu verbringen, oder gar zu zeigen, dass ich ihm viel bedeutete.

Nie war ich glücklicher, doch auch das sollte nicht lange anhalten.

Mein Glück, meine ich.

Dieses wird mir immer genau dann genommen, wenn ich mich gerade daran gewöhnt habe.

Vor etwas mehr als einem Jahr, ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, wurde ich dann mitten im Unterricht aus der Klasse geholt und in das Büro der Schulleiterin bestellt.

Ich war total überrascht, zwei mir fremde Erwachsene dort aufzufinden, die anscheinend irgendetwas von mir wollten.

Dann stellte sich etwas heraus.

Und zwar, dass dieser Tag, zu dem schlimmsten Tag meines Lebens werden sollte.

Der Tag, an dem mir die Eltern meines Bruders berichteten, dass er sich das Leben genommen hatte.

Sie erklärten mir, warum er das tat und das ließ mich vollkommen schockiert drein blicken.

Er tat es, weil er mit seiner Krankheitsdiagnose nicht klarkam.

Ich wusste weder von einer Krankheit, noch von einer verdammten Diagnose.

Wie gelähmt habe ich mir alles angehört, doch zu verkraften war es schwer.

Bis heute habe ich es nicht vernünftig akzeptieren können.

Ich konnte in dem Moment nicht einmal weinen, so verdammt schockiert war ich.

Mein Bruder wurde mit einem inoperablen Hirntumor diagnostiziert und kam damit überhaupt nicht klar.

Ich verstehe nicht, wie mir das nicht auffallen konnte, da ich die Wochen davor so verdammt viel Zeit mit ihm verbracht hatte.

Er schien so normal.

So glücklich.

So sorglos.

Und im nächsten Moment nimmt er sich das Leben, als wäre es nichts.

Er hat mir einen Abschiedsbrief hinterlassen, den mir die beiden an dem Tag gegeben haben, doch bisher konnte ich mich nicht dazu bewegen ihn zu öffnen.

Nach dem Tod unserer Eltern, blieb mir nur der Gedanke an ihn, doch jetzt?

Er war einfach gegangen und hat mich alleine gelassen.

Was sollte ich nur machen?

Ohne meinen Bruder.

Ohne meinen letzten Verwandten.

Jetzt bin ich die letzte meiner gesamten Familie.

Be my SalvationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt