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Überrascht schaute ich von meiner Arbeit hoch, als es an der Bürotür klopfte.

"Herein!"

Meine Kollegin Jolie streckte ihren Kopf in den Raum und wirkte auf den ersten Blick ein wenig gehetzt. Vielleicht kamen ihre geröteten Wangen aber auch einfach von den irrsinnig hohen Temperaturen, die im Moment herrschten.
Fragend sah ich sie an.

"Hey, was kann ich für dich tun?"

"Der Chef will dich sehen. Unverzüglich."

"Jean oder Monsieur Bernard?

Jean war unser Abteilungsleiter und für alle Mitarbeiter zuständig, die über die nationale Politik schrieben. Monsieur Bernard war wiederum Jeans Chef und für den gesamten politischen Bereich der Zeitung zuständig.

"Weder noch. Du sollst zu Monsieur Roux."

"Was?"

Monsieur Roux war eine völlig andere Hausnummer, er schuldete nur dem Vorstand der Zeitung Rechenschaft. Wenn man zu ihm kommen sollte, war das entweder extrem gut oder extrem schlecht. Dazwischen gab es normalerweise nichts.

Hilfesuchend schaute ich meine Kollegin an.

"Du weißt nicht zufällig, worum es geht?"

"Nein, keine Ahnung. Vielleicht kriegst du ja endlich mal mehr Geld für die ganzen Überstunden, die du machst", antwortete sie zwinkernd und ich konnte mir ein kurzes Lachen nicht verkneifen.

"Wir wollen doch realistisch bleiben, meine Liebe. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Gegenteil sogar noch zusätzliche Arbeit für mich hat, ist deutlich höher."

"Das befürchte ich leider auch. Er ist schon seit Tagen schlecht drauf, weil wegen Corona und den Schulferien so viele Kollegen ausfallen."

Jolie seufzte genervt und man konnte es ihr nicht verdenken. Die Pandemie war zwar gerade nicht mehr auf einem Höchststand, aber in den letzten Wochen waren die Zahlen der Infizierten doch wieder deutlich angestiegen und das spürten wir alle auch hier im Büro.

"Da sagst du was. Na ja, ich will Monsieur Roux nicht zu lange warten lassen. Wollen wir nachher gemeinsam Mittag machen?", erkundigte ich mich, während ich mich am Computer ausloggte und im schwarzen Bildschirm nochmal mein Spiegelbild betrachtete.

"Ja, können wir gerne machen. Und jetzt hör auf an dir rumzuzppeln, du siehst toll aus. Außerdem hat Monsieur Roux doch sowieso eine Schwäche für dich."

Jolie zwinkerte mir zu und ich begann unweigerlich zu grinsen.

"Ich weiß und ich will, dass das so bleibt. Wer weiß, wozu das noch gut sein könnte."

"Du berechnendes Ding, also wirklich. Wenn du dich nicht beeilst, wirst du es dir mit ihm verspielen, weil du zu spät bist. Du weißt, dass er-"

"Unpünktlichkeit hasst, ja das weiß ich. Wir sehen uns nachher Jolie."

Mit diesen Worten schob ich meine Kollegin zurück auf den Gang und machte mich auf den Weg zum Büro des Chefs des Chefs des Chefs- na ja, zu Monsieur Roux eben.
Dort angekommen zog ich nochmal meinen Rock und die Bluse zurecht und klopfte dann - nachdem ich mich bei der Sekretärin angemeldet hatte - entschlossen gegen das dunkle Holz der Tür.

"Herein!"

Lächelnd betrat ich den Raum und atmete innerlich schonmal erleichtert durch, als mein Gegenüber das Lächeln erwiderte. Also hatte ich zumindest keinen Mist gebaut, wegen dem er sauer auf mich gewesen sein könnte. Vielleicht würde es ja doch was werden mit der Gehaltserhöhung.

"Sie wollten mich sprechen?"

"Mademoiselle Vinet, ja, in der Tat. Bitte setzen Sie sich."

Er deutete auf den Stuhl ihm gegenüber und ich folgte der Aufforderung. Das Lächeln meines Chefs schien noch eine Spur charmanter zu werden und für einen kurzen Moment fragte ich mich, ob ich mir Sorgen machen sollte. Monsieur Roux machte mir schon schöne Augen seit ich vor fünf Monaten angefangen hatte hier zu arbeiten, aber ich war nie darauf eingegangen. Was, wenn-

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt