Trente-huit

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Ich blinzelte verschlafen und öffnete müde die Augen. Die Decke über mir kam mir nicht bekannt vor und auch die Bettwäsche fühlte sich nicht nach meiner eigenen an, weshalb ich mir verwirrt die Augen rieb und dann den Kopf ein wenig anhob, um mich im kaum beleuchteten Raum umsehen zu können.

Wo zum Teufel war ich?

Erst als sich neben mir etwas bewegte und ich im schwachen Licht, das durchs Fenster hereinschien einen Kopf entdeckte, fiel mir wieder ein, wo ich mich befand und wieso mir dieser Raum so fremd war.

Ich lag mit Pierre im Bett in seinem Hotelzimmer, weil wir heute Nacht gemeinsam hier eingeschlafen waren. Innerhalb weniger Sekunden kehrten alle Erinnerungen zurück und ich spürte, wie mein Herzschlag sich beschleunigte, als ich an seine Berührungen und seine Nähe dachte, an die Küsse und die liebevollen Worte kurz vor dem Einschlafen und an das vertraute Gefühl in seinen Armen zu liegen.

Innerlich seufzend ließ ich meinen Blick zum Fenster wandern und realisierte, dass das schwache Licht nicht von einer Laterne kam, sondern von der aufgehenden Sonne und das wiederum bedeutete- Fuck, wie viel Uhr hatten wir?

So schnell wie möglich befreite ich mich aus Pierres Armen und schälte mich aus der Bettdecke, ignorierte die Tatsache, dass ich komplett nackt und es im Zimmer nicht wirklich warm war und machte mich auf die Suche nach meiner Handtasche. Als ich sie endlich gefunden hatte, begann ich wild darin zu wühlen bis ich endlich mein Handy gefunden hatte und nach der Uhrzeit sehen konnte, bei der zu meinem Entsetzen schon eine 8 vorne stand.

"Lou? Was ist los?", erklang auf einmal Pierres verwirrte Stimme aus dem Bett und ich lief dorthin zurück.

Mein Ex-Verlobter rieb sich gerade verschlafen die Augen, bevor er sich ein wenig aufrichtete und mich fragend ansah.

"Alles okay?"

"Nein, wir haben verschlafen. Es ist schon kurz nach 8, ich muss dringend ins Büro!", antwortete ich gestresst und suchte dann meine Klamotten vom Boden zusammen, auf die wir beim Ausziehen letzte Nacht nicht geachtet hatten.

Als ich meine komplett zerknitterte Bluse in die Höhe hielt, spielte ich einen Augenblick lang mit dem Gedanken in Tränen auszubrechen. Was sollte ich denn jetzt anziehen? Pierre war meinem Blick gefolgt und schien zu wissen, was mein Problem war, denn er verließ nun ebenfalls das Bett, lief zum Kleiderschrank und reichte mir wenige Sekunden später ein weißes Hemd.

"Nimm das hier. Wenn du's in den Rock steckst und die Ärmel hochkrempelst, fällt niemandem auf, dass es zu groß ist."

"Danke", entfuhr es mir erleichtert und ich nahm das Hemd, dann verschwand ich mit all den Klamotten und meiner Handtasche ins Badezimmer. Frische Unterwäsche hatte ich jetzt leider keine, an meiner Strumpfhose entdeckte ich eine Laufmasche, die wahrscheinlich entstanden war, als Pierre sie mir gestern ungeduldig ausgezogen hatte, aber meine Stiefel würden sie hoffentlich verdecken.

Nach einer Katzenwäsche schlüpfte ich in die Sachen und kramte dann mein Notfall-Makeup aus meiner Handtasche. Mit Concealer, Wimperntusche und Lippenstift sah ich sofort wacher und seriöser aus, meine Haare steckte ich irgendwie mit einer Klammer hoch, dann verließ ich das Bad und kehrte ins Hauptzimmer zurück.

Pierre, der genauso wie ich nackt geschlafen hatte, hatte sich mittlerweile Boxershorts und ein T-Shirt übergezogen und stand nachdenklich am Fenster. Als er meine Rückkehr bemerkte, wandte er sich mir sofort zu und grinste.

"Du siehst chic aus. Mein Hemd steht dir hervorragend."

Seine Worte ließen mich gegen meinen Willen ein wenig erröten, dann schlüpfte ich in meine Stiefel und griff nach meinem Mantel. Bevor ich jedoch das Zimmer verließ, hielt ich inne und schaute Pierre fragend an.

"Ich muss wirklich dringend los, aber was... Pierre, was war das letzte Nacht? Was bedeutet das?"

"Ich hab das Hotelzimmer für zwei Nächte gebucht, wollen wir heute Abend hier im Restaurant essen und darüber reden?"

"Damit am Ende wieder dasselbe passiert und ich morgen schon wieder ohne frische Wäsche hier stehe? Nein, lieber nicht. Aber... Wir könnten nach meiner Arbeit zu mir fahren und dort kochen oder was bestellen und reden", entgegnete ich.

"Okay, dann machen wir es so", stimmte Pierre zu und einem Instinkt folgend machte ich zwei Schritte auf ihn zu, um ihn zum Abschied kurz auf die Wange zu küssen, dann versprach ich ihm zu schreiben und machte mich auf den Weg zur Arbeit.

Sobald ich im Büro angekommen war, besorgte ich mir erstmal einen Kaffee, dann machte ich mich ans Werk und versank in meiner Arbeit. An Pierre dachte ich zu meiner Überraschung erstmal eine ganze Weile nicht, weil so viel zu tun war, aber als ich mittags mit Jolie in der Cafeteria saß und nachdenklich in meinem Salat herumstocherte, tauchte sein Gesicht doch wieder vor meinem inneren Auge auf.

"Louanne? Hey, hörst du mir überhaupt zu?", riss mich die Stimme meiner Kollegin irgendwann aus den Gedanken und ich erwiderte ihren Blick verwirrt.

"Was?"

"Sag mal wo bist du denn heute bloß mit deinen Gedanken?", erkundigte Jolie sich halb genervt und halb besorgt, woraufhin ich tief seufzte.

"Bei der Arbeit, wo sonst?", entgegnete ich mit dem Versuch eines Lächelns auf den Lippen und sandte Stoßgebete gen Himmel, dass Jolie nicht nachfragen würde, weil ich ihr wirklich nichts von der Sache mit Pierre erzählen wollte. Vielmehr wollte ich so schnell wie möglich ins Büro zurück, um vor dem Ende meiner Mittagspause noch mit Coco zu telefonieren.

Glücklicherweise fragte Jolie wirklich nicht weiter nach, sondern wechselte das Thema und ich hörte ihr mit halbem Ohr zu bis wir aufgegessen hatten und in unsere Büros zurückkehrten. Kaum hatte ich mich an den Schreibtisch gesetzt, griff ich bereits nach meinem Handy und wählte die Nummer meiner Schwester.

Um meine Mittagspause nicht unnötig zu überziehen, verband ich mein Handy mit meinen Kopfhörern und schaltete schonmal den Computer ein, um während des Telefonats schon weiter arbeiten zu können. Bereits nach einem Klingeln hob meine Schwester ab.

"Hey Lou."

"Hey Coco, stör ich gerade?"

"Nein, ich hatte vor zehn Minuten Schulschluss und bin gerade auf dem Weg in die Stadt, um mich mit einer Freundin zum Essen zu treffen. Ich vermute mal, dass du wegen deines Treffens mit Pierre gestern Abend anrufst?"

"100 Punkte, aber das war wohl auch nicht allzu schwer zu erraten. Also das Treffen an sich, das Reden, das Essen, das war alles okay und er hat mir die Lüge einfach so verziehen, was ich immer noch kaum glauben kann. Danach sind wir noch etwas durch Paris gelaufen und dann... Na ja, dann hat er gefragt, ob ich noch mit zu ihm ins Hotel möchte, um mich etwas aufzuwärmen und dort hatten wir dann irgendwie... ähm, Sex", fasste ich etwas verlegen zusammen und konnte mir bildlich vorstellen, wie Coco beim letzten Wort die Augen aufriss.

"Ihr hattet... Wow, okay, damit hab ich jetzt ehrlich gesagt nicht gerechnet. Hältst du das nach der Sache in Le Castellet für eine gute Idee?"

"Ich hab ihn darauf angesprochen und er meinte, dass er mich nicht mehr hasst und es deshalb dieses Mal anders sein wird."

"Okay und was war danach? Was hatte das zu bedeuten? Seid ihr jetzt wieder zusammen?"

"Nein, ich... ich hab keine Ahnung, was es bedeutet. Wir waren danach total müde und ich hab dort übernachtet, heute Morgen haben wir verschlafen, deshalb blieb keine Zeit, um darüber zu reden. Aber ich hab ihm vorgeschlagen, dass wir uns heute Abend nochmal treffen, um zu klären, was das war und wie es weitergeht. Falls es weitergeht. Was auch immer »es« ist."

"Was möchtest du denn, dass »es« ist?", fragte Coco sanft und ich seufzte tief.

"Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was wir gerade sind, aber ich... ich vermisse das, was wir mal waren", murmelte ich unsicher.

"Also möchtest du wieder mit ihm zusammen sein?"





Was denkt ihr? Möchte Lou wieder mit Pierre zusammen sein?

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt