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Nach meiner Flucht aus dem Motorhome von Ferrari hatte ich mich gar nicht erst der Gefahr ausgesetzt, schon wieder irgendjemandem aus meiner Vergangenheit in die Arme zu laufen, sondern hatte das Gelände verlassen.
Weil ich nicht direkt ins Hotel in Le Castellet wollte, war ich kurzerhand eine knappe halbe Stunde nach Bandol gefahren, eine kleine Gemeinde an der Côte d'Azur.

Erst als ich dort angekommen war, atmete ich auf und ein Teil der Anspannung verließ meinen Körper. Während ich meinen Blick übers Meer schweifen ließ, fühlte ich mich unwillkürlich in meine Kindheit zurückversetzt.
Als ich fünf Jahre alt gewesen war, waren wir wegen der Arbeit meines Vaters nach Rouen gezogen, an die Zeit davor konnte ich mich nicht mehr wirklich erinnern. An den Wochenenden waren wir oft ans Meer gefahren und das gleichmäßige Rauschen der Wellen hatte mich damals wie heute beruhigen können.

Seit ich in Aubergenville wohnte und in Paris arbeitete, hatte ich weder Zeit noch Geld, um einfach mal einen Ausflug ans Meer zu machen und erst jetzt wurde mir klar, wie sehr ich es vermisst hatte, wenn der Geruch von Salz in der Luft lag und einem eine sanfte Brise um die Ohren wehte.

Ich ergatterte einen Sitzplatz in einem kleinen Café am Hafen und wollte eigentlich endlich mit dem Schreiben meines Artikels beginnen, aber es dauerte eine ganze Weile bis ich meinen Blick überhaupt vom Meer abwenden konnte. Und dann saß ich wiederum eine halbe Ewigkeit nur da und starrte meine Notizen an bis die Wörter verschwammen und nur noch ein schwarzes Wirrwarr übrig blieb.

Der Tag hatte mich so erschöpft, dass ich mich kaum konzentrieren konnte, aber ich musste dringend heute noch mit dem Artikel anfangen, weil er bis morgen Abend fertig sein musste und ich unbedingt zeigen wollte, dass ich das konnte.
Ich wollte in Zukunft nicht mehr diejenige sein, die ausgewählt wurde, um irgendwo einzuspringen.
Ich wollte diejenige sein, die in ihrer Abteilung unabdingbar war und das war nunmal in der nationalen Politik.

Eines Tages wollte ich ein Exklusivinterview mit dem Präsidenten führen und nicht mehr für Le Courier schreiben, sondern für die größte Pariser Tageszeitung Le Parisien oder sogar für Le Monde, die größte Zeitung Frankreichs.
Um meine Karriere voranzutreiben war es zwingend notwendig, dass ich fehlerfrei arbeitete und wenn ich mit meinen zwei Artikeln über dieses Wochenende positiv bei Monsieur Roux auffiel, konnte das meine Chance sein, um in naher Zukunft befördert zu werden.

Aber all diese Pläne klangen leichter als sie eigentlich waren, denn so leicht wie mir der Artikel über das Rennen selbst fallen würde, so schwer würde es dagegen sein, den Artikel über Pierre und Esteban zu schreiben. Eine Wahl hatte ich jedoch nicht, weshalb ich mit einem leisen Seufzen meinen Laptop auspackte und vor mich auf den Tisch stellte.

Erstmal brauchte ich eine Überschrift und einen griffigen Obersatz und dann würde ich mit Esteban anfangen, weil mir das hoffentlich leichter fallen würde.
Nachdenklich überflog ich meine Notizen aus den Interviews bis mir tatsächlich etwas ins Auge stach, was beide nahezu identisch gesagt hatten und was sich als Überschrift in Zitatform eignete.

"„Ein ganz besonderes Wochenende" – Französische Formel-1-Fahrer Ocon und Gasly freuen sich auf den Grand Prix in Le Castellet, der vielleicht der Letzte in Frankreich sein könnte", tippte ich ein und nickte zufrieden. Die Überschrift verriet noch nicht zu viel, aber die Unterüberschrift weckte das Interesse, außerdem fielen die Namen der Fahrer, was wegen ihres Bekanntheitsgrades besonders wichtig war.

In den nächsten zwei Stunden füllte ich nicht nur meinen Körper mit kühlen Getränken und leckeren Snacks, sondern auch die Seiten auf meinem Laptop. Der Teil über Esteban war in der Rohfassung fertig und ich hatte schon an einigen Stellen Übergänge vorbereitet, um zwischendurch auch auf Pierre einzugehen, aber für heute war das definitiv genug.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt