9 | Zwitscher, zwitscher

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Am Nachmittag verzog ich mich in mein Zimmer, um noch ein paar Unterlagen für die Uni vorzubereiten. Als ich grade an meinem Rechner saß und über einer Cashflow Berechnung für Controlling verzweifelte, kam die neue Nachricht auf meinem Handy als willkommene Ablenkung grade recht.

Ich öffnete den Verlauf mit Melle und sah, dass sie mir ein Video geschickt hatte. Während das Handy noch die Information lud, kam eine zweite Nachricht mit einem bis über beide Ohren grinsenden Smiley an. Gespannt wartete ich, bis das Video fertig geladen war und ließ es abspielen.

Das Video war ziemlich dunkel, und doch erkannte ich die beiden jungen Männer, die sich im Dämmerlicht gegenübersaßen. Was dann folgte, ließ mich den Atem anhalten: Freddie beugte sich vorsichtig nach vorne und ich schloss die Augen. Ich sah zu, wie wir beide uns küssten und hörte ein weiteres Mal die Mädchen im Hintergrund grölen. Laut Anzeige dauerte das Video fast zwanzig Sekunden und ich sah auch, wie Freddie sich wieder von mir löste und ich etwas dumm in die Runde grinste. Dann war das Video beendet.

Ich spielte es ein weiteres Mal ab und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Ein vertrautes Kribbeln überkam mich, als ich uns abermals beim Küssen beobachtete. Leichte Erregung machte sich in mir breit, als ich mir das Video ein drittes Mal anschaute. Es sah so echt aus, dass ich nicht anders konnte, als zu glauben, dass Freddie auch etwas dabei gefühlt haben musste und nicht nur gegen Melle gewinnen wollte. Als ich es grade erneut starten wollte, klopfte es an meiner Tür.

Wie ertappt verließ ich den Chat und richtete mich in meinem Stuhl auf.

„Ja?", fragte ich durch die geschlossene Tür.

„Ich bin's", hörte ich Freddie sagen. Ich stand auf und ging zur Tür. Als ich sie öffnete, blickte mich ein grinsender Freddie an, der mir sein Handy unter die Nase hielt.

„Hast du es gesehen?", fragte er und schlich sich an mir vorbei ins Zimmer. Nickend schloss ich die Tür, während Freddie sich auf mein Bett fallen ließ.

„Krass, oder?", freute er sich und spielte das Video ab. Ich ließ mich neben ihm auf dem Bett nieder und starrte auf das Video, dass ich nun zum vierten Mal ansah.

„Ich hoffe nur, dass wir die einzigen sind, die das Video bekommen haben", gab ich zu bedenken.

„Hab's schon auf YouTube hochgeladen", sagt er trocken und ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen.

„Du hast was?", fuhr ich ihn an und begriff zu spät, dass er einen Witz gemacht hatte.

„Klar. Domain ist auch schon gesichert. Heiße-Jungs-küssen-sich-beim-Flaschendrehen.org", grinste er.

„Heiße Jungs also?", sagte ich nun etwas ruhiger und sah Freddie schief an. Der hielt mir provokativ sein Handy vors Gesicht und spielte das Video noch einmal ab.

„Mal ganz ehrlich, Ben. Sag mir, dass das NICHT heiß ist!"

Ein weiteres Mal sah ich mir an, wie wir uns küssten und wurde plötzlich rot. Natürlich fand ich das Video heiß. Und Freddie anscheinend auch. „Das hier ist meine Lieblingsszene", kommentierte er, als ich im Video meine Hand ausstreckte und Freddie zwang, mich noch einmal zu küssen.

„War dir wohl zu kurz", grinste er und legte seine Hand freundschaftlich auf mein Knie.

„Leider ist die Qualität des Videos relativ schlecht", wich ich aus und Freddie begann zu lachen.

„Wenn das deine einzige Sorge ist!", grinste er. „Wir können ja Melle fragen, ob sie es nochmal dreht!"

„Nochmal?", fragte ich jetzt mit einem Kloß im Hals, bei der Vorstellung Freddie noch einmal küssen zu dürfen.

„Das war ein Scherz, Mann", lachte Freddie und musterte mich dann interessiert. „Es sei denn...", schmunzelte er und lehnte sich ein wenig zu mir. Seine Augen funkelten herausfordernd.

Blue Birds - Short StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt