„Hallo.... Ist hier jemand...? Wo bin ich...?"
Verwirrt sieht sie sich um, versucht ihre Umgebung zu erkennen, während ihre Stimme von der Dunkelheit um sie herum verschlungen wird. Sie dreht sich nach links: Finsternis. Nach rechts: auch. Egal wohin sie guckt, überall ist es pechschwarz. Nicht einmal der kleine Schein eines Feuers, geschweige denn ein Funke Licht vom Himmel ist bereit, die Finsternis um sie herum aufzulösen.
Wie durch viele Schichten Watte meint sie auf einmal etwas zu hören.
Vielleicht Stimmen, vielleicht auch nur Geräusche. Doch schon im nächsten Moment fällt sie mit einem lauten Schrei auf die Knie, als würde sie etwas am Hals greifen und mit scharfen Krallen zu Boden ringen wollen. Als würde etwas ihren Brustkorb durchbohren wollen und sich durch ihre Venen fressen.
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Knistern.
Das ist das Erste, was sie wahrnimmt. Nicht wie das von Papier, sondern viel mehr begleitet von einem unregelmäßigen Knacken. Knistern, Knacken, mal ein leises Puff, gemischt mit dem Knarren von Holzbalken, als würde sich jemand nähern.
Sich nähern....? Wo.. bin ich...?
Atmen, Luft holen.
So ein einfacher Prozess des Körpers und doch hat sie das Gefühl, das ihr Schädel dabei zu explodieren droht. Ein dumpfes Gefühl, das ihren Kopf einnimmt, während sie versucht, Luft zu holen und die Augen zu öffnen. Die Dunkelheit von eben scheint verschwunden zu sein, stattdessen wird ihre Umgebung von einem flackernden Licht erhellt.
Kaum schafft sie es, zu blinzeln, mit dem Versuch, ihre Umgebung mehr wahrzunehmen, ertönen Stimmen. Aber diesmal nicht wie durch Watte, nicht wie dumpfe Töne, die man nicht erkennen, geschweige denn zuordnen kann. Sondern richtige klare und deutliche Stimmen. Vielleicht sogar etwas zu deutlich...
„Hör mit deinen Widerworten auf! Wie ich handel und was ich tue ist allein meine Sache! Da hast du kein Recht, dies zu kommentieren!"
Diese Stimme... Tief, laut, männlich... Und drohend, sehr bedrohlich... Sie bedeutet Gefahr... Bin ich... in Gefahr..? Ich habe keine Kraft mehr... Ich bin müde...
„Und wenn ich es dir zum hundertsten Mal sagen muss, das ich deine Aktionen grenzwertig finde! Dann werde ich dies tun! Bei Odin, ich schwöre dir...!"
Und eine Frauenstimme...?
Diesmal werden beide Stimmen laut, wobei man allein von der Lautstärke schon das Gefühl bekommt, das ihr Ziel nur heißt: Hauptsache lauter als der andere sein.
Schmerzverzerrt verzieht sie das Gesicht und kneift ihre Augen noch einmal mehr zusammen, als wieder Schritte zu hören sind, bevor Holz auf Holz knallt. Und schlagartig Ruhe einkehrt...
Wieder ist nur dieses Knistern zu hören, manchmal ein Knacken und ganz sacht, ganz sanft... Schritte. Behutsam, vorsichtig, als wenn die Person wüsste, dass sie hier liegt. Dass sie Schmerzen hat, sich nicht bewegen kann. Das ist nicht er, oder... will er mich Sicherheit wähnen, bevor...?
„Es ist alles okay", wieder die Frauenstimme, aber... so sanft, so behutsam, „Er ist gegangen und wird auch nicht so schnell wiederkommen. Du darfst deine Augen ruhig zu lassen, hier bist du in Sicherheit. Schlaf erst mal..." Kaum hat die unbekannte Stimme diesen Satz beendet, ist es auch schon um Violene geschehen und die Dunkelheit hat sie wieder.
Mit einem sanftmütigen Blick sieht die ältere Frau zu dem schlafenden Mädchen, sie noch einmal behutsam zudeckend. Bevor sie sich dem Feuer widmet und stumm zwei weitere Holzscheite aus dem Korb nimmt, um das Feuer noch mal anzuheizen. Schon lange ist sie ein stiller Beobachter von dem, was im Dorf passiert. Von den Gerüchten, die umhergehen, ganz zu schweigen. Wieder schüttelt sie den Kopf, sie war noch nie ein Freund von all dem. Warum haben die Götter dieses junge Mädchen nur so verflucht...?
Es dauert nicht lange bis zum Morgengrauen, als die Panik das 15-jährige Mädchen wachrüttelt. Als hätte man sie mit einem Eimer Gletscherwasser geweckt. Die Augen still aufgerissen merkt sie, wie ihr Puls in die Höhe schießt und das Adrenalin ihren Körper durchflutet.
Wo bin ich? Atmen, tief durchatmen, einmal, zweimal, dreimal...
Langsam erkennt sie ihre Umgebung, nimmt den hölzernen Boden wahr, die Unterlage, die ihr Bett darstellt. Auch die Feuerstelle, in der noch die Glut ihre Hitze abgibt und Möbel.
„Guten Morgen, Violene", eine sanfte Frauenstimme lässt sie noch einmal mehr aufschrecken und zugleich aufsehen. „Wie ich sehe bist du wach. Hast du Hunger? Ich habe dir etwas auf den Tisch gestellt." Bei diesen Worten lächelt sie wieder einmal, bevor sie in einem Nebenraum verschwindet. Verwirrt mustert das junge Mädel die ältere Frau, welche einen doch sehr an eine liebe Großmutter erinnern könnte. Und irgendwie schafft sie es nicht, den Blick abzuwenden, selbst als die Frau im Nebenraum verschwunden ist. Ein Gefühl der Vertrautheit, der... Sicherheit. Wie wenn etwas tief in ihr drin sagt, das hier alles in Ordnung ist. Nur langsam schafft sie es, die Decke umzuschlagen und aufzustehen, darauf bedacht keinen Lärm zu erzeugen. Dabei merkt sie erst, wie verschiedene Stellen ihres Körpers schmerzen. Vorsichtig lässt sie ihren Blick durch den Raum schweifen, um dann beim Tisch hängen zu bleiben. Und tatsächlich, die Frau sagt die Wahrheit! Auf dem Tisch erwartet sie eine liebevolle Auswahl von Brot, Aufschnitt und kleineren Snacks. Und das, obwohl sie selbst nur zu gut weiß, wie schwer es aktuell für ihr Dorf ist viele Lebensmittel auf Lager zu haben.
„Ich freue mich das es dir besser geht", noch immer lächelnd sieht die Frau zu Violene. Aber es ist kein aufgesetztes, sondern tatsächlich ein ehrliches, warmherziges Lächeln.
Stumm nickt Violene, unsicher auf einem Bissen kauend. Irgendwie kennt sie die Frau und doch hat sie sie nie so bewusst wahrgenommen im Dorfleben. Aber eigentlich sollte sie es nicht wundern. Denn ihr Onkel weiß genau, was er tun muss, um sie vom alltäglichen Leben im Dorf abzuschirmen. So kommt es auch, das sie niemanden in ihrem Alter oder anderweitige Familienmitglieder kennt. Geschweige denn überhaupt mit anderen Menschen aufgewachsen ist als nur mit ihrem Onkel. Und doch wird sie das Gefühl nicht los diese Frau zu kennen.
„Dein Onkel erwartet dich gleich, aber iss noch zu Ende. Du musst dich stärken für den Tag", dabei scheint es die Frau nicht zu stören, dass sie die Einzige von den beiden ist, die redet. Und selbst wenn scheint sie es gut verstecken zu können. Aufmunternd streicht sie Violene noch einmal über den Rücken, bevor sie sich ans Aufräumen macht.
Noch einmal holt Violene tief Luft, dabei den Tisch fixierend. Noch einmal Mut zusammenkratzen, sofern da noch ein Überrest vorhanden ist, um sich dann auf den Weg zu machen. Mit einem letzten dankbaren Lächeln zur Frau verlässt sie das Haus und mustert den Platz vor sich. Einerseits kommt ihr alles so vertraut vor, und andererseits hat sie doch das Gefühl eine ganz andere Welt zu betreten.
Leise knirschen Sand und kleine Steine unter ihren Schuhen.
Es herrscht Leben im Dorf, das merkt sie am Kinderlachen und Gesprächen von Erwachsenen. Und doch kann sie das Gefühl nicht abschütteln, das sie beobachtet wird, das Menschen in ihrer Nähe verstummen oder weggehen, das man hinter vorgehaltener Hand über sie tuschelt.
Das Problemkind des Dorfes... das verfluchte Kind.
Ein Titel, der sie ihr Leben lang begleitet, es ihr schwer machte, unabhängig von ihrem Onkel soziale Kontakte und Freundschaften zu knüpfen. Ein... anständiges Leben zu führen. Und dann wäre da noch die Sache mit Es. Es, der vielleicht einzige in ihrem Leben, der sie versteht, der ein offenes Ohr für sie hat, bei dem sie weiß... er würde ihr niemals Leid antun. Nicht wie andere Menschen...
Kurzerhand strafft sie ihre Muskeln, bewegt einmal ihre Schultern und hebt den Blick. Schon möglich das sie so gebrandmarkt ist, aber... dieser eine Funke in ihr, dieser Überlebenswille kann nicht aufhören, ihr die Hoffnung auf etwas Besseres zu geben. Etwas anderes, etwas Friedlicheres, etwas Liebevolleres.
Und doch bleibt das hier ihr Leben, das, was sich niemals ändern wird.
Mit jedem Schritt schlägt ihr Herz schneller, als sie wieder einmal vor der Arena zum stehen kommt. Und doch gibt es diesmal einen Unterschied zu gestern und... zu all den Malen davor. Jetzt steht sie nicht vor dem normalen Arenaeingang, sondern einem Seiteneingang. Er ist im Gegensatz zum Normalen etwas versteckter und mehr in den Mauerwänden eingelassen. Wenn man diesen einmal kennt, so ist es kein Problem mehr.
Noch ein letztes Mal versucht sie die letzten Funken Mut zusammenzukratzen. Eine Hand auf dem Griff habend, der zu einer massiven Eichenholztür gehört. Sie weiß, was sie dahinter erwartet. Das Er sie erwartet und welche Erwartungen er an sie hat. Insbesondere nach gestern...
Ob sie es diesmal schaffen wird?
Kalte modrige Wände und ebenso kühle Luft heißen sie willkommen, als sie die Tür aufstemmt und sich in die unterirdische Hölle begibt. Vielleicht ist die eigentliche Hölle gar nicht heiß, sondern eiskalt. Nämlich so kalt, dass man bei jedem Atemzug Tausende feine Nadelstiche in der Lunge spürt. Vielleicht täuscht sie sich auch nur...
So folgt sie Schritt für Schritt dem schmalen Gang, der tatsächlich so schmal ist, dass beleibtere Wikinger ein deutliches Problem hätten hier durchzukommen. Geschweige denn Drachen.
Und mit jedem Schritt spürt sie wieder mehr den imaginären Griff ihres Onkels, der ihr deutlich macht: Ich habe die Kontrolle, vergiss das niemals.
Denn sie weiß nur zu gut, was passiert, wenn man droht dies zu vergessen. Geschweige denn zu ignorieren... Eine Hand an ihrer Wange hält sie für einen Moment inne. Durchatmen, sich sammeln, sich auf das konzentrieren, was sie erwartet. Unmerklich schüttelt sie den Kopf, als sie ihre Gedanken gesammelt hat. Denn es geht weiter, Schritt für Schritt tiefer den Gang entlang, noch mehr hinab. Tiefer in die Erde hinein.
Und umso dünner die Luft wird, umso lauter werden die Geräusche, die von den Wänden widerhallen. Verzerrte, dumpfe und doch kreischende Geräusche, die ihr entgegenkommen.
Im nächsten Moment findet sie sich in einer großen Höhle wieder. Doch wenn man genauer hinsieht, dann sieht man, dass diese Höhle niemals natürlich entstanden ist.
Die Steinwände sind fein säuberlich bearbeitet worden und mögliche scharfe Kanten wurden längst geglättet. Das Gangsystem wurde ordentlich ausgeschildert, ebenso wie die Beleuchtung.
Das tatsächliche Ausmaß dieses Komplexes lässt sich nur schwer einschätzen. Und doch nimmt es einen gewissen Teil der Insel definitiv ein.
„Das wurde aber auch mal Zeit, das du auftauchst. Jetzt wird sich zeigen, ob du es wirklich wert warst all die Jahre."
Ihr Onkel.
Hey, danke dir fürs lesen :p
Ich hoffe, das Kapitel hat dir gefallen. Zeig es mir doch gerne mit einer Rückmeldung durch Votes und Kommis – Geisterleser kriege ich leider nicht wirklich mit 🥺😅
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Schatten der Vergangenheit (Httyd)
Fanfiction(Vorgeschichte zu "Die Wächterin") Angst. Ein Wort, mit dem sich ihr ganzes Leben zusammenfassen lässt. Seit sie sich erinnern kann kennt sie kein anderes Gefühl als Angst. Angst vor Strafe, vor ihrer Familie, vor Drachen. Jahre später wird sie zu...