Unbeweglich ruht sein Blick auf ihr.
Keiner von den beiden redet, nur die undefinierbaren Geräusche aus den Gängen durchbrechen die Stille immer wieder.
„Dies ist deine letzte Chance. Solltest du es auch diesmal nicht schaffen, so werden wir es endgültig beenden. Ich werde keine weiteren hungrigen Mäuler stopfen, die nutzlos sind."
Und Violene weiß, das meint er todernst.
Ohne ein weiteres Wort drückt er einen Hebel runter, worauf man knarzende Geräusche von Metall hört.
Sie weiß, was kommt und was sie erwartet.
Es ist nicht so, als würde der Anblick eines solchen Wesens ihr vollständige Angst einjagen. Bei der letzten Begegnung war es so, das stimmt. Denn ein wilder Drache ist ein unberechenbares Wesen. Doch hier... das hier ist anders. Er ist anders. Das, was beide verbindet, ist anders. Und doch hatten sie versucht, ihn jahrelang zu täuschen. Bis heute.
Dem Tag, an dem es sich entscheiden soll.
Schweigend hat sie den Blick auf den Boden gerichtet, während Schritte laut werden. Schritte, Kratzen über Stein, das unmerkliche Geräusch von sich bewegenden Flügeln. Ein Drachenschrei, der einem durch Mark und Bein geht, so grauenvoll klingt er.
(DS) „Bleib stehen. Bleib still stehen!", Worte die ihr erst leise, dann aber lauter über die Lippen kommen. Denn diesmal weiß sie, was er will. Und sie werden es ihm geben.
Die Schritte verstummen, als ihr Onkel grinst: „Es hat 10 Jahre gebraucht, damit du dich endlich beweist. Nun, ich will nicht so sein. Sein Leben ist dein, aber du kennst die Bedingungen. Ein Verstoß und ihm gebührt der Tod."
Zögernd sieht sie auf und mustert den hellblauen Drachen vor sich. Es ist also so weit... Ihr Blick bleibt beim Drachen hängen, ihren Onkel ausblendend. Dieser sieht stur zu Boden, keinen Muskel bewegend. „Lass uns gehen", wieder ihr Onkel, der sich von der Szenerie schon längst abgewendet hat und in einem der Gänge steht. Leise murmelt sie was zum Drachen, bevor sie mit ihm ihrem Onkel folgt.
Stille legt sich über das Dorf zur Mittagszeit.
Sie kann nur erahnen, was ihr Onkel als Nächstes verlangen wird und wie die Dorfbewohner auf diesen Drachen reagieren werden. Doch spürt sie, dass dieser Drache schon jetzt ihr Leben schlagartig verändern wird. Tatsächlich hat er die beiden – kaum hatten sie das unterirdische Gelände verlassen – im Dorf stehengelassen und ist allein weitergegangen. Unmerklich sieht sie ihm hinterher, den Blick nicht abwenden können. Neben ihr besagter Drache, der seinen Blick neugierig, verwirrt, aber auch skeptisch zugleich umherschweifen lässt. Für ihn ist es das erste Mal seit Jahren, das er sich unter freiem Himmel befindet. Den wolkenverhangenen Himmel sieht, den erdigen Boden spürt und das Gefühl der Freiheit merkt. Und dann ist da dieses Mädchen neben ihm, so seltsam vertraut und doch so fremd.
Endlich schafft sie es, sich innerlich loszureißen, und schüttelt sich kurz. Unsicher fällt ihr Blick auf den Drachen neben sich. Wie soll das jetzt nur weitergehen...? Unmerklich mustert sie das Dorf, bevor sie dem Drachen zunickt. Ein fast stummes „Folge mir" kommt Violene über die Lippen, den nächstbesten Weg direkt raus aus dem Dorf nehmend. Hauptsache raus, einfach nur weg. Mit der Ausnahme, dass sie diesmal keine Strafe zu befürchten hat. An einer Klippe angekommen setzt sie sich auf einen Baumstamm und lässt ihren Blick über das Meer schweifen.
Mächtige Wellen bauen sich auf dem Wasser auf, bis sie krachend an der Klippe zerschellen. Obwohl keiner von den beiden einen Ton von sich gibt, so ist in ihrem Kopf alles laut. Als würde ein riesiger Sturm um ihre Aufmerksamkeit ringen und sie am liebsten unter sich begraben. Angestrengt versucht sie sich, auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, um sich nicht vom inneren Sturm verschlucken zu lassen. Es ist die Stille um sie herum, die den Lärm in ihrem Kopf umso mehr anfeuert. Die Finger in die Rinde des Baumstamms krallend fokussiert sie ihren Blick auf das weite Meer, das sich vor den beiden ergibt. Sie kann es noch immer nicht glauben. Neben ihr sitzt ein Drache, ohne sie anzugreifen! Ein Drache, dem sie schon so oft begegnet ist. Mit dem sie schon so oft konfrontiert wurde und die ein oder andere furchteinflößende Begegnung hinter sich hatte.Der Drache neben ihr bleibt still sitzen, versucht, keinen Muskel zu bewegen. Was vor allem an den letzten Jahren liegen könnte. Tagein, tagaus sah er nur die nassgrauen Steinwände, kam nie weiter als seine Zelle erlaubte und auch... das Essen war manchmal mehr als dürftig.
Vor allem aber sah er nie wirklich viele Menschen. Diesen bedrohlichen stämmigen Mann am meisten. Und in seiner Begleitung auch immer mal wieder dieses Mädchen. Dieses Mädchen, neben dem er jetzt sitzt und die ihm so seltsam vertraut vorkommt. Als würde die beiden mehr verbinden als nur diese seltsamen Begegnungen. Als... wäre da irgendetwas, doch die Erinnerungen sind hinter einer dichten Nebelbank versteckt. Ein dichter Nebel, der sich einfach nicht durchdringen lassen will.
Schweigen. Schweigen herrscht zwischen den beiden, auch noch länger. Während der Drache es aus Unterwürfigkeit und Unsicherheit tut und sie selbst nur versucht, nicht den inneren Sturm gewinnen zu lassen. Nicht dagegen zu verlieren, nicht zu ertrinken.
„Du...", setzt sie an und bricht doch mitten im Satz ab, planlos, „... was bist du für ein Drache?" Leise kommen ihr diese Worte über die Lippen, unsicher.
Der angesprochene Drache sieht verwirrt auf, gerade dadurch, dass sie sich so sehr von diesem Mann unterscheidet, den sie manchmal als „Onkel" bezeichnete. „Ich... habe keinen Namen. Mir wurde nie einer gegeben. Aber, Menschenkind, dort im Dunkeln... du konntest meine Sprache. Warum?"
„Ich weiß es nicht", ist ihre zögernde Antwort. „Ich wusste nie, dass ich das kann. Bis ich einem wilden Drachen auf der Insel begegnete. Und... bis heute, bei dir."
So wandert die Sonne über den Himmel, immer mehr gen Westen.
Gepaart mit den bruchhaften Versuchen von Violene, diese seltsame Sprache der Drachen bewusst verwenden zu können. Was dann doch zu gut 90% von einem lachenden Drachen begleitet wurde. Und doch spürt sie diesen einen feinen Unterschied: Wenn sie versucht, mit ihm in seiner Sprache zu reden, so... reagiert er, wie er will. Anders als in den Zellen. Anders als der wilde Drache, der wider seine Natur ihr gehorchte. Auch wenn sie es versucht, so kann sie das dumpfe Gefühl nicht ignorieren, das hinter all dem so viel mehr zu stecken scheint. Aber ob das wirklich so gut wäre...?
(DS) „Und du kannst also einen Nebel machen, der Menschen lähmt oder auch... schlimmere Folgen haben könnte?"
„Natürlich!", grinsend sieht der Drache zu dem Menschenmädchen neben sich, „Willst du es mal ausprobieren?"
Doch die Angesprochene schüttelt nur zögernd den Kopf, bis sie den Blick wieder hebt: (DS) „Du hast... ja keinen Namen. Wie... wäre der Name... Schocker für dich?" Unsicher sieht sie aus dem Augenwinkel zu ihm, ein Lächeln versuchend.Erstaunt sieht der Drache zu ihr, nicht nur aufgrund der anfänglichen Gesprächsversuche und diesem erstaunlich schnell wachsenden Gefühl der Vertrautheit. Grad diese Frage ist es, was ihn umso mehr erstaunt. Nun liegt es an ihm, vorsichtig die Schnauze zu heben und einen unmerklichen Schritt näherzukommen. „Der Name... er gefällt mir."
Stille legt sich erneut über die beiden, aber diesmal ohne diesen bedrohlichen Sturm, der versucht, Violene zu verschlingen. Langsam hebt sie den Arm und streckt ihm ihre flache Hand entgegen. Umso mehr streckt er ihre Schnauze entgegen, während keiner der beiden auch nur einen Laut von sich gibt. Im nächsten Moment berührt seine Schnauze die flache Hand von Violene.
Rechtzeitig, noch vor dem Abendessen, haben sich die beiden auf den Rückweg ins Dorf gemacht. Auch wenn sie durch das Gespräch einiges über Schocker und seine Fähigkeiten lernen durfte, so hat sie viele ungeklärte Fragen. Zu welcher Art er gehört? Und ob er überhaupt fliegen kann, wenn er jahrelang da unten eingesperrt war. Oder was dieser Drache isst und ob ihr Onkel sich um gewisse Dinge kümmern würde oder er sie bei dem kleinsten Fehler direkt zur Rechenschaft ziehen würde.
Mit einem unguten Bauchgefühl erkennt sie das Dorf und die Fackeln, die man in der Abenddämmerung schon angezündet hat. Wie die anderen Dorfbewohner reagieren, wenn sie Schocker neben ihr laufen sehen? Auch wenn er mit ihr kein Problem hat und er sich ihr gegenüber anders verhält als die wilden Drachen... so weiß sie nicht, wie das gegenüber den anderen Dorfbewohnern oder so aussehen wird. Und dazu kommen all die ungeklärten Fragen...
Zögernd und zugleich deutlich angespannt betritt sie das Dorf und behält ihren Blick auf den Boden vor sich gerichtet. Verwirrt beobachtet der hellblaue Drache ihr Verhalten, während er selbst es sich nicht nehmen lässt, diese fremde Umgebung genauestens zu mustern und zu beobachten. Jedes seltsame Geräusch und alles, was er noch nie so sah, lässt ihn aufhorchen und auch mal mit gefletschten Zähnen antworten.
Sehr zum Missfallen der anderen Dorfbewohner, die es sich nicht nehmen lassen, hinter vorgehaltener Hand über die beiden zu tuscheln. Über das „verfluchte" Kind in ihren Augen, die sehr bestimmt „geheime Machenschaften" mit den Drachen macht. Schwere Schritte unterbrechen das misstrauische Getuschel, als sie auch schon seine Stimme hört. „Violene, antreten. Ich habe mit dir zu reden."
Stumm nickt sie, keine Worte rauskriegend.
Ihr Onkel.
* * * * * * * * * * * * * * *
Aus dem Augenwinkel sieht sie zu dem hellblauen Drachen, der sich zusammengerollt hat. Gegenüber am dunklen Tisch sitzt er, der gerade sein Abendessen beendet hat. Doch ihr eigener Hunger war nicht so groß, als dass sie wirklich Appetit auf Essen gehabt hätte.
„Mit diesem Drachen werden jetzt neue Verpflichtungen auf dich zukommen. Du wirst von mir Aufträge bekommen, die du zu befolgen hast. Und ich hoffe sehr für dich, dass der Drache sich als nützlich erweisen wird. Du hast eine Bestimmung, der du gerecht zu werden hast. Also wehe dir du versagst", er muss ihr keine direkte Drohung aussprechen, um sie gefügig zu halten. Dessen ist er sich bewusst, dass allein die vergangenen Jahre ihr gezeigt haben, was Gehorsam bedeutet. Und wie mit Ungehorsam umgegangen wird.
Grob steht ihr Onkel auf und widmet sich einem Schrank, etwas suchend. Schubladen werden geöffnet und wieder geschlossen, bis eine unscheinbare Holzkiste in sein Blickfeld kommt. Zufrieden nimmt er diese, lässt die Schublade wieder zu fallen und schiebt sie Violene zu. „Das sind die wenigen Informationen, die in unserem Stamm über Drachen mal zusammengetragen wurden. Sie gehören nun dir. Denk daran nicht zu versagen."
Hey, danke dir fürs lesen :p
Ich hoffe, das Kapitel hat dir gefallen. Zeig es mir doch gerne mit einer Rückmeldung durch Votes und Kommis – Geisterleser kriege ich leider nicht wirklich mit 🥺😅
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Schatten der Vergangenheit (Httyd)
Fanfiction(Vorgeschichte zu "Die Wächterin") Angst. Ein Wort, mit dem sich ihr ganzes Leben zusammenfassen lässt. Seit sie sich erinnern kann kennt sie kein anderes Gefühl als Angst. Angst vor Strafe, vor ihrer Familie, vor Drachen. Jahre später wird sie zu...