chapter 74

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„Wer beim Schachspiel nicht einmal die Figuren in Ordnung zu stellen weiß, der wird es schlecht zu spielen verstehen; und wer nicht Schach bieten kann, der wird auch nie schachmatt setzen können."―Teresa von Ávila

Ich war auf dem Weg zurück in mein Wohnheimzimmer und hatte mich für den Weg durch den Park entschieden. Die verlassenen Gänge machten mir inzwischen deutlich mehr Angst. Obwohl ich inzwischen vermutlich mit Leichtigkeit mit einem Engel fertig werden würde.

Die Nacht war sternenklar und erneut kreisten meine Gedanken daran allein auf den Turm zu steigen und die Sterne zu beobachten. Der Mond erschien unfassbar nah und riesig. Zudem hatte er einen rötlichen Touch. Blutmond nannte man das. Ich blieb stehen. Es kam Wind auf. Doch wie gestern vor der Beschwörung war in diesem Wind nichts Natürliches. Ich wusste es, noch bevor sie vor mir auftauchte.

Es war so weit.

„Viona Cartwright." Ihre Stimme klang wie splitterndes Glas. Nur giftiger.

„Hey." Ich drehte mich zu Alicia um, die lächelnd und mit wehenden Haaren vor mir stand. In ihrer Dämoninengestalt. Samt der ledernen Flügel, den glühenden Augen und den Hörnern auf der Stirn.

„Ist eine Weile her", sinnierte sie und verzog ihren Mund missbilligend.
„Nicht lange genug", brummte ich und inspizierte den Dreck unter meinen Fingernägeln.
Alicia brach in irres, kreischendes Gelächter aus. Der Blutmond warf sein rötlich schimmerndes Licht auf ihren geöffneten Mund und ihre spitzen Zähne.
Dann brach sie abrupt ab und sah mich an. „Weißt du, was passiert, wenn eine Dämonin Blut von einem anderen Dämon trinkt?"

Das wusste ich nicht. Aber jetzt, wo sie mich mit diesem lauernden Blick beobachtete, wurde mir doch mulmig. „Du weißt doch, dass das Blut die Quelle der Macht von dämonischen Wesen ist, oder? In diesem Fall ist es wie bei den Vampiren. Trinkt ein Vampir das Blut eines Älteren, geht seine Macht in ihn über. Sicher, dass du das nicht wusstest?", spottete sie mit erhobener Augenbraue. Anscheinend hatte sie keine Ahnung, dass ich schon mal Ramiels Blut getrunken hatte, auch wenn ich mich danach immer nur berauscht gefühlt hatte.

„Mit anderen Worten du kannst gerne versuchen deinen kleinen, süßen Trick anzuwenden, aber er wird nicht nochmal funktionieren." Alicias triumphales Grinsen ließ mich instinktiv einen Schritt zurückweichen. Sie folgte mir. „Du wartest sicher auf einen deiner Freunde, aber ich kann dir versprechen, Viona, dass sie dir dieses Mal nicht zur Hilfe eilen werden."

Alicias Augen weiteten sich überrascht, als der Wind auffrischte, die Baumkronen hoch über uns zu schwanken begannen und die Temperatur sich schlagartig erhöhte. Sie kicherte hysterisch und ließ ihren Blick betont gleichgültig über die Baumreihe neben uns schweifen.

Hölle, sie gehört in die Hölle, spornte ich mich weiter an. Meine Magie brodelte, viel höher als beim letzten Mal, als ich sie vom Himmel geholt hatte.
Doch nicht einmal diesen Zustand konnte ich lange aufrechterhalten. Ich spürte bereits den Schweiß auf meiner Stirn, die Müdigkeit hinter meinen Schläfen, das Zittern meiner Beine.

So sollte das nicht sein, dachte ich verzweifelt. Wir sollten hier zusammenstehen. Ramiel? Ich rief ihn in Gedanken. So laut, ich konnte. Keine Antwort.
Azael? Azalee? Cael? Sterne tanzten vor meinen Augen. Alicia kam interessiert näher.

„Du windest dich wie eine Fliege, die bereits im Spinnennetz gefangen ist. Je mehr du dich windest, desto stärker verwickelst du dich in ihr Netz." Sie wickelte sich eine Strähne um den Finger. Eine derart menschliche Geste, wenn da nicht Krallen statt rosa Nägel wären. „Du wirst doch immer schwächer, oder? Mit jedem einzelnen Augenblick, in dem du krampfhaft versuchst, deine Magie aufrecht zu erhalten, oder Nepheline?"

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