Kapitel 9

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Eine verdammte Woche hatte ich die Arbeit abgeben müssen. Wie ich das hasste, aber meine Freunde haben das gut gemacht. Nun hatte ich gerade wieder mein erdtes eigenes Video, welches meine Stimme mit ach und krach überstanden hatte, hoch geladen und stand auf. Mein Weg führte mich gerade Wegs in die Wohnung die direkt über der meinen lag. Die Tür öffnete sich. „Bist du bereit?" Wir wollten nun die letzten Umzugskartons aus der WG holen. Heute verbrachte Tessa die erste Nacht in ihrer neuen Wohnung. Da ihre Heimfreunde nicht da waren, hatten wir keine Bedenken dort aufzukreuzen. Sie hat mich sogar drum gebeten. Ihre Mitbewohnerin, die wohl ein großer Fan von mir sein sollte, hatte heute Geburtstag. „Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich Angst. Ich habe noch nie allein gelebt. Ich hatte ja noch nicht mal ein eigenes Zimmer so weit ich zurück denken kann." Ich griff nach ihrer Hand, wobei mein Herz begann Amok zu laufen. Noch immer hatte ich keinen Plan, was sie von mir hielt. Beruhig dich. Langsam ist auch mal gut. „Keine Sorge, du wirst dich schnell daran gewöhnen. Glaub mir. Und du weißt, auf wen du zählen kannst." Sie zog ihr Finger aus meinem Griff. „Wo du schon mal dabei bist, würdest du meinen Zweitschlüssel nehmen? Ich neige dazu mich auszusperren und dir vertraue ich inzwischen gut genug." Ich zog die Augenbrauen hoch, streckte meinen Arm aus und sie ließ den einzelnen Schlüssel auf meine Handfläche fallen. „Okay, dann können wir." Schweigend verließen wir Seite an Seite das Haus. Draußen blieb ich einen Moment stehen und schaute in den Himmel. Unfassbar, dass ich seit einer Woche nicht mehr draußen war, nicht mal auf dem Balkon. „Schön, nicht wahr?" Ich guckte in den bunten Abendhimmel, an dem sich bereits der Vollmond weiß abzeichnete. Gott musste das bescheuert klingen. Ich ging schnell weiter, fühlte dann aber leichten druck an meinem Arm. Tessa hielt mich fest. „Ja, du hast recht. Und es geht zu schnell vorbei." Ich verstand was sie meinte, machte zwei Schritte kehrt, nach mir Zeit das alles genauer anzusehen. Nicht nur der Mond stand hoch oben am Himmel, auch die Sonne war noch am Horizont zu sehen. Das Licht ließ die Gebäude Berlins schwarz scheinen, sodass sie vollkommen mit dem Boden verschmolzen. Der Übergang vom Rot über das Orange, Gelb, Lila, bis hin zum Blau, welches immer tiefer und dunkler wurde, hinter uns schon fast schwarz mit weißen Spränkeln, verlief fließend. Ebenso wie dich Lichter, die in den Schwarzen Beton Kreaturen nach und nach aufflammten. Die Straßen waren von einem goldenen Ton und schienen endlos zu sein, als könne man auf ihnen, wenn man ihnen nur lang genug folgte, jeden erdenklichen Ort erreichen. Für einen Moment stand die Welt still. Eigentlich ist es doch die eigene Heimat, die der schönste Platz auf Erden ist. Die vertraute Luft, die altbekannten Silhouetten und die Orte, an denen man schon als Kind sein Herz verloren hatte. „Wollen wir los?" fragte Tessa leise, fast andächtig. Ich blinzelte, kleine Punkte aus Licht tanzten vor meinen Augen. „Natürlich."

„Pssst..." sie legte den Finger auf ihre Lippen. „Jana müsste in ihrem Zimmer sitzen. Die zweite... ach, einfach die einzige offene Tür." Ich schlich auf dort hin, wo Tessa es mir deutete und blieb im Türrahmen stehen. Ihre Mitbewohnerin saß gerade mit dem Rücken zu mir an ihrem Schreibtisch und wartete darauf, dass ein Video lud. Dann bemerkte ich, dass es mein neues war. Ich wartete darauf, dass das Intro durchgelaufen war und begann mitzusprechen. „Aloah Ladys und Gentlenerds..." Jana war verwirrt  und begann nach dem Fehler zu suchen, der für den Ton zuständig ist. Sie konnte ja nicht damit rechnen, dass ich hinter ihr stand, ich glaub ich hätte genau so reagiert. Aber nun machte ich mir einen Spaß daraus mitzusprechen, bis ich mich verhaspelte und mich selbst auslachte. Erschrocken drehte sie sich um. Ihr Blick brachte mich noch mehr zum lachen. „Annaaa? Yanniiik? Verdammt, da steht... alter..." sie musste wohl die letzten beiden WG Mitglieder rufen. Jonas, Jerry und sie kannte ich ja schon, so einigermaßen jedenfalls. Und meine Theorie bestätigte sich. Zwei Türen wurden gleichzeitig aufgerissen, zwei Leute streckten ihre Köpfe raus und eine Person verschwand wieder mit einem Türknall. Der Kerl ging raus und umkreiste mich wie ein Raubtier es bei einer Antilope machen würde. Ich ließ es schweigend über mich ergehen, dann kam das Mädchen, welches schnell verschwunden war wieder raus. „Yannik lass das, das ist unhöflich!" Er ging zu ihr, zog sie dicht an sich und schaute mich immer noch misstrauisch an. Dann küsste er das Mädchen auffällig, als wolle er mir ein für alle mal klar machen, dass sie zu ihm gehörte. Jana starrte mich einfach nur an. „Hi. Ich bin wegen 'nem Geburtstag hier." Als ich das sagte sprang sie auf und kam langsam auf mich zu. Sie blieb stehen, legte den Kopf schief und schaute mich verwundert an. Sie sah aus wie ein kleines Mädchen, dem man einen riesen Lolli hin hielt. Ich tat es ihr gleich, nur mit dem Unterschied, dass ich die Arme ausstreckte. Sie verstand und fiel mir kreischend um den Hals.

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