Kapitel 57

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POV Amaya:

Nachts war ich irgendwann aufgewacht und das Gedankenkarussel nahm kein Ende. Ich stand erschöpft auf. Meine Träume waren auch nicht gerade schön gewesen. Mein Schädel brummte. Ich hatte beschlossen aufzustehen. Paula schlief zum Glück weiter, sie gab sich schon so viel Mühe und opferte so viel für mich. Ich wollte sie nicht noch zusätzlich belasten. Ich schlich ins Badezimmer und setze mich auf den eiskalten Boden. Meine nackte Haut der Beine berührte die Fliesen. Die Kälte war schön, endlich spürte ich etwas außer der Sorge, Angst und dem Stress. Aber die Wirkung ließ nach und bald dröhnte mein Kopf erneut vor Gedanken. Es waren unerträgliche Kopfschmerzen, die keine Tablette beheben würde, nur das Ausschalten meiner Emotionen und Gedanken.
Ich griff nach meinem Rasierer und entfernte die Klinge. Ich saß einfach mur da und starrte bestimmt eine halbe Ewigkeit die Klinge an. Mir wurde direkt wärmer. Irgendwie gruselig. Ich hatte etwas Angst, was ich tun könnte. Aber was würde dagegen sprechen? Nichts... Mom waren wir eh nie wichtig genug gewesen, um clean zu werden, weder Eli noch ich. Dad war ich egal. Eli könnte ein neues Leben anfangen ohne die Last seiner Vergangenheit, ohne mich und glücklich werden. Paule hätte weniger Last zu ertragen und könnte zu ihrem alten Leben zurückkehren. Die ganze WG wäre mich endlich los, sie hatten zwar nie was gesagt, aber wer will bitte eine Teenagerin im Haus haben, die psychisch geschädigt ist? Genau, niemand! Freunde habe ich eh keine. Elias würde darüber hinwegkommen, er ist noch zu klein, um es zu verstehen. Vermutlich wäre er ohne mich eh besser dran, ich hätte ihn früher von dort wegholen müssen, bevor es zu dem gekommen ist, was man schon lange hätte erwarten können, dass er Drogen abbekommt. Die anderen hier kennen mich nicht lang genug, um lange unter dem Verlust zu leiden. Dad wäre sicher froh, weil Mom ihm dann ausgeliefert wäre, ihm und seiner Manipulation. Mom würde traurig sein, aber mit dem nächsten Schuss, wer weiß, ob sie sich überhaupt n oh daran erinnern würde. Außerdem würde es nicht so lange dauern bis wir uns wieder treffen würden, wenn sie nicht clean wird. Also was spricht gegen die Tat? Was spricht gegen Suizid? Das Leben hält keine Freude für mich bereit... Warum dann freiwillig hier bleiben?
Ich strich leicht mit der Klinge über meine Pulsader, ohne Druck, ich wollte nur das kalte Metal spüren. Würde ich ausrutschen, dann wäre es ein Unfall, dann hätte ich mich ganz aus Versehen umgebracht. Unabsichtlich, versteht sich. Es fühlte sich machtvoll an. Ich hatte die Macht zu entscheiden, ich konnte mich einfach umbringen und das ganze beenden. Keine Gefühle, keine Angst, keine Schuld, kein Stress, keine Sorgen, keine Trauer, keine Erinnerungen.
Dieses Mal fuhr ich etwas kräftiger darüber, aber immer noch darauf bedacht nicht zu fest zu drücken. Ich wollte noch dreizehn Minuten warten, oder sieben, bevor ich es tue. Sollte ich eine Tablette gegen die Schmerzen nehmen? Oder auch zehn Stück? Dann würde es nicht wehtun. Würde es überhaupt wehtun?
Ich betrachtete die glänzende Klinge und fuhr mit dem Finger darüber. Meine Gedanken waren plötzlich still. Sie waren verstummt, als ich die Klinge in der Hand hatte. Die Klinge war meine Erlösung. Ein fester Schnitt und mein Gehirn ist für immer stumm. Ein Traum...
Ich hörte nichts und ich sah nichts, so fixiert war ich auf die Klinge. Ich bewegte mich nicht, nur meine Hand und die wundervolle Klinge.
Plötzlich nahm mir jemand die Klinge aus der Hand und ich zuckte heftig erschrocken zusammen.

Responsibility - Verantwortung kann brechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt