Windstärke 1 | Sky

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Hallo ihr Lieben,
auch wenn noch nicht November ist, werde ich die Geschichte jetzt offiziell beginnen. Ich brauche Druck, sonst wird das nichts. Deshalb bekommt ihr heute einen ersten Einblick in Sky's Leben als Helikopter-Rettungsschwimmerin und beim nächsten Kapitel begleiten wir sie auch gleich auf einen Einsatz. Bei meiner Recherche war ich gründlich, trotzdem ist das hier keine Doku sondern eine fiktive Geschichte mit erfundenen Charakteren. In Kodiak gibt es zwar eine Küstenwache, aber die hat vermutlich nicht viel mit der in meiner Geschichte gemeinsam. So bisschen wie bei einem Actionfilm oder einer Krankenhausserie, wo die beruflichen Aspekte von den Machern so zurecht gepuzzelt werden, dass sie zur Geschichte passen. Ich gebe aber mein Bestes, so realitätsnah wie möglich zu bleiben.
LG

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»Morgen, Kaulquappe. Schon wieder fleißig?«

Die tiefe Stimme meines Lieblingskollegen – und besten Freundes – Petty Officer Third Class Levi McGillen zaubert mir automatisch ein Lächeln auf die Lippen.

Seit gestern Nachmittag sind wir mit zwei Piloten zum 24-stündigen Bereitschaftsdienst eingeteilt und unterstützen die Tagschicht bei der Wartung unserer Fluggeräte und Ausrüstung, solange wir nicht zum Einsatz gerufen werden.

Den achtundzwanzigjährigen Bordmechaniker habe ich vor zwei Jahren hier auf Kodiak Island bei meinem allerersten Übungseinsatz kennengelernt. Wir haben uns noch am selben Tag angefreundet. Auch, wenn es mich bis heute schockiert, dass der gebürtige New Yorker den Kopf voller dunkelbrauner Wuschellocken gegen eine spiegelglatte Glatze eingetauscht hat, um sich – in seinen Worten – optisch der Küstenwache anzupassen.

Als hätte er nur zwischen Tarzan-Mähne und Bowlingkugel wählen können.

Rückwärts komme ich unter dem orangen, aus Polyurethan bestehenden Schutzdach einer Rettungsinsel hervorgekrochen, deren Wartung ich heute übernommen habe.

Als ich zu ihm hoch blinzle, steht Levi im gleichen armygrünen Overall vor mir, den auch ich trage. Mir wird kurz schummrig, als ich mich nach über dreißig Minuten in der Hocke etwas zu schnell aufrichte.

Levi deutet auf das Kunststoff-Gebilde zu meinen Füßen.

»Ist denen bei der Produktion nie aufgefallen, dass die Dinger wie quietschgelbe Kinderplanschbecken mit Sonnenschutzdach aussehen?«

Vor Lachen werfe ich den Kopf in den Nacken.

»Hör auf zu lästern, Lev. Rettungsinseln sollen Schiffbrüchige vor dem Ertrinken und Unterkühlung bewahren, keinen Schönheitswettbewerb gewinnen.« Auf der kreisrunden Basisausführung finden immerhin sechs bis zehn Mann platz. Ich puste mir eine Locke aus dem Gesicht, die sofort ihren Weg zurück in mein Blickfeld findet. Mit der Hand stecke ich mir die rebellische Strähne hinters Ohr. »Was machst du eigentlich hier? Wolltest du dir heute Morgen nicht den Hauptrotor vom MH-60 vornehmen?«

Er zuckt mit der Schulter.

»Yep, aber ich dachte, auf dem Weg zum Hangar bring' ich dir noch einen kleinen Muntermacher vorbei.«

Lev hält mir einen schlichten weißen Reise-Kaffeebecher mit schwarzem Trinkaufsatz unter die Nase. Aufsteigendes Aroma lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

»Mhm«, stöhne ich. »Du bist der Beste.«

Um seine haselnussbraunen Augen bilden sich Lachfältchen, als er schmunzelt.

»Weißt du, Kaulquappe, wenn du das hier mal nicht mehr machen willst, solltest du Pornos vertonen. Damit könntest du einen Haufen Kohle verdienen.« Er schnaubt amüsiert. »Uh, oder du spielst gleich selbst mit. Typen stehen auf Rothaarige.«

The Sea is Rough TonightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt