Windstärke 3 | Rock

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Rückblick

»Nicht zu fassen, dass die dich in die Eishölle versetzt haben«, presst Theo beim Joggen zwischen kurzen Atemzügen hervor. Seine aschblonden Haare stehen in alle Himmelsrichtungen ab. »Fuck, Rocky, in Port Angeles wäre ich dich ja mal besuchen gekommen, aber Alaska ...«

»Also eigentlich hab ich mich für Clearwater beworben, um näher bei Wy und meinen Eltern zu sein.«

Theo bleibt abrupt stehen. Seine Hand auf meinem Brustkorb zwingt mich, dasselbe zu tun.

»Scheiße, du wolltest nach Florida?« Er schnaubt amüsiert. »Bären statt Bikinihäschen – das ist hart.«

»Kannst du laut sagen.« Keuchend stemme ich die Fäuste in die Seiten. »Im Schneesturm über meterhohe Monsterwellen zu fliegen, hört sich nicht so geil an.«

»Ach komm, du bist hier schon bei ähnlichem Bedingungen abgehoben und hast deine Einsätze immer souverän gemeistert. Lieutenant Commander Ashby lobt dich nicht umsonst in den Himmel.«

»Mag sein, aber Kodiak hätte trotzdem nicht sein müssen.«

Theo entblößt die kleine Lücken zwischen seinen vorderen Schneidezähnen, als er mich schief angrinst.

»Das ist bestimmt Karma, weil du deinen Bruder verarscht hast.«

Hintern voran lässt sich mein bester Kumpel auf den Rasenstreifen zwischen dem Gehweg und dem Gartenzaun eines zweistöckigen Einfamilienhauses plumpsen. Mit der flachen Hand klopft er auf den Platz neben sich.

Schwerfällig wie ein Sack Kartoffeln lande ich im Gras und wische mir mit dem langen Ärmel meines gelben Funktionsshirts den Schweiß von der Stirn.

»Ich glaube eher, damit hab ich ihm einen Gefallen getan.« Meine Bartstoppeln verursachen ein Kratzgeräusch, als ich mir mit der Hand über den Kiefer reibe. »Es war so krass, Wy nach zwei Jahren Trauer an den Lippen der süßen Rettungsschwimmerin hängen zu sehen. Da musste ich ihm einfach beweisen, dass es noch Dinge gibt, die eine Reaktion aus ihm herauskitzeln.«

»Verstehe, du wolltest ihm verklickern, dass noch Lebenshunger in ihm steckt.«

»Ganz genau«, sage ich. »Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm erzählt hab, dass ich mich wegen der Badenixe um eine Versetzung in den Norden bewerben würde. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich in Flammen aufgegangen wie der beschissene Graf Dracula bei Sonnenaufgang.«

Ein heiseres Lachen entkommt Theos Kehle.

»Kann ich mir vorstellen. Wyatt ist ... intensiv.« Mein Kumpel schüttelt den Kopf. »Ihm ist aber schon klar, dass Verbrüderung in der Küstenwache nicht erlaubt ist, oder?«

Grinsend schüttle ich den Kopf.

»Er hat, glaube ich, keine Ahnung, dass persönliche Beziehungen zwischen Lieutenants und Petty Officers verboten sind, weil das die Rangfolge untergraben und die allgemeine Ordnung stören würde. Vor dem Eintritt in die Küstenwache hab ich das auch nicht gewusst.«

Es vergehen einige Sekunden, ohne dass einer von uns spricht. Dann beißt sich Theo auf die Unterlippe.

»Was ist?«, will ich von ihm wissen.

Er schlingt die Arme um seine angewinkelten Knie.

»Im ersten Moment dachte ich ja, dass vielleicht was ganz anderes dahintersteckt.«

Meine Stirn kräuselt sich von allein.

»Was meinst du?«

Sein Blick liegt lange und schwer auf mir, so real wie eine Hand auf der Schulter.

The Sea is Rough TonightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt