Kapitel 2

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„Was ist denn da los?" Verwirrung breitete sich unter den Schülern der High-School aus, an der Cassie als Schulkrankenschwester aushalf. Dabei hatte sie ihr Studium noch nicht einmal abgeschlossen. Alles nur, weil die anderen Krankenschwestern sich nicht mit der Physiologie von Wölfen auskannten. Sie zog eine Grimasse, hatte sie doch eine Ahnung, wer für den Tumult verantwortlich war. In Windeseile kämpfte sie sich durch die Schülermasse, die einen Pulk um einige Mitschüler formte. Ihr Blick fiel auf den fünfzehnjährigen Cody, der verzweifelt versuchte, einen um zwei Jahre älteren Wolf davon abzuhalten, einem Mitglied des Black-Moon-Rudels an die Gurgel zu springen. Beide größere Jungen knurrten einander an. Cassie lief es kalt den Rücken hinunter. Der Fremde war eindeutig ein Alphawolf. Seine Haltung, seine aggressive Aura, das Knurren, das seiner Kehle entwich. Alles schrie Alpha. Sie straffte die Schultern.

„Es reicht!", fuhr sie die Widersacher an, legte all ihre Autorität in ihre Stimme. Beide Jungen hielten inne. Jaxx, ein siebzehnjähriger Wolf, dessen Eltern den mittleren Rängen angehörten, nickte ihr kurz zu, drehte sich um und lief wortlos weg. Cody verdrückte sich ebenfalls geräuschlos. Womöglich, um den fremden Alpha nicht zu reizen. Kluger Jungwolf. Sie atmete erleichtert aus. Obwohl sie nicht mehr zu ihnen gehörte, respektierten die Jüngeren sie dennoch. Aller Wahrscheinlichkeit nach aus Respekt ihrem Vater gegenüber. Der Fremde dagegen legte den Kopf schief und studierte sie eingehend. Sie erwiderte die Neugier, indem sie ihn ebenfalls musterte. Schwarze Locken, die ihm tief in die Stirn fielen, braune Augen, die seit dem Verschwinden seines Widersachers einen sanften Braunton annahmen. Er sog die Luft geräuschvoll ein, schien zu prüfen, ob von Cassie Gefahr ausging. Entwaffnend lächelte sie den Jungen an, dessen Haltung sich zusehends entspannte.

„Cayden!" Der Angesprochene fuhr herum, begrüßte mit Handschlag einen weiteren Wolf, der zu seinem Rudel gehörte. „Hast du deinem Bruder nicht versprochen, zumindest am ersten Tag Ärger aus dem Weg zu gehen?" Der Zweite wandte sich Cassie zu. „Und solltest du nicht langsam verschwinden, Schulkrankenschwester?" Ein unterschwelliges Knurren begleitete seine Worte. Ein typischer Jungwolf, der sich gern bewies. Sie unterdrückte ein Schmunzeln, um ihn nicht zu reizen.

„Cian, lass sie in Ruhe." Cayden hielt seinen Freund zurück, wisperte ihm etwas zu. Das Klingeln zum Pausenende ließ beide aufstöhnen. Wie die normalen Schüler trollten sie sich ins Schulgebäude. Cassie blieb mitten auf dem Schulhof stehend zurück. Sie schaute ihnen hinterher, runzelte die Stirn. Das Leben in einem Wolfsrudel hatte ihre Sinne geschärft, sodass sie die Worte des Jungen gehört hatte. Wieso wollte er sie im Auge behalten? Nur, weil er sich wunderte, dass Jaxx ihr gehorchte? Sie hätte es als absurd abgestempelt, doch kannte sie seit ihrer Kindheit die Abneigung und das Misstrauen der Wölfe gegenüber allen Fremden. Bei diesem Jungwolf kam eine ausgesprochene Neugierde hinzu. Sie warf einen letzten Blick auf das Schulgebäude, dann riss sie sich zusammen und marschierte zurück zu ihrem Raum.

„Ich werde dich ebenfalls im Auge behalten, Cayden", nahm Cassie sich vor. Ebenso, wie Sean nach Informationen über das fremde Rudel zu fragen. Ihr Vater hatte sie, da sie keine Wölfin hatte, aus den Rudelbelangen herausgehalten. Zu ihrem Schutz, weil sie nicht in der Lage war, gegen einen Gestaltwandler im Kampf zu bestehen. „Dabei bin ich nicht schwach", murmelte sie. Im normalen Zweikampf war sie immer eine der Stärksten und Wendigsten. Einziger Knackpunkt war ihre fehlende Fähigkeit, sich zu wandeln und ihre im Gegensatz zu den Wölfen länger andauernde Regeneration. Dennoch verlief die Heilung bei ihr um ein Vielfaches schneller als bei gewöhnlichen Menschen. Wenigstens ein paar Vorteile, dass sie das Kind von Wolfswandlern war. Mit dem großen Nachteil, dass sie nicht unter ihnen lebte, sondern wie eine Ausgestoßene bei den Menschen.

Seufzend setzte sie sich an den schmalen Schreibtisch, auf dem ihre Bücher ausgebreitet lagen. Der Einsatz an der High-School kostete sie Vorlesungen. Unterrichtsstoff, den sie sich mühselig selbst erarbeitete. Solange kein Schüler kam, blieb ihr Zeit zum Lernen. Sie war gerade in die Beschreibung der Funktionen der inneren Organe vertieft, als jemand die Tür aufriss und hineinstolperte. Wie von einer Tarantel gestochen fuhr sie auf.

Die verschmähte MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt