Kapitel 11

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Cassie starrte stumm an die Decke in ihrem Schlafzimmer. Noah hatte sie nach Hause getragen, sie auf ihre Matratze gelegt. Nun kniete er neben ihrem Bett, die Arme aufgestützt.

„Erzähl mir doch bitte, was dich bedrückt." Den Kopf schräggelegt, schaute er sie bettelnd an, wie sie aus dem Augenwinkel beobachtete. Sie schloss seufzend die Augen. Niemals hätte sie für möglich gehalten, dass Jungwölfe des Rudels ihres Vaters versuchen würden, sie zu töten.

„Luna, bitte rede doch mit mir!" Ein verzweifeltes Winseln drang aus seiner Brust. Sein Wolf, der nicht verstand, weshalb sie nicht antwortete. Doch wie auch? Das Vorgehen der Jungwölfe kam einem Verrat gleich. Zählte sie so wenig für ihren Vater, dass er das Verhalten seiner Stieftochter tolerierte, es womöglich guthieß?

Cassie setzte sich auf, schlang die Arme um die Knie und wiegte sich hin und her. Tränen strömten unaufhaltsam über ihre Wangen. Sie hatten sie endgültig verstoßen. Es gab keine sonstige Erklärung. Sie war ein Nichts, unwürdig ohne eine Wölfin.

„Verdammt Cassie, hörst du mir überhaupt zu?" Noah wedelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum. Wieso verschwand er nicht wie alle anderen, ließ sie im Stich wie ihr Rudel?

„Bitte geh", presste sie hervor. Die Verzweiflung über den Verlust eines Teils ihrer Identität schnürte ihr die Kehle ab. Noah würde ebenfalls bald erkennen, dass sie nichts taugte.

„Du lässt mir keine Wahl", knurrte er, stand auf und entkleidete sich. Knochen knackten, sein Wolf sprang auf ihr Bett. Der Wandler stupste sie sanft mit der Schnauze an, leckte die Tränen von ihren Wangen. Leise winselnd quetschte er seinen Kopf zwischen ihr Bein und ihre Hand. Das warme weiche Fell kitzelte ihre Handinnenfläche. Wie in Trance begann sie, ihn zu streicheln, wofür er sie mit einem zufriedenen Brummen belohnte. Ein Geräusch, das sie in ihre Kindheit versetzte, bevor man erkannte, dass ihr im Gegensatz zu den anderen Welpen etwas fehlte. Die Mutter, die sie liebevoll wärmte, ihr Geschichten über die Welt der Wandler erzählte. Der Vater, der sie die Regeln in einem Wolfsrudel lehrte, die Ränge und deren Bedeutung. Wenn nur dieser verflixte Unfall nicht passiert wäre! Cassie saß damals im Wagen, doch hatte jegliche Erinnerungen an den Hergang vergessen. War sie etwa schuld daran und hatte ihr die Mondgöttin aus diesem Grund keine Wölfin gegeben? Ein neuerlicher Weinkrampf schüttelte sie. Verzweifelt, einzig von dem Wunsch getrieben, niemanden zu sehen, warf sie sich auf die Seite und rollte sich zusammen. Weg von Noah und seiner Wärme, die sie nicht verdiente.

Der Wolf schnaubte hinter ihr, legte sich hin und kuschelte sich an ihren Rücken. Störrischer Kerl. Erwartete sein Rudel ihn nicht zurück? Wäre sie eine Wandlerin, sie würde den Großteil ihrer Zeit bei den Rudelmitgliedern verbringen. Nur gemeinsam war man stark, vor Feinden geschützt. Sie dagegen war allein, wie ein typischer Mensch, der sich nach einem Leben sehnte, das für sie unerreichbar war. Zumindest fast, denn Noah drängte enger an sie, brummte beruhigend.

„Hast du etwa vor, die Nacht hier zu verbringen?" Cassie drehte sich um, betrachtete den Wolf, der sich auf den Vorderläufen abstützte und auf etwas zu warten schien. Langsam, fast zögernd sprach sie die Worte, die ihr im Kopf herumgeisterten. „Du wirst hier immer willkommen sein." Sie rollte sich auf den Rücken. Wie auf Kommando rutschte er näher an sie heran, legte die Schnauze auf ihre Schulter. Blitzschnell zuckte seine Zunge über ihren Hals, leckte über den Halsansatz. Wärme breitete sich in ihrem Körper aus, ein Gefühl von absoluter Entspannung.

Sie drehte sich auf die Seite, betrachtete sein weiches Fell. Ein traumhafter Wolf mit einem sanften Wesen. Verdiente sie seine Freundschaft? Ohne ihre Einmischung wäre Reyna nicht weggefahren, dann hielte er nur seine Gefährtin im Arm, statt mit einer anderen Frau Zeit zu verbringen. Ihr Gewissen meldete sich energisch zurück. Ihretwegen litt der Wandler.

Die verschmähte MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt