Kapitel 14

3.2K 167 38
                                    


Er starrte Noahs Wagen eine Weile hinterher. Sein Wolf jaulte, kratzte an der Oberfläche. Er war wütend, dass Nathaniel die Frau hatte wegfahren lassen. Zugegeben, er war kurz davor gewesen, sie über seine Schulter zu schmeißen und mit zum Rudel zu schleppen. Ihr verführerischer Duft, das Kribbeln, das ihn quälte, sowie er sie berührte. Wie hatte sie ihn so verhext? Er schüttelte den Kopf. Cassie hatte keine Gelegenheit dazu. Außerdem war seine Reaktion zu spezifisch, um von Hexerei hervorgerufen zu sein. Steckte womöglich die Mondgöttin dahinter? Zu ihr passte die Handschrift. Doch warum?

Abrupt riss er sich von dem Platz los, wo er die Frau vor wenigen Minuten in den Armen gehalten und ihren betörenden Geruch eingeatmet hatte. Ihre Witterung schwand zusehends und bevor sein Wolf womöglich mitten in der Stadt durchbrach, verschwand er besser in den Wald.

„Die Rabenklippe", murmelte er. Er schloss nicht aus, dass er dort eine Antwort fand. Hatte die Mondgöttin ihre Magie eingesetzt, erfuhr er mit etwas Glück den Grund für die seltsamen Vorkommnisse. Denn bisher wiesen alle Anzeichen in eine Richtung, in die einer neuen Gefährtin. Stellte sich dies als richtig heraus, bekam Noah doch seine Luna und Cayden seinen Willen. Nathaniel seufzte leise, fiel in einen schnellen Schritt. Nein, es war ausgeschlossen, dass man eine zweite Chance von der Göttin erhielt. Er hatte noch nie von einem derartigen Fall gehört.

„Wo willst du jetzt schon wieder hin?", hörte er seinen Bruder rufen, als er einige Zeit später zu den Klippen aufbrach. „Du riechst nach Cassie", fügte er nach kurzem Schnuppern hinzu. Nathaniel unterdrückte ein Augenrollen.

„Ich habe sie überredet, Noahs Gefährtin mit ihm zusammen zurückzuholen", wehrte er eiligst ab. Sein Bruder würde das gesamte Rudel informieren, wenn er von sämtlichen Vorkommnissen erfuhr. Ein Risiko, das er nicht bereit war, einzugehen. Nicht, bevor er auf der Rabenklippe um Rat gefragt hatte. Sein Wolf knurrte ungehalten über die Verzögerung. Seitdem er in Erwägung zog, dass die Mondgöttin ihm eine zweite Gefährtin schenkte, drehte das Tier in ihm fast durch.

„Scheinst davon aber ziemlich durch den Wind zu sein", merkte Cayden an. „Gefiel es dir etwa nicht, dass sie mit Noah davongefahren ist? Allein, an der Seite eines gutaussehenden und verständnisvollen Wandlers."

„Der an nichts anderes denkt, als daran, seine Mate in die Arme zu schließen und ins Rudel zu holen." Nath lachte humorlos auf. „Ich habe keinen Grund, mir ihretwegen Sorgen zu machen." Die junge Frau hatte es nach allem Anschein genossen, wie er sie an seine Brust presste. Ihm obendrein den Hals zur Markierung präsentiert. Sein Wolf jaulte bei der Erinnerung daran auf, wie dicht er davorgestanden hatte, Cassie für sich zu beanspruchen. „Wenn das alles ist, ich wollte hoch zur Rabenklippe."

„Viel Spaß, aber stürze dich nicht in den Tod." Cayden wich dem Stoß seines Bruders aus, dem dieser für seine vorlaute Klappe zu verpassen trachtete. Nichts als Zeitverschwendung. Murrend lief Nathaniel zum Wagen. Einen Großteil der Strecke würde er fahren, nur das letzte Stück in seiner Wolfsform zurücklegen, obgleich das Tier in seinem Innern kaum noch die Geduld zum Warten aufbrachte. Es sehnte sich danach, die Krallen in den Erdboden zu schlagen, den weichen Untergrund unter seinen Pfoten zu spüren.

Am Fuß der Klippen stieg er aus, ließ seinen Blick den Fels hinaufwandern. Steil, verwittertes Gestein, von den Elementen geformt. Ein Mensch würde eine Bergsteigerausrüstung benötigen, um dort hinaufzuklettern. Oder den langen Weg über die Rückseite nehmen. Doch ein durchtrainierter Wolf wie er kam mit den geologischen Gegebenheiten zurecht. Eine Herausforderung, dennoch kein unüberbrückbares Hindernis. Nathaniel zog sich aus, warf die Kleidung auf die Rückbank des Wagens.

Sein Wolf hielt es nicht länger aus, drängte in den Vordergrund. Die Ohren zuckten, lauschten den Geräuschen der Natur, die er in Wolfsform viel nuancierter wahrnahm. Er streckte den Rücken, dehnte seine Beine. Wer den Fels unterschätzte, stürzte bei einer winzigen Unachtsamkeit ab. Doch ihm würde das nicht passieren. Geschickt sprang er auf den ersten Felsvorsatz, kletterte weiter zum nächsten. Das Geräusch seiner Krallen, die am Gestein kratzten, hallte an der Steilwand wider. Tief atmete Nathaniel den Geruch nach Mineralien ein. Seine Muskeln spannten unter der Haut. Eines Tages würde er in seiner menschlichen Form hinaufklettern, um sich zu beweisen, dass er es konnte. Ohne Sicherungen, einzig durch Gewandtheit und Konzentration. Immer weiter arbeitete er sich nach oben vor, bis er mit einem letzten Sprung auf dem Felsvorsprung landete.

Die verschmähte MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt