Kapitel 32

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Es war ungewohnt, nach so vielen Jahren wieder durch die Räumlichkeiten ihres Elternhauses zu wandeln. Melancholisch sah sie zu, wie Hallie die auf Leinwände übertragenen Bilder von Sky und ihrer Mutter abnahm. Weder Cassie, ihr Vater noch die schüchterne Omega waren auf einem von ihnen zu sehen.

„Die Luna hat, nachdem sie dich vom Rudelgelände hat entfernen lassen, nur noch Sky als ihre rechtmäßige Tochter angesehen." Das Mädchen wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. „Ich durfte sie nicht einmal mehr Mama nennen, wenn wir alleine waren. Und jetzt ist sie tot." Hallie schniefte, ihre Schultern bebten. „Warum war sie nur so gemein zu mir? Zu dir? Und zu Papa?"

„Ich weiß es nicht." Cassie schloss ihre Stiefschwester in die Arme und strich der Jüngeren tröstend über den Rücken. „Sie hat sich zu sehr nach Macht gesehnt. Wir waren ihr da wohl im Weg."

„Meinst du, Papa wird mich aus dem Rudel werfen? Wo soll ich dann hin?" Das Mädchen trat einige Schritte zurück, schlang die Arme um den Körper, wie um sich zu beschützen. Tränen rannen wie Sturzbäche über das Gesicht, das ungewöhnlich blass war. „Ich bin doch nicht so stark wie du", fügte es weinerlich hinzu.

Cassies Hals schnürte sich angesichts der Verzweiflung ihrer kleinen Schwester zu. Hallie hatte nie jemandem etwas zuleide getan. Dazu war sie viel zu sanft. Wie beruhigte sie sie nur? Cassie räusperte sich. „Das wird er nicht tun. Außerdem habe ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden."

„Was passiert nun mit Sky? Sie hat immer die Befehle der Luna befolgt und war gemein zu allen, die sie für schwächer hielt."

„Papa wird sie wegschicken. Sie wird als Rogue umherziehen, falls sie kein Rudel findet, das sie aufnehmen will." Um das Miststück tat es ihr nicht leid, doch um die Liebere der Zwillingsschwestern würde sie kämpfen, falls ihr Vater sich dazu entschied, diese ebenfalls rauszuwerfen.

Die Tür zum Büro des Alphas öffnete sich. Zwei muskulöse Wandler zerrten eine sich sträubende Sky aus dem Raum. Das Mädchen sah Cassie trotzig an. Obwohl seine Hände mit einer Eisenkette gefesselt war, schien sein Kampfgeist ungebrochen. Oder es war die nackte Verzweiflung über die Niederlage, die zu diesem unlogischen und bockigen Verhalten führte.

„Bist du nun zufrieden?", spie die Omegawölfin ihr entgegen. „Deinetwegen ist die rechtmäßige Luna des Rudels tot. Es ist alles deine Schuld. Wieso bist du nicht draufgegangen, als wir den Bären auf dich gehetzt haben? Oder nach unserem Angriff abgekratzt? Du hast alles verdorben."

„Rechtmäßige Luna?" Cassie sah rot. Wut kochte in ihren Adern hoch. „Deine Mutter hat die rechtmäßige Luna feige umgebracht und sich hier wie eine Made im Speck eingenistet. Eine Laus im Pelz, genau wie du!"

„Dafür bin ich nicht feige, so wie du." Sie hob ihre gefesselten Hände. „Die große starke Alphawölfin hat solch eine Angst vor mir, dass sie ihren Papi angefleht hat, mich kampfunfähig zu machen." In Skys Augen glitzerte es gefährlich. Was plante das Biest?

„Ich habe nichts dergleichen getan", knurrte Cassie. Ihre Wölfin zeterte in ihrem Innern und drängte darauf, der unverschämten Omega eine Lektion zu erteilen. Was bildete das Mädchen sich ein? Im Niemandsland hatte es wimmernd aufgegeben.

„Dann hast du bestimmt auch keine Probleme damit, gegen mich zu kämpfen. Ach warte, dafür bist du zu feige. Du weißt ja gar nicht, wie man richtig kämpft." Sky musterte Cassie abfällig von oben bis unten. „Du bist mir eh unterlegen."

„Es reicht!" Ein tiefes Grollen mischte sich unter die Worte. „Du sollst deinen Kampf haben." Sie schaute zu ihrem Vater, der stirnrunzelnd am Türpfosten seines Büros lehnte, ihr dann aber aufmunternd zunickte.

Die verschmähte MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt