Kapitel 4

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Nathaniel Hunter saß am Schreibtisch seines Vaters und sah stirnrunzelnd die Dokumente durch. Was versprachen seine Eltern sich davon, die Jungwölfe auf die Schulen der Stadt zu schicken? Weg aus der Sicherheit des Rudels in die Klassen der fremden Wölfe. Dabei war die Erziehung und Unterrichtung auf dem eigenen Territorium seit Jahrzehnten reibungslos verlaufen. Sie in die Stadt zu schicken, empfand er als zu großes Risiko. Außerhalb der Gemeinschaft warteten Gefahren nur darauf, zuzuschlagen. Sein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen.

Julie.

Warum hatte sie damals nicht auf ihn gehört? Er presste die Kiefer fest aufeinander, sodass es schmerzte. Die unberechenbare Welt dort draußen hatte ihm nicht nur die Gefährtin und den ungeborenen Nachfolger gestohlen, sondern auch dem Rudel die zukünftige Luna. Wie sollte er ohne sie nach dem Abtreten seines Vaters die Wölfe anführen? Seine Mutter erklärte sich zwar bereit, weiterhin für die Rudelmitglieder zu sorgen. Doch für wie lange? Viel Zeit blieb ihm nicht, eine Lösung zu finden. Sein Wolf knurrte. Gleich darauf flog die Tür zum Büro auf.

„Kannst du nicht einmal anklopfen?" Cayden spazierte in den Raum, als ob es sein persönliches Reich wäre. Womöglich wurde es das auch, wenn Nathaniel keine zufriedenstellende Lösung fand. Ein Anführer benötigte eine Gefährtin.

„Sei doch nicht immer so knurrig." Der Jüngere drehte ihm den Rücken zu, inspizierte das dunkle Bücherregal, in dem einige alte Bücher mit ledernem Einband standen. Mit den Fingerspitzen fuhr er die Buchrücken nach. „Du hast wohl zu lange kein Weibchen gevögelt."

„Was willst du? Mir unter die Nase reiben, dass ich ohne Mate das Rudel nicht anführen kann?" Der Kommentar seines Bruders traf ihn härter als erwartet. Sein Wolf jaulte in seinem Innern auf, lechzte danach, an die Oberfläche zu treten und dem Jüngeren eine Abreibung zu verpassen. „Hoffst du darauf, dass Vater dir die Leitung überträgt? Dafür müsstest du noch einiges lernen." Nathaniel ballte die Fäuste. Krallen drangen ihm in die Handballen. Ein metallischer Geruch breitete sich im Raum aus. Warm rann das Blut über seine Haut.

„Hör doch mal auf, dich selber zu verletzen. Es bringt nichts." Cayden seufzte. „Außerdem will ich gar nicht das Rudel anführen. Das ist dein Job." Er drehte sich um, lief direkt auf den Schreibtisch zu, an dem Nath noch immer saß. „Allerdings habe ich womöglich die Lösung für dein Problem gefunden." Der Jungwolf ließ sich auf den Stuhl gegenüber von seinem Bruder fallen. In seinen Augen glitzerte es vergnügt.

„Und das wäre?" Nathaniel hatte keine Zeit für die Spielchen des Welpen. Der jugendliche Übermut Caydens sorgte oft genug für Probleme. „Hast du dich wenigstens in der Schule anständig benommen, ohne einen Streit vom Zaun zu brechen?"

„Ein Wolf hat mich provoziert, doch die Schulkrankenschwester ist dazwischengegangen. Erstaunlicherweise hat dieser Jaxx auf sie gehört und sich prompt mit eingezogenem Schwanz verzogen. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber ich habe eine Art Alpha-Aura an ihr gespürt, obwohl sie ein Mensch ist." Cayden stützte sich am Schreibtisch ab, beugte sich verschwörerisch vor. „Was hältst du davon, eine hübsche Hexe zu heiraten, die Einfluss auf das Dark-Woods-Rudel hat?"

„Hast du völlig den Verstand verloren? Eine Hexe? Da überlasse ich lieber noch dir die Leitung unseres Rudels." Nathaniel schüttelte den Kopf. Hatte man seinen Bruder als Baby zu oft von der Wickelkommode fallenlassen? „Manchmal frage ich mich, ob wir wirklich miteinander verwandt sind." Mit einem tiefen Seufzer stand er auf. „Wahrscheinlich erzählst du mir gleich noch, dass diese Hexe ganz annehmbar aussieht."

„Dunkelbraune Haare, braune Augen. Eine traumhafte Figur. Sanfte Gesichtszüge. Kein Standgebläse, sondern sogar noch größer als unsere Mutter. Eigentlich genau dein Typ, wenn ich mich recht entsinne." Herausfordernd sah ihn der Jungwolf an. Erwartete dieser ernsthaft, dass er sich auf so etwas einließ? Lächerlich.

Die verschmähte MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt