Die verschmähte Mate

Kapitel 6

„Er hat was gemacht?" Reyna purzelte fast vom Stuhl, die Augen weit aufgerissen. „Du willst mir doch nicht erzählen, dass alle Wolfswandler sich gegenüber Menschen so benehmen."

„Das ist es gerade. Ich kenne so etwas nicht von Wölfen. Gefährten prägen sich den Geruch voneinander ein, oder aber ein Gamma den seiner Luna." Noahs Verhalten gab ihr Rätsel auf. In seiner Wolfsform hatte er sich enorm kuschelbedürftig gezeigt und sich nur mit Widerwillen zurückverwandelt, um zu seinem Rudel zurückzukehren. Erst nach dem dritten verpassten Anruf wandelte er sich und zog seine klamme Kleidung an. Ihre Wohnung hatte sich leer angefühlt, nachdem er verschwunden war. Cassie seufzte. „Er scheint sich irgendwie darauf zu versteifen, dass ich zu seinem Rudel gehöre."

„Als seine Luna, wenn ich das richtig verstanden habe." Reyna fuhr sich durch die wilde rote Mähne. „Darf er sich überhaupt auf dich prägen, wenn sein Alpha dich nicht für sich beansprucht? Oder habe ich da etwas falsch verstanden?"

„Stimmt schon so. Ein Gamma prägt sich erst auf die Luna, wenn es feststeht, dass sie die Gefährtin des Alphas ist. Es gibt selbst Fälle, wo sich ein Rudelführer von seiner Mate trennt, in denen der Gamma sich dazu entscheidet, bei seinem Rudel zu bleiben, statt mit der verstoßenen Wölfin zu ziehen. Dabei gilt das geknüpfte Band zwischen den Beiden als fast so unzerreißbar wie das zwischen Gefährten."

„Kann es sein, dass die beim Black-Moon-Rudel alle durch den Verlust ihrer zukünftigen Luna einen an der Waffel haben?" Reyna kratzte sich am Kopf. „Das würde so einiges erklären."

„Keine Ahnung." Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete Cassie das Treiben ihrer Freundin. „Sag mal, hast du Flöhe oder Läuse?"

„Wenn, dann habe ich mir die von einem eurer Köter eingehandelt." Sie rieb sich weiter eine Stelle am Schädel. „Bin auf dem Weg zu dir in die Bibliothek mit diesem Jaxx zusammengestoßen. Danach fing das Jucken an."

„Lass mich mal nachschauen." Sie strich die Haare behutsam zur Seite, betrachtete die gerötete Kopfhaut. Kleine Körnchen, so winzig wie Sandkörner, bedeckten die gereizte Haut. „Keine Untermieter, sondern Juckpulver. Jaxx, sagtest du?"

„Ja genau. Zieh mal der Töle in meinem Namen das Fell über die Ohren." Reyna schüttelte frustriert die Mähne. „Tut mir leid, aber ich halte das nicht mehr lange aus."

„Schon okay, geh dir die Haare waschen. Ich könnte damit auch nicht ruhig weiterlernen." Nachdenklich sah sie der Freundin hinterher. Der Jungwolf hatte sich selbst für seine Verhältnisse untypisch verhalten. Von allein kam er nicht auf die Idee, eine normale Frau zu ärgern. Erst recht nicht, seitdem sich ihm mit den fremden Wölfen ein besseres Ziel bot. Da steckte etwas anderes dahinter. Oder jemand. Cassie schnaubte. Sie hatte eine genaue Vorstellung, wer die Aktion eingefädelt hatte. Nur eine Jungwölfin kam dafür in Frage. Sky.

„Was verspricht sie sich nur davon?", murmelte sie. Ihre Stiefschwester war ein verzogenes kleines Miststück, obwohl sie für eine Wölfin zu schwach und unauffällig war. Selbst in ihrer menschlichen Form war sie langsamer als Cassie und dieser im Zweikampf nicht gewachsen. Sky würde nie eine hohe Position im Rudel einnehmen. Ihre Popularität in den vergangenen Jahren verdankte sie der Tatsache, dass ihre Mutter die Luna war. Eine Aussage Codys kam ihr in den Sinn. Dass die Stiefmutter den kleinen Liebling mit Sean verheiraten wollte. Um ihre eigene Macht zu zementieren und weiterhin Einfluss auszuüben? „Was ist, wenn Skys Mate von einem fremden Rudel ist? Will sie verhindern, dass ihre Tochter den vorbestimmten Gefährten findet? Das ist doch absurd." Sie stützte den Kopf in die Hände, grübelte über das Verhalten der Luna nach. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr Zweifel kamen ihr am Handeln der Stiefmutter. Trotz derer Liebe zu Partys setzte sie sich für das Wohl des Rudels ein. Der eigenen Tochter, ihrem absoluten Liebling, dagegen den eigentlichen Mate zu verwehren, passte nicht zu dem Bild, das die meisten Rudelmitglieder von ihr hatten.