Über den viel zu heißen und trockenen Sommer spielt sich eine neue Routine in Olivers Wochenplan ein. Die Veränderungen sind zunächst unauffällig, er geht zu denselben Zeiten zu denselben Orten, doch ist er dort seltener allein. Immer wieder taucht Toby zum Frühstück auf oder Tristan verabredet sich mit ihm, um ihn bei einer seiner Mittagspausen zu begleiten.
Die Beziehung zwischen dem Personaldienstleister und dem Sozialarbeiter ist zunächst überwiegend geschäftlicher Natur. Tristan lässt sich von Oliver darin beraten, wie er seine Mitarbeiter noch besser führen und einschätzen kann und Oliver bringt den einen oder anderen Sozialfall in Tristans Leiharbeitsfirma unter. Tristans Art, die Zügel fest in der Hand zu halten und überall die Führung übernehmen zu wollen, erweist sich für Oliver als weniger arrogant und überbordend, als er erwartet hätte. Schnell kann er sehen, dass er sich um diejenigen, für die er Verantwortung übernommen hat, sorgt und kümmert. Als Arbeitgeber führt er ein strenges Regiment und lässt sich sicher von niemandem auf der Nase herumtanzen, doch legt er auch keinen an die Kandare. Alles was er tut ist fair und gerecht und niemals verurteilt er einen Angestellten nur aufgrund einer Kundenbeschwerde, ohne diesen zunächst ebenfalls anzuhören.
Oliver hat ein gutes Gefühl dabei, seine Schützlinge in Tristans Obhut zu geben und der hat tatsächlich ein gutes Händchen darin, die richtigen Personen zusammenzubringen.
„Es nützt nichts, die beste Person für einen Job zu finden, wenn sie menschlich nicht zu dem Chef passt, der ihn vergibt", erklärt Tristan ihm und Oliver erkennt, dass sein neuer Freund ein ebenso feines Gespür für Emotionen hat wie er selbst, auch wenn er es anders einsetzt.Zwischen diesen geschäftlichen Treffen gibt es den einen oder anderen Erfolg zu feiern, wobei man die Gelegenheit nutzt, nach privaten Überschneidungen zu suchen. Immer häufiger trifft man sich dafür oder einfach so auf ein Feierabendbier und Oliver bemerkt schnell, dass Tristan auch in seiner Freizeit gern die Führung übernimmt, das Bier bestellt, die Kneipe und den Termin vorschlägt und sogar die Rechnung bezahlt. Überraschenderweise macht ihm das nichts aus. Tristan achtet sehr darauf, Olivers Vorlieben und Abneigungen zu kennen und zu berücksichtigen und es ist schon angenehm, wenn sich mal jemand um einen kümmert.
Man spricht dann über die Pläne für den Feierabend und das Wochenende. Olivers Pläne sind nicht sehr überraschend weil ebenfalls stur eingefahren und seine Straßenarbeit macht auch vor den Wochenenden nicht halt. Oft genug hat er den Tag über frei und streift in den Dämmerungsstunden durch die Straßen und Gassen.Doch es interessiert ihn, von den gemeinsamen Plänen des Paares zu hören. Tristan ist auch hierbei derjenige, der die Pläne macht und die Führung übernimmt. Doch soweit Oliver es erkennen kann, ist das Toby gerade recht. Nach wie vor wird bei seinen Treffen mit einem der Beiden nur wenig von und nicht über den Anderen gesprochen, was Oliver gefällt und ihm zeigt, wie gesund die Beziehung der beiden ist. Stattdessen wird immer wieder locker geflirtet und Oliver muss gestehen, dass es ihm leicht fällt, darauf einzugehen. Er hat die beiden unabhängig voneinander gefragt, ob sie eine offene Beziehung führen, doch das wurde von beiden verneint.
„Wir sind ein geschlossenes Team mit offener Kommunikation, mach dir also keine Sorgen", hat Tristan ihm erklärt und dann mit seinem Bier angestoßen. Oliver hat einen tiefen Schluck getrunken und es hingenommen. Wie er es sieht, sind die kleinen Flirtereien lediglich eine Spielart der beiden, mit der sie Freundschaften schließen und pflegen. Ehrlich gesagt fühlt es sich gut an, das Ziel dieser Nettigkeiten zu sein.„Tristan hält dich für Superman", witzelt Toby mal an einem der wenigen Regentage, die sie gemeinsam im Café verbringen und Olivers Lachen zieht neugierige Blicke der herumeilenden Servicekräfte auf sich. Er hält seine Fähigkeiten nicht unbedingt für Superkräfte, aber er gibt seinem neuen Freund natürlich recht, wenn dieser erklärt, dass er sie zumindest nur für Gutes einsetzt.
„Ich werde keine alberne Maske, ein Cape und die Unterhose über der Strumpfhose tragen", wehrt sich Oliver vehement und bringt Toby damit komplett aus der Fassung. Es dauert eine Weile, bis der Tränenfluss versiegt und der Lachanfall aufhört, welcher so ansteckend wirkt, dass nun auch die Menschen um sie herum leise kichern oder breit grinsen. Als er wieder zu Atem gekommen ist, wedelt er mit dem langen Löffel, der mit jedem Latte mitgeliefert wird, vor Olivers Nase herum.
„Nicht wichtig. Ich bin sowieso mehr an Clark Kent interessiert."Tatsächlich unterhalten sich die beiden viel mehr über private Interessen als Oliver und Tristan und wie es aussieht gibt es einige, die Oliver und Toby teilen, im Gegensatz zu Tristan. Insbesondere Wander- und Kunstausstellungen sind eine Leidenschaft, die sie schon bald gemeinsam erkunden und dabei fliegen die Flirtfunken ebenfalls. Doch auch was das angeht bemerkt Oliver einen Unterschied zwischen den beiden. Wenn Tristan flirtet ist es oft sehr direkt und in der Regel sexuell veranlagt. Es sind heiße, verführerische Blicke und herausfordernde Worte, mit denen er flirtet. Toby hingegen lässt eher seinen Körper sprechen. Unschuldige, zufällige Berührungen, innige Umarmungen und hin und wieder mal ein Blick unter klappernden Augenlidern und langen Wimpern. Er scheint vor allem Olivers Nähe zu suchen und zu genießen und der hat kein Problem damit, solange es niemandem schadet und allen Beteiligten gut tut. Um das sicherzustellen, trifft man sich schon bald regelmäßig, mindestens einmal die Woche, auch zu dritt. Hier kann Oliver nicht nur offen mit den beiden darüber sprechen, was sie von all dem halten, was der andere tut. Keiner von beiden hat ein Problem damit, über den anderen herzuziehen, solange derjenige dabei steht und sich entsprechend wehren kann. Im Gegenzug haben sie auch keinerlei Schwierigkeiten damit, sich vehement zu wehren, wenn es nötig ist.
Oliver bekommt außerdem einen lebendigen Einblick in die besondere Dynamik des Paares. Wie er es schon vermutet hatte, leben die beiden in einer Dom-Sub-Beziehung, die sich nicht nur auf ein paar Szenen beschränkt. Toby richtet sich in allen Fragen an Tristan, der sie kurzerhand entscheidet und wenn der junge Mann sich in seiner Hyperaktivität verliert, reicht ein Befehl seines Doms aus, um ihn da rauszuholen.
„Ich weiß nicht, wie du es machst," ruft ihm Tristan über einen Barhocker zu, der zwischen ihnen steht. Die beiden haben Oliver in einen Club geschleppt und der Hocker ist reserviert für Toby reserviert, wenn er ermüdet von der Tanzfläche zurückkommt.
„Aber an den Tagen mit dir ist er irgendwie entspannter."
Oliver lacht, beugt sich vor und ruft ihm ins Ohr: „Ich bin!"
Der andere lehnt sich zurück, schaut ihn fragend an, und als Oliver dann mit den Augenbrauen wackelt - wie es Tristan so gerne tut, wenn er flirtet - beginnt dieser laut zu lachen.
Als Oliver an diesem Abend allein in sein kleines Apartment zurückkehrt, gesteht er sich zum ersten Mal ein: Er hat jetzt zwei Freunde.
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Missing Piece ✅
عاطفيةOliver ist ein guter Beobachter doch eines Morgens läuft ihm dieses eine Pärchen über den Weg, das er nicht einordnen kann. Irgendetwas stimmt nicht. Etwas fehlt. Aber was? Mit dem drängenden Gefühl, dass die beiden seine Hilfe brauchen könnten, bes...