16 Invitation

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Oliver war noch nie so nervös in seinem ganzen Leben wie jetzt. Kalter Wind bläst ihm um die Ohren und peitscht ihm den leichten aber eiskalten Regen ins Gesicht, als wolle er dies schockfrosten. In ihm jedoch tobt ein Sturm ganz anderer Art, bestehend aus einem leisen Tumult im Magen und Hitzewallungen, ausgelöst von den Gedanken an seine Männer. Schauer laufen ihm über den Rücken, als ob dort eine Legion Ameisen exerziert, wenn er sich die Begrüßung der beiden vorstellt, der er nun schnellen Schrittes entgegen eilt.
Er war noch nie hier und ist überrascht, als er den edlen Bungalow mit Flachdach sieht, der sich auf dem Grundstück ausbreitet und den Wohlstand anzeigt, in dem die beiden zu leben scheinen. Wenn man bedenkt, dass Toby nicht arbeitet, muss Tristan wirklich gutes Geld mit seiner Firma machen. Aber vielleicht haben die beiden ja auch geerbt oder kommen aus reichem Hause? Oliver wird in dieser Sekunde bewusst, dass er mit den Beiden über alles mögliche geredet hat, nur nie über Geld. Er selbst besitzt nur ein kleines Apartment, aber nicht, weil er sich nichts Größeres leisten könnte. Es liegt nur besonders günstig für ihn - in der Nähe der Innenstadt - und hat all den Raum, den er benötigt. Zumal er sich eh kaum darin aufhält. Mehr würde einfach keinen Sinn ergeben, dafür aber viel mehr Arbeit machen und Geld verbrennen, dass er lieber spart, spendet oder für all seine Besuche in Restaurants und Cafés ausgibt.

An der Tür angekommen, entdeckt er überraschenderweise drei Klingeln. »Tristan Flemming« steht auf der ersten und »Toby Daniels« auf der zweiten. Die dritte ist unbeschriftet. Hmmm, was hat das zu bedeuten? Er bemerkt eine Bewegung in einem der Fenster, doch als er hinsieht, ist alles wieder ruhig und niemand zu sehen. Ist das ein Test? Mal sehen. Was hat er über die beiden gelernt? Dass Tristan oben steht, wundert ihn nicht. Ob ihm das Haus gehört oder nicht, er ist mit Sicherheit der Hausherr hier. Toby führt jedoch diesen Haushalt und ist vermutlich derjenige, der zur Tür geschickt wird. Ob die Dritte Klingel überhaupt funktioniert? Oliver drückt sie aus Neugier und ein tiefes Glockengeläut erklingt, das ihn auflachen lässt. Einen Moment wartet er darauf, was geschieht und ist froh, dass der Eingangsbereich vor der Tür überdacht ist und ihn etwas vor dem Regen schützt.
Als sich nichts tut, beschließt er, noch einmal zu klingeln. Er lauscht einem lustigen, hellen Glockenspiel, als er Tobys Klingel drückt und gleich darauf löst er die übrig gebliebene Klingel aus. Tiefe, elektronische Töne, wie man sie von einem Bürotelefon erwarten würde, rollen durch die Luft.

Endlich wird die Tür geöffnet und ein strahlender Toby fällt ihm in die Arme.
„Endlich bist du da!", jubelt er und umarmt ihn fest.
In einer Hand einen Blumenstrauß, in der anderen eine Packung Pralinen, kann Oliver nicht viel tun, als zumindest seine Arme vorsichtig um den schlanken Mann zu wickeln. Der Duft von Vanille und Beeren steigt ihm in die Nase und bringt ihn zum Lächeln. Toby riecht wie ein leckerer Nachtisch und Oliver ist gespannt, wie viel er davon zu kosten bekommt.
Ein belustigtes Räuspern lässt ihn aufschauen und bringt Toby dazu, sich von ihm zu lösen.
„Entschuldige", seufzt er und starrt dann auf die Geschenke in Olivers Hand. „Oh!"
Oliver grinst breit und schaut die beiden an.
„Na, das hier ist das dritte Date und ich bin eingeladen, da bringt man doch was mit oder nicht?"
Er hält Tristan die Blumen und Toby die Gin-Pralinen hin und lacht dann aus vollem Herzen, als sich die Gesichter der beiden verziehen, bevor sie sich bemühen, ihre Abneigung zu verbergen. Schnell kreuzt er seine Arme, um die Geschenke dieses Mal richtig zu verteilen.

Toby liebt den Duft von Blumen und hat ihm mal erzählt, dass er am Liebsten die ganz bunten Sträuße mag, die alle Farben zu einer Frühlingswiese vereinen. Zu dieser Jahreszeit kein billiges Geschenk, zumal sich Oliver nicht hat lumpen lassen und einen wirklich großen Strauß bestellt hat. Dafür mag Toby keine Pralinen, die mit flüssigem Alkohol gefüllt sind, während Tristan den Gin umhüllt von dunkler Schokolade geradezu verehrt. Ebenfalls lachend nehmen sie ihre Geschenke entgegen und bitten ihn nun endlich herein. Beide legen die Geschenke kurz auf eine Anrichte im Eingangsbereich und Tristan hilft ihm aus der Jacke, während sich Toby vor ihn hinkniet, um ihm die Schuhe zu öffnen und mitsamt der Strümpfe auszuziehen. Alles kommt an dafür vorgesehene Plätze und als er auch die Bewohner barfuß herumlaufen sieht und dann den Grund dafür herausfindet, eine Fußbodenheizung, fühlt er sich unglaublich willkommen und wie zuhause.

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