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-Kapitel 4-

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Blair

Ich bin mehr als froh, als wir am nächsten Nachmittag endlich aus dem Motel auschecken können, um zu unserem Haus zu fahren. Die ganze Nacht über konnte ich nicht einschlafen, weil es viel zu heiß und zu laut war. Das Motel liegt direkt an einer Hauptstraße und ich bin nicht daran gewöhnt, nachts rasende Autos zu hören.

Gestern Abend sind Dad und ich nach der Eishalle noch in ein Restaurant in der Nähe zum Essen gegangen. Dort habe ich mich erstmal für mein schlechtes Benehmen entschuldigt. Er ging allerdings nicht wirklich darauf ein. Keine Ahnung, ob er nachtragend ist, oder ob ihn die Sache nicht stört. Noch immer bin ich der Meinung, nichts falsch gemacht zu haben. Dieser eine Junge hat doch diesen ganzen Mist von sich gegeben. Und dann tauchte noch Nummer dreizehn nach dem Training auf und lenkte mich vom Eislaufen ab.

»Bekomme ich dann auch einen Hausschlüssel?« Bevor wir einsteigen, verstaut Dad unsere Koffer in den Kofferraum.

»Wenn wir da sind, ja. Die Ersatzschlüssel liegen im Haus.« Auch heute ist es verdammt warm. Wenn ich später endlich meinen Laptop wieder bei mir habe, kann ich mir Sommerklamotten bestellen. Ich hasse es, shoppen zu gehen, vor allem in der Hitze. Ich liege viel lieber mit meinem Laptop auf dem Bett und wähle mir so die Sachen aus.

»Ich bin später wieder beim Training mit den Jungs«, beginnt Dad, als er losfährt. Ich klappe direkt die Sonnenblende runter.

»Jeden Tag Training? Ich dachte, die Saison beginnt erst Mitte September.« Ich unterdrücke mir ein Augenrollen, denn ich kenne ihre Saison. »Es steht jeden Tag Training an, Blair. Und schon am Samstag haben die Jungs ein Freundschaftsspiel mit dem Team aus Fort Collins. Da werden Spenden gesammelt.«

»Bringst du mir mal einen Belegungsplan der Halle mit? Du wirst sowas doch sicherlich auffinden können.« Heute verzichte ich ausnahmsweise auf mein Hobby. Einfach aus dem Grund, dass ich gerade keinen Eishockeyspieler sehen kann. Das gestern hat mir gereicht.

»Das mache ich. Und am besten rechnest du nach deren Training immer eine halbe Stunde mehr ein, damit du die Jungs nicht mehr belästigen kannst.« Empört reiße ich den Kopf zu Dad, der versucht sein Grinsen zu unterdrücken. Er ist nicht sauer auf mich, er findet es amüsant.

»Ich belästige die Spieler? Bring ihnen lieber bei, wie man sich Frauen gegenüber benimmt. Sie sind genauso, wie ich sie mir vorgestellt habe.«

»Blair. Du bist zwanzig Jahre alt. Du wirst es wohl schaffen, mit ihnen auszukommen. Außerdem leben einige von ihnen in unserem Ort.« Seufzend schaue ich aus dem Fenster.

»Das wird ja immer schlimmer, Dad«, murmle ich eher zu mir selbst als zu ihm.

»Gib ihnen eine Chance. Ich bin noch in der Probephase und da hilft es mir nicht, wenn du da Probleme machst, wo keine sind.« Der hat gesessen. Dad weiß genau was damals geschehen ist, er hat leibhaftig miterlebt als ich am Tiefpunkt war.

»Okay«, antworte ich nur und spüre ein flaues Gefühl in der Magengegend, als die Ereignisse von damals von mir Besitz ergreifen. 

Fünfzehn Minuten später fahren wir von einem Highway ab und kommen an einem Ortsschild namens Berkley vorbei. Ich versuche, die Atmosphäre meines neuen Zuhauses in mich aufzunehmen, öffne das Fenster und atme die warme Luft ein. Schweißperlen bedecken meine Stirn, ich habe jetzt schon das Gefühl zu stinken. Diese anhaltende Hitze bereitet mir nur Kopfschmerzen und keine gute Laune wie bei den anderen. Ich bin es einfach gewohnt, kalte Luft um die Ohren zu haben und nicht zu schwitzen.

Reihenhäuser ziehen an uns vorbei, Spielplätze und eine Highschool kommen mir ins Visier. Auf einem Straßenschild steht Jim Baker Reservoir. Das muss der große See sein, von dem Dad mir einst erzählt hat. Anscheinend kommen hier viele Angler hin. Ich hingegen hoffe darauf, dass der See im Winter zufriert, doch bei diesen Temperaturen kann ich das vergessen.

»Wir sind gleich da.« Anstelle von Reihenhäuser biegen wir nun in ein Viertel mit kleinen Wohnhäusern ein. Alle haben genügend Abstand zueinander, große Vorgärten und eine breite Straße. Allgemein kommt mir die Gegend ziemlich ruhig vor, was perfekt ist. Hier werden mich sicherlich keine lauten Autos nachts wach halten.

Dad bremst den Wagen ab und fährt in einen Hof. Wir kommen direkt vor der geschlossenen Garage zum Stehen, erst dann verstehe ich, dass wir da sind. Ich erkenne das Haus von den Bildern, die Dad mir hundertmal unter die Nase gehalten hat. Es ist kleiner als unser altes Haus, dafür wirkt es sehr gemütlich. Es ist ein altes, rustikales Haus mit hellblauen Holzverkleidungen. In Fairbanks hatten wir zwei Stockwerke, aber jetzt reicht uns ein Stockwerk. Damals, als Mama noch lebte, war die Größe des Hauses nützlich.

»Bereit? Du wirst dich wie zu Hause fühlen.« Dad steigt aus und kümmert sich um unser Gepäck. Ich hingegen lasse mir beim Aussteigen Zeit und lasse die Emotionen und mein Empfinden steigen.

Ganz langsam schwinge ich die Tür auf und folge Dad zur Haustür. Auf der Klingel steht bereits unser Nachname, Dad hat sich wie immer um alles gekümmert. Die Tür ist weiß und aus Holz. Als sie sich öffnet, steigt mir der Geruch von neuen Möbeln in die Nase. Dad lässt mir den Vortritt und zögernd trete ich über die Türschwelle und lasse die Atmosphäre auf mich wirken.

Wir befinden uns in einem Flur, der mit einem hohen Bogen endet. Dort befindet sich das Wohnzimmer mit der offenen Küche. Die Möbel sind dunkel gehalten. Die Küche ist modern ausgelegt, das Wohnzimmer hingegen sieht genauso aus wie in Fairbanks. Wir haben uns entschieden, nicht alle Möbelstücke mitzunehmen, aber das Wohnzimmer und die beiden Schlafzimmer sollten uns vertraut bleiben. Im Essbereich befinden sich große Fenster und eine Tür, die in den Garten führt. Dad hat von Anfang an auf einen großen Garten bestanden, da er sehr gerne grillt und am liebsten jedes Wochenende die ganzen Nachbarn zu einem Barbecue einladen würde. Hoffentlich bleiben mir diese Feste lange noch erspart, denn er kennt hier niemanden.

»Wo ist mein Zimmer?« Dad erscheint hinter mir mit dem ganzen Zeug.

»Die zweite Tür links, wenn man ins Haus reinkommt. Am besten schaust du nach, ob die Umzugsfirma alles richtig gemacht hat.« Mein Wunsch war es, mein Zimmer genauso eingerichtet zu haben wie in Fairbanks. Aus diesem Grund haben die Leute der Umzugsfirma Bilder von meinem alten Zimmer gemacht, damit sie daran arbeiten können. Etwas aufgeregt gehe ich zurück in den Flur und zähle die Türen ab. Hier wird sich mein neues Leben abspielen. Hier bringe ich Freunde mit, vielleicht auch irgendwann einen Jungen. Ich hoffe nur, dass meine nächste Beziehung nicht mit so viel Herzschmerz und Wut verbunden ist wie meine letzte.Nach einem tiefen Atemzug ziehe ich die weiße Holztür auf und trete hinein. Es verschlägt mir die Sprache zu sehen, wie identisch meine zwei Zimmer aussehen. Ich erkenne sofort die fliederfarbenen Vorhänge, mein weißes Himmelbett und meinen Schreibtisch mit der großen Bilderwand drüber. Verblüfft trete ich näher und lasse meinen Blick angespannt über all die Bilder schweifen. Bilder, die meine Freunde und mich zeigen. Einige Fotos von Auftritten auf dem Eis und mein Lieblingsbild hängt wie gewohnt in der Mitte und sticht aus der Masse heraus.

Es zeigt meine Mom und mich, als ich zum ersten Mal Schlittschuhe anprobiert habe. Damals war ich erst sieben Jahre alt. Mom kniet auf dem Foto neben mir und bewundert mich mit einem breiten Lächeln. Beim Anblick dieses Bildes pocht mein Herz schneller und meine Sehnsucht nach ihr wächst. Es passiert nicht mehr oft, dass ich wegen des Todes meiner Mom weine.

Damals war ich erst neun und verstand gar nicht, was geschah. Von einen auf den anderen Tag war Mom ans Bett gebunden, konnte nicht mehr mit mir spielen und hatte keine Kraft mehr sich zu bewegen. Als Kind verstand ich nicht, auch wenn Dad immer wieder versuchte, mir zu erklären, dass Mom an einer Krankheit namens Krebs sterben würde. Man fand den Krebs zu spät, Mom hatte keine Chance mehr dagegen anzukämpfen. Aber bevor sie ging, gab sie mir eine kleine Schachtel mit vielen verschlossenen Briefen. Briefe, die ich im Laufe der Jahre geöffnet habe. Ich erinnere mich ziemlich gut an den einen Brief, den ich gelesen habe, als ich meinen ersten Liebeskummer hatte. Mom sprach mir Mut zu, sie versprach mir, dass ich diesen tiefen Schmerz überstehen würde, dass ich nicht daran zerbrechen werde. Und so war es. Ich habe es überstanden, da Mom nie wirklich von meiner Seite wich. Sie ist immer bei mir.

Passion on IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt