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-Kapitel 6-

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Blair

Es macht mich wahnsinnig, mich allein im Haus zu beschäftigen und nichts unternehmen zu können. In Fairbanks war ich kaum daheim, immer draußen unterwegs und hing nur mit Freunden ab. Entweder war ich in der Eishalle zu finden oder in einem der leckersten Cafés der Stadt, in dem ich mir einen heißen Kakao schmecken ließ. Nora, die Geschäftsführerin, war schon zu einer guten Freundin geworden.

Fiona, Kate und ich haben vor ungefähr einer Stunde unser Telefonat beendet, seitdem lungere ich mit meinem Laptop auf der Couch herum und schaue nebenbei eine Serie, die ich schon vier Mal durchgeschaut habe. Ich habe bei drei verschiedenen Marken Sommerklamotten bestellt, was sich als schwieriger, als gedacht herausstellte. Süße, kurze Kleidchen habe ich selten getragen und wenn, dann mit einer dicken Strumpfhose drunter. Neben Kleidern habe ich noch zwei kurze Hosen, einige Tops und kurze Sportklamotten bestellt. Ich möchte wieder an meiner Koordination und Ausdauer arbeiten und wenn ich nicht so oft aufs Eis darf, dann muss ich wohl mit Joggen anfangen. Oder ich melde mich bei einem Fitnessstudio an.

Mein Blick schweift zum Fenster ab. Es ist inzwischen halb neun, Dad ist noch immer nicht zu Hause. Die Sonne ist gerade dabei unterzugehen, was wiederum bedeutet, dass es nicht mehr so heiß sein wird. Kurzerhand beuge ich mir vor, greife nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher aus. Wer sagt denn, dass ich nicht noch heute an meiner Ausdauer üben kann? Ich tapse in mein Zimmer und wühle in meinem Schrank rum. Ein paar Kisten und mein Koffer für das Motel stehen noch zum Ausräumen da. Darum kümmere ich mich morgen nach dem Frühstück.

Ich finde eine schwarze Sportleggings und ein verwaschenes rotes T-Shirt, das für heute reichen muss. Schnell werfe ich mich in meine Klamotten, binde meine Haare zu einem hohen Zopf und finde meine Laufschuhe im Flur in einem Schuhschrank. Meine Kopfhörer liegen auf meinem Schreibtisch und zusammen mit meinem Handy und dem Schlüssel verlasse ich das Haus. Ich verweile einen Moment vor der Haustür und beginne mich zu dehnen, während ich meine Kopfhörer einstecke und eine Playlist abspiele. Es ist noch recht schwül draußen, aber eindeutig besser als in der prallen Sonne. Der Himmel ist wunderschön. Die Sonne verschwindet hinter den Wohnhäusern und hinterlässt rötliche Farben, die dem Himmel schmeicheln. Ich gehe an den Straßenrand und versuche, mir die Häuser einzuprägen, damit ich nachher keine großen Schwierigkeiten habe, wieder nach Hause zu finden.

Wie von selbst setzen sich meine Füße in Bewegung. Ich beschließe, in die andere Richtung zu laufen, nicht in die, aus der Dad und ich mit dem Auto gekommen sind. Ich konzentriere mich auf meine Atmung, singe im Kopf die Texte der Lieder mit und bewundere unseren Ort. Es ist ziemlich friedlich, es gibt viel Grün und ich habe mindestens drei Spielplätze gesehen.

Keine Ahnung, wie lange ich schon am Joggen bin, aber mittlerweile ist es dunkel geworden. Meine Ausdauer ist nicht schlecht, wenn ich das langsame Tempo noch halten kann, schaffe ich sicherlich noch einige Meilen.

Als ich auf die Hauptstraße biege, nehme ich helle Scheinwerfer hinter mir wahr. Es sind nicht viele Autos an mir vorbeigefahren, da ich eher in den Seitenstraßen des Ortes unterwegs war. Und auch so kann man den Verkehr unmöglich mit dem in Denver vergleichen. Die Scheinwerfer scheinen mir eine Ewigkeit in den Rücken zu leuchten, bis mich das dunkle Auto endlich überholt. Ich konzentriere mich erneut auf meine Schritte, schließe ganz kurz die Augen und atme tief durch. Als ich sie wieder öffne, fällt mir auf, dass das Auto zum Stehen gekommen ist und dies nur wenige Meter von mir entfernt. Irritiert recke ich das Kinn und jogge etwas schneller vorbei. Ich werde wohl nicht an meinem ersten Abend hier entführt, oder? Wenigstens hätte ich dann einen legitimen Grund, um wieder nach Fairbanks zu ziehen.

Erleichtert kann ich mich wieder entspannen und meine Musik hören. Ich lasse mich fallen, genieße die kühle Luft in meinem Gesicht und überlege, wie lange ich noch laufen möchte.

»Schön dich mal ohne Kapuze zu sehen. Du bist also doch ein Mensch.«

Ich schrecke zusammen und ziehe mir eilig die Kopfhörer aus den Ohren. Dass ich stehengeblieben bin, merke ich erst, als ich in das geöffnete Fenster neben mir auf die Straße schaue. Das muss das Auto von eben gewesen sein. Der Motor läuft noch und ich strenge meine Augen an, um herauszufinden, wer im Inneren des Wagens lungert. Erst viel zu spät gehen mir seine Worte durch den Kopf, die ich gerade noch so trotz der Kopfhörer verstehen konnte.

»Nummer dreizehn«, stelle ich endlich fest. Er sitzt hinter dem Lenkrad und hat seinen Oberkörper etwas in meine Richtung gedreht. Seine wuscheligen Haare sehen nun ordentlicher aus als in der Eishalle. Wegen des Joggens geht meine Atmung stockweise, mein Herz ist noch am Rasen.

»Ich habe auch einen richtigen Namen.« Seine Stimme klingt sehr männlich, und wenn die Umstände anders wären, würde ich ihn definitiv anziehend finden. Ich lege den Kopf schief, versuche meine Atmung zu kontrollieren und zucke mit den Schultern.

»Und wenn mich dein Name interessieren würde, dann hätte ich dich danach gefragt.«

Ein Grinsen huscht über sein Gesicht, was seine Grübchen zum Ausdruck bringt. Da die Lampen im Inneren seines Autos leuchten, kann ich sein Gesicht sehr gut erkennen. Etwas zieht sich in meinem Brustkorb zusammen, etwas passiert in mir, und ich bezweifle, dass es an meinen sportlichen Aktivitäten liegt.

»Soll ich dich mitnehmen? Du siehst nicht mehr sehr fit aus.« Er fährt sich mit der Zunge über die Lippe und lässt dann seine Hand stolz über sein Lenkrad schweifen.

Ich gehe einen Schritt zurück und versuche das Modell seines Wagens festzustellen. Leider habe ich keine Ahnung von Autos, aber wenn man sich die Inneneinrichtung anschaut, könnte man meinen, dass er eine Menge dafür blechen musste.

»Hat man dir nicht beigebracht, dass man nachts nie ins Auto eines Fremden einsteigen sollte? Schon gar nicht bei jemandem, der so von sich überzeugt ist.«

Ich lechze die Zunge und verschränke die Arme vor der Brust. Dad kann nicht sauer auf mich sein, dass ich mit einem seiner Spieler diskutiere. Wir sind nicht in der Eishalle.

»Glaub mir. Ich bin kein Entführungstyp. Dich würde ich schon nach einer Stunde freiwillig zurückbringen.« Nummer dreizehn lehnt sich lässig in seinem Sitz zurück, lässt mich aber nicht aus den Augen. Andauernd kann ich seinen Blick auf mir spüren. Als könnte er mich berühren. Mir entgeht auch nicht, wie er meinen Körper in Betracht nimmt. Seine dunklen Augen scannen jeden Teil von mir ab, als wären wir bei irgendeiner Kontrolle. Die Hitze in meinem Brustkorb ignoriere ich.

»Dann habe ich ja großes Glück. Dir ausgesetzt zu sein, hört sich wie eine Strafe an. Und ich bin ganz sicher nicht erschöpft. Ich könnte noch locker fünf Meilen joggen, klar? Ich könnte Dad ja vorschlagen, das in euer Aufwärmprogramm einzubauen.« Ich grinse ihn teuflisch an, doch er geht nicht darauf ein.

»Zufällig liebe ich alles, was mit Sport zu tun hat, also gerne. Allerdings musst du dann länger warten, bis du auf unser Eis kannst um deine süßen Übungen zu machen.«

Augenrollend schaue ich mich um und überlege, wie ich am schnellsten wieder nach Hause komme. Die Lust am Joggen ist mir jedenfalls vergangen. Nur habe ich gerade echt keinen Schimmer, wie ich nach Hause komme. Natürlich könnte ich Nummer dreizehn fragen, aber da lasse ich mich lieber von einem Lastwagen überfahren.

»Ich würde mich ja gerne noch länger mit dir unterhalten, aber dafür ist mir meine Lebenszeit zu wichtig. Hoffentlich trifft dich auf dem Heimweg ein Asteroid.« Ich zeige ihm noch ein Peace und laufe dann gemütlich los.

»Dann soll dir aber dein Ärmel beim Händewaschen runterrutschen«, ruft er mir hinterher, was mich beinahe zum Lachen bringt. Angestrengt versuche ich, das Lächeln auf meinen Lippen zu unterdrücken, da ich über keine Witze von Eishockeyspielern lachen möchte.

Ich höre Geräusche seines Autos und kurz darauf fährt er im Schritttempo neben mir her. Wut steigt in mir auf, denn ich hasse diese aufdringliche Art. Es erinnert mich an Brian und seine Eishockeyfreunde, die genau so waren. Sie denken, sie können machen, was sie wollen.

»Verrätst du mir wenigstens deinen Namen, Miss schlecht gelaunt?« Ich laufe weiter, schaue allerdings kurz durch sein Fenster und bin überrascht über den intensiven Blickkontakt. Für einen Moment vergesse ich alles um mich herum, doch dann reiße ich mich zusammen.

»Ich bin Blair.«

Meine Stimme klingt plötzlich nicht mehr so genervt, sondern ziemlich ruhig. Nummer dreizehn nickt mir siegessicher zu und drückt dann aufs Gas, um mich endlich in Ruhe zu lassen.

Passion on IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt